Häusliche Gewalt: Wenn der eigene Mann zuschlägt
Mehr als 100.000 Frauen in Deutschland wurden im vergangenen Jahr von ihren Partnern misshandelt. Täter sind meist geschiedene oder getrennte Männer.
Zwei Jahre, nachdem eine große europäische Befragung dazu EU-weite Daten erhoben hat, hat nun das Bundeskriminalamt erstmals eine Statistik zur häuslichen Gewalt und der gegen Frauen veröffentlicht: Demnach wurden mehr als 100.000 Frauen in Deutschland im vergangenen Jahr Opfer von brutalen Partnern. In weit mehr als der Hälfte der Fälle handelte es sich um „vorsätzliche einfache Körperverletzung“ (65.800), gefolgt von Drohungen, gefährlicher Körperverletzung und Stalking. In 331 Fällen wurden Frauen getötet.
Geschiedene oder getrennte Männer sind die größte Tätergruppe
Gewalt in Partnerschaften trifft zu 82 Prozent Frauen, im Ganzen gab es im vergangenen Jahr 104.290 weibliche Opfer. Aber auch Männer waren 23.167 Mal betroffen. Nimmt man Gewalt gegen Frauen und die gegen Männer zusammen, wurden 2015 gut 127.000 Fälle verzeichnet. Das entspricht einer Steigerung von 5,5 Prozent seit 2012. Die größte Gruppe der Betroffenen ist die der 30- bis 39-Jährigen. Auch die meisten Täter sind in diesem Alter.
Deutschland steht mit seiner Schreckensstatistik allerdings nicht allein: Die Europäische Grundrechteagentur (FRA) hatte vor zwei Jahren erstmals EU-weit entsprechende Daten erhoben. Für ihren 2014 veröffentlichten Bericht „Gewalt gegen Frauen“ befragte die Agentur 42.000 Frauen in allen 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ihre Aussagen, so die FRA, „zeichnen ein Bild des weit verbreiteten Missbrauchs, der das Leben vieler Frauen markiert und jedoch von den Behörden nicht systematisch erfasst wird“. Demnach hatte jede zehnte Frau seit ihrem 15. Lebensjahr eine Form der sexuellen Gewalt erfahren, und jede zwanzigste wurde vergewaltigt.
Etwas mehr als jede fünfte Frau erlitt körperliche oder sexualisierte Gewalt durch ihren aktuellen oder einen früheren Partner. Etwas mehr als jede Zehnte gab an, vor ihrem 15. Lebensjahr sexualisierte Angriffe durch Erwachsene erlebt zu haben. Angezeigt hatte dies aber laut der EU-Studie nur etwa jedes dritte Opfer von Gewalt in der Partnerschaft – dies wird jetzt auch im BKA-Bericht für Deutschland bestätigt – und sogar nur jedes vierte Opfer von Gewalt, bei der der Täter nicht der eigene Mann ist. Diese Zahlen seien „niedrig und müssen angehoben werden“, kritisierte der EU-Bericht. Oft erduldeten die Frauen auch Gewalt längere Zeit, bis sie diese anzeigten. Auch BKA-Chef Holger Münch sprach jetzt für Deutschland von einem „nicht unerheblichen Dunkelfeld“. Besonders bei Trennungen entstünden Konflikte. Die größte Tätergruppe sind nach den BKA-Zahlen ehemalige Partner.
Dänemark an der Spitze der Gewaltstatistik
Ein Kuriosum des EU-Reports war, dass er gerade für die in Geschlechterfragen traditionell fortschrittlichen nordeuropäischen Länder hohe Raten von Gewalt gegen Frauen zutage förderte: An der Spitze der traurigen Statistik stehen Dänemark, Finnland und Schweden, wo 52, 47 beziehungsweise 46 Prozent der Frauen angaben, schon einmal körperliche oder sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Die geringsten Prozentsätze wiesen Kroatien, Österreich und Polen auf (in dieser Reihenfolge). Deutschland nahm mit 35 Prozent Platz zehn ein. Das spiegle aber nur bedingt das reale Ausmaß wider, schreibt die Grundrechteagentur: „In verschiedenen Ländern kann es kulturell bedingt mehr oder weniger akzeptiert sein, mit anderen Menschen über Erfahrungen von Gewalt gegen Frauen zu sprechen.“ Auch dort, wo sie als Privatsache angesehen werde, würden sie mit höherer Wahrscheinlichkeit in Familie und Freundinnenkreis verschwiegen oder angezeigt.
Dieses Schweigen könnte sich in den FRA-Interviews fortgesetzt haben. Andererseits seien Frauen in Ländern mit einem größeren Maß an Gleichstellung wohl stärker bereit, über ihre Erfahrungen zu reden – was, so ließe sich folgern, zu einem realistischeren Bild vom Ausmaß der Gewalt in diesen Ländern führe.
Italien hatte bis 1981 einen Ehrenmordparagrafen
Das könnte die Listenplätze von Italien und Spanien erklären, die mit 27 und 22 Prozent ebenfalls vergleichsweise niedrige Werte im EU-Überblick von 2014 verzeichneten, tatsächlich aber stark betroffen sind. In Italien, das für das Phänomen den Begriff „feminicidio“ erfand, sterben jedes Jahr etwa 100 Frauen durch gewalttätige Partner, Spaniens Zahl ist ähnlich hoch. Wissenschaftlerinnen machen eine weiterwirkende, auch katholisch geprägte Macho-Kultur verantwortlich: Italien hatte bis 1981 einen Ehrenmordparagrafen, der gehörnten Ehemännern, die ihre Ehefrauen töteten, einen deutlichen Strafrabatt zubilligte.
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