zum Hauptinhalt
Ein Gemälde von Filippo Panseca stellt Berlusconi und seine Ministerin Carfagna in andere Beziehung als eine politische.
© picture-alliance/ dpa

Italien: Die Pferdchen des Signor Berlusconi

Die Emanzipation in Italien ist ins Stocken geraten. Das öffentliche Bild der Frau: Sie muss hübsch sein. Und dumm.

Man könnte es als Beispiel gelungener Resozialisierung sehen: Früher posierte Maria Rosaria (Mara) Carfagna mit geölter Haut und halb offenen Lippen für Männerkalender und tanzte im italienischen Fernsehen ihren Rock weit genug nach oben, um sehen zu lassen, dass sie nichts darunter trug. Seit 2008 ist das Starlet Italiens Gleichstellungsministerin. Sie hat sich die schwarze Mähne zu einer Novizinnenfrisur stutzen lassen und versteckt ihre inzwischen fragil-überschlanke Figur in beige- und anthrazitfarbenen Ganzkörperbedeckungen. Carfagnas bisher prominentestes Projekt, das Verbot der Straßenprostitution, begründete sie mit den Worten, es erschrecke sie, wenn eine Frau ihren Körper verkaufe. Was Carla Corso von Italiens Hurenselbstorganisation zum sarkastischen Kommentar veranlasste, ein Blick ins Internet genüge, um zu wissen, dass die Dame ihren Körper lediglich teurer verkauft habe als Frauen, die auf der Straße anschaffen gehen.

Heilige und Hure, die beiden uralten role models der verbreitetsten Männerfantasie, noch schärfer, wenn sie in einer Frau vereint sind – erst im heutigen Italien scheinen sie richtig ins wirkliche Leben geraten zu sein. Und es ist kein Zufall, dass Carfagnas Karriere ins Kabinett Berlusconi führte. Schließlich lässt der Premier selbst, wie sich im Sommerskandal des letzten Jahres herausstellte, das weibliche Personal seiner römischen und sardischen Gelage unter Prostituierten wie unter minderjährigen Schülerinnen rekrutieren, deren „Reinheit“ er rühmt.

Wer in Italien fernsieht, weiß, dass diese Logik selbst außerhalb der Politik längst die Plätze kontaminiert, an denen das Hirn einer Frau zählen sollte, nicht Haarfarbe oder Brustumfang. Selbst seriöse Moderatorinnen und Journalistinnen, auch im Staatsfernsehen bei „Mamma Rai“, lassen sich die Lippen, gelegentlich grotesk, aufspritzen und den Busen mit Silikon polstern. Frauen jenseits der fünfzig mit absurd vergrößerten Brüsten, Schlauchbootmündern und Stupsnäschen führen selbst durch Sendungen wie „Frauen im Fernsehen – am liebsten schön und stumm?“. Ein anderer Typ garnierte das Thema „Die Italiener sind gegen Nacktheit im Fernsehen“, eine Folge von „Porta a Porta“, dem zwischen Montag und Donnerstag allabendlichen Stelldichein bei Italiens Polit-Supertalker Bruno Vespa. Dort sind Frauen sonst sehr rar. Nicht so in jener Folge: Zum süffigen Thema umgab sich der 66-jährige Moderator mit dem schütteren Haupthaar gleich mit einem knappen halben Dutzend Frauen als lebender Deko – etwa zur Hälfte Blondinen und Brünette und bis auf eine in Minis, die Kamerablicke bis knapp vor den Schritt ermöglichten.

Die groteskesten und traurigsten Beispiele haben Lorella Zanardo und Marco Maldi Chindemi in ihrer 25-Minuten-Dokumentation „Der Körper der Frauen“ (www.ilcorpodelledonne.it) versammelt, zusammen mit jenen, wo nur noch der stumme Körper zählt – viele aus dem Sonntagsprogramm zur besten Familienmittagessenszeit: junge Frauen, die sonntags in „Buona domenica“ ihr bereits überknappes Outfit bis zur Kenntlichkeit von einer Dusche durchnässen lassen oder die in „Libero“ im zweiten Programm des Staatssenders Rai auf allen Vieren in einem Glaswürfel zur Schau gestellt werden.

Das prominente Beispiel übrigens, dass der Karriereweg von der Hure zur Heiligen auch umgekehrt funktionieren kann, führte vor Jahren Irene Pivetti vor. Als Parlamentspräsidentin war sie in den 90er Jahren eine der vier ranghöchsten Repräsentantinnen Italiens und ein paar Jahre lang das strenge Gesicht der Republik. Die damals Anfang 30-Jährige trug selten ein Lächeln und zum gedeckten Zweiteiler stets Blusen bis zum Kinn. Sie urteilte unnachgiebig über Abtreibung und Sex vor der Ehe, und als die eigene erste Ehe scheiterte, endete sie nicht mit der Scheidung, sondern sie wurde vom zuständigen päpstlichen Gericht Sacra Rota Romana für „nichtig“ erklärt. Dann verließ Irene Pivetti 2001 Parlament und Politik und ging zum Fernsehen – wo sie fortan mit gegelter GI-Bürste und in knapper Lederkluft die Schönheits-OP-Show „Bisturi“ (Skalpell) moderierte.

Doch dass das öffentliche Frauenbild Italiens ist, wie es ist, lässt sich nach Auffassung der Familiensoziologin und Genderexpertin Chiara Saraceno nicht einfach als Werk Berlusconis abtun, auch wenn dessen Fernsehsender und Politik es unablässig bewerben. „In einer kulturell so tief katholischen Gesellschaft wie der italienischen, die besessen war vom Sex, der ebenso als Sünde galt wie die Frau selbst, konnte Befreiung nur heißen: die Freiheit, den Körper zu zeigen“, sagt Saraceno, die am Wissenschaftszentrum Berlin forscht. So sei im Kommentar einer großen Zeitung einmal als Ziel des Afghanistaneinsatzes genannt worden, auch dort müssten die Frauen Miniröcke tragen dürfen. Aber auch die italienische Frauenbewegung habe versagt, meint Saraceno. Der „Feminismus der Differenz“, den sie hervorbrachte, habe Frauen zu edleren Geschöpfen verklärt und auf ein Podest gehoben. Macht, so meinten selbst viele Aktivistinnen, müsse diese Überwesen nicht interessieren. „Das war die feministische Variante des alten katholischen Frauenbilds. Und ein großes Unglück.“

Tatsächlich ist in Italien das Männermonopol auf die Macht womöglich weniger angefochten als in jedem anderen Industrieland. Schon am Beginn der Karriereleiter sind die Chancen ungleich verteilt. Die Erwerbsquote italienischer Frauen beträgt 45,3 Prozent und Italiens bambini sind – gezwungenermaßen – die Nesthocker Europas: Für neun von zehn Kleinkindern gibt es im Bel paese keinen Kitaplatz, noch öfter als in Deutschland wird Arbeiten zum Luxus, wenn von Gehältern, die ebenfalls um ein rundes Fünftel unter denen gleich ausgebildeter Männer liegen, auch die philippinische oder rumänische Kinderfrau bezahlt werden muss. So schick Italiens Konsumgüterexporte, so rasch der Aufstieg vom Agrarland unter die ersten Industrienationen nach dem Krieg – in Geschlechterfragen hielt Italien selbst im Vergleich der wenig stürmischen europäischen Nachbarn immer die rote Laterne. Erst 1963 wurden Frauen im öffentlichen Dienst zugelassen, die Entlassung von Arbeiterinnen, nur weil sie geheiratet hatten, verboten und das „ius corrigendi“ abgeschafft, das Recht des Ehegatten, seine Frau durch Prügel auf – seine – Linie zu bringen. Seit 1968 kommen Ehebrecherinnen nicht mehr ins Gefängnis, seit 1970 kann man sich in Italien scheiden lassen und 1981 fiel jener Paragraf des Strafgesetzbuchs, der zwar Gattenmörderinnen mit „lebenslänglich“ bedrohte, einem Mann aber drastischen Strafnachlass einräumte, wenn er seine Ehefrau, Schwester oder Tochter in flagranti erwischte und „im Zustand der Wut über die ihm oder seiner Familie zugefügte Ehrverletzung“ umbrachte. Vor 14 Jahren wurde schließlich – begleitet von Protesten – zum ersten Mal eine Frau Verfassungsrichterin, Fernanda Contri. Seither hat es eine einzige weitere geschafft, in einem Land, in dem wie anderswo die Justiz langsam mehrheitlich weiblich wird.

„Frauen sind nicht dahin gekommen, wo wirklich entschieden wird“, sagt Chiara Saraceno. „In der Politik, den Zeitungen, im Fernsehen gibt es sie, aber praktisch nie da, wo das Programm gemacht wird.“ Die wenigen, die ein Stückchen vom Kuchen ergattert hätten, passten sich an und schwiegen über die Frauenfrage. Selbst Frauen schmähten die Quote – in Italien heißt sie bezeichnenderweise „rosa Quote“ – als Reservat, das ihrer unwürdig sei. Über einen Mindestfrauenanteil auf Kandidatenlisten und im Parlament werde viel diskutiert, nirgendwo werde er befolgt – so es ihn überhaupt gibt. Oft unter Mitwirkung der Frauen selbst: Die rechtspopulistische Lega Nord habe die Quote sogar einmal beachtet; nach der Wahl seien die gewählten Frauen dann alle zurückgetreten, um Männern Platz zu machen. Saraceno, die Italiens Politbetrieb aus nächster Nähe kennt, hat beobachtet, dass selbst Politikerinnen, denen Geschlechterfragen wichtig sind, sie noch immer hintansetzen, wenn es machtpolitisch zum Schwur kommt: „In letzter Instanz gehorchen sie ihrem Parteiflügel.“ Mit der Folge frauenfreier oder fast frauenfreier Zonen.

Die Abwesenheit von Frauen in Öffentlichkeit und Machtpositionen hat womöglich auch ein Aufräumen in den Männerköpfen verhindert. „Die Vorstellungswelt Berlusconis“, schrieb der Fernsehjournalist Gad Lerner zum Skandal um die Orgien des Premiers im vergangenen Frühjahr, „ist im Grunde die des Spießer-Italiens der fünfziger Jahre, der Zeit seiner Jugend: Halbstarke und Puffs, Eroberung und Unterwerfung, der Körper der Frau als obsessives Ziel und jene Männerkumpanei bei Ausschweifungen, mit denen sie sich vor allem beweisen, wie mächtig sie sind.“ Die Stripclub-Ästhetik des italienischen Fernsehens gebe es auch in anderen Ländern, aber: „Nirgendwo wird wie bei uns nur dieser eine Frauentyp im Fernsehen gezeigt.“ Caterina Soffici, die in ihrem ebenso wütenden wie unterhaltsamen Buch „Ma le donne no“ („Nur ja keine Frauen“) mit „Europas machistischstem Land“ abrechnet, schreibt: „Die Italienerinnen wollten frei sein und Herrinnen ihres eigenen Lebens. Aber das war eine Illusion.“ Und die müssten sie, wie Soffici mit vielen Beispielen unterlegt, schon begraben, wenn sie einfach nur arbeiten gehen wollten. „Für Italiens Frauen hat es nicht nur keinen Fortschritt gegeben. Sie sind zurückgefallen.“

Dafür hat jener einzige Frauentyp, von dem Gad Lerner spricht, eine unüberschaubare Zahl neuer Frauenkarrieren hervorgebracht: Sie heißen „veline“, „letterine“, „letteronze“, „billionerine“, je nachdem ob sie die langen Beine zur Musikeinlage einer Spielshow schwingen, in einer Quizsendung Buchstaben ins Studio tragen dürfen oder für den sardischen Club „Billionaire“ des früheren Formel-1-Managers Flavio Briatore schaulaufen. Tatsächlich gibt es wenig Unterschiede. Allen gemeinsam und entscheidend ist: Die ragazze sind Beiwerk. Sie haben viel zu lächeln, wenig zu sagen und möglichst noch weniger anzuhaben.

Busen und Beine zeigen statt Zeugnisse und Lebenslauf, das ist zumindest für den politisch-fernsehindustriellen Komplex inzwischen ein normaler Karriereschritt geworden. Die Grenzen zwischen Unterhaltung und Trash, zwischen Unterhaltung und Journalismus sind flüssig geworden und die zwischen der Amüsierindustrie und der Politik scheinen völlig aufgelöst – eh alles eins: Ihre Wandlung von der hochgeschlossenen Parlamentspräsidentin zur Lederdomina im Fernsehen erklärte Irene Pivetti vor zwei Jahren in einem Zeitungsinterview so: „Auch wenn es anders scheint: So sehr habe ich mich gar nicht geändert seit damals, als ich im Dienst des Staates im heißesten August Nylonstrümpfe tragen musste. Die alte Haut abstreifen, sich der Umwelt anpassen, das war immer eine Konstante in meinem Leben. Und das ist nach Darwin doch schließlich die erfolgreichste Überlebensstrategie.“

Dabei ist der wilde Wechsel zwischen Show und Politik nur scheinbar wild. Die Ernennung von Mara Carfagna ausgerechnet zur Gleichstellungsministerin lässt sich als Statement verstehen, das im Gegenteil auf neue Regeln verweist: Wenn ihr Frauen unsere Ämter, Gehälter, öffentlichen Rollen haben wollt, müsst ihr erst einmal zeigen, dass ihr nach unserer Pfeife, ja, tanzt. Während nämlich Starlets für einen Kabinettsposten nur die Strapse gegen den Businessdress eintauschen müssen, werden Frauen, die vermutlich nie Strapse getragen haben, mit Zoten und Beleidigungen niedergemacht. „Sie sind eher schön als intelligent!“ Solche Ausfälle Berlusconis gegen die oppositionelle Sozialpolitikerin Rosy Bindi haben inzwischen Tradition und Methode. Bindi, eine nüchterne Linkskatholikin Anfang sechzig, musste sich sogar ein Werbeplakat gefallen lassen, auf dem ein Fluggästemagazin im Flughafen Rom-Fiumicino im letzten Sommer sie wochenlang zusammen mit Barbara Matera zeigte, einem 29-jährigen TV-Sternchen, das Berlusconi gegen den Protest der eigenen Parteifreundinnen ins Europaparlament geschickt hat. Über beiden Frauen die Frage: „Und mit wem würden Sie in Urlaub fahren?“ Die römische Journalistin Alessandra Longo fragte in ihrer Kolumne zurück: „Und von wem würden Sie sich Ihre Gesetze machen lassen?“

Die Attacken gegen Bindi, ein Starlet als Frauenministerin – die Courtoisie des Cavaliere, der bei jeder Gelegenheit Handküsse verteilt und sich als Frauenverehrer in Szene setzt, scheint vielmehr Aggression zu maskieren und ebenso falsch wie die Empörung seiner Entourage, wenn die Qualifikation der ragazze für die Ämter bezweifelt wird, in die man sie geschubst hat: „Warum macht ihr es einem Mädchen zum Vorwurf, dass es schön ist?“, heißt es da. Caterina Soffici meint, dass umgekehrt ein Schuh draus werde: „Wenn sie nicht schön wäre: Wäre sie dann Ministerin geworden?“ Dass Frauenfreund Berlusconi Frauen in Wirklichkeit hasse, hat schon ein früherer Parteifreund öffentlich vermutet.

Er ist nicht der Einzige, der den Schein infrage stellt, auch nicht der einzige Mann. Immer mehr Italiener stellen fest, dass der archaische Männlichkeitskult, der mit amore weniger zu tun hat als mit Gewalt, auch ihr Leben vergiftet. Das Busen-Beine-Po-Ballett, in dem sich der Vorrat öffentlicher Frauenbilder in seinem Land erschöpft, ist etwa für Stefano Ciccone Ausdruck jener uralten Geschlechterordnung, die auch die Männer degradiert: „Der Mann existiert dadurch, dass er begehrt, die Frau existiert, weil sie begehrt wird, nur durch den Blick der Männer“, sagt der römische Wissenschaftler, der sich in Italiens kleiner Männerbewegung engagiert. Wer da als Mann nicht mitspiele, sei rasch als Waschlappen oder als frocio, Schwuler, gebrandmarkt. Und auch für einen Mann sei es doch herabsetzend, nicht begehrt zu werden.

Überhaupt, scheibt der Bologneser Historiker Sandro Bellassai in seinem Buch „La mascolinità contemporanea“ (Männlichkeit heute), müsse man sich vernünftigerweise stärker mit Männlichkeit auseinandersetzen: Das aggressive Männlichkeitskonzept, das Ende des 19. Jahrhunderts aus einer allgemeinen Krise entstand und das vor allem andern Frauenhass, Homophobie und ein wild gewordener Virilismus kennzeichneten, sei schließlich „eines der Bindemittel der modernen Gesellschaft“ gewesen. Und das sei heute alles andere als überwunden.

Zur Startseite