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Die Bundeswehr ist an der MINUSMA-Mission der UN beteiligt (Archivfoto).
© PICTURE ALLIANCE / DPA

UN-Friedenstruppen: Wenn Blauhelme zum Problem werden

UN-Friedensmissionen taugen nicht zur Terrorismusbekämpfung. Ein Gastbeitrag.

Wenn in den nächsten Tagen Politiker und Sicherheitsexperten in München zusammenkommen, wird es um die Erosion der internationalen Ordnung und die Konflikte zwischen den Großmächten gehen. Die Friedenseinsätze der Vereinten Nationen, ihre Probleme und ihre weitere Entwicklung werden allenfalls ein Thema am Rande sein – obzwar sie mehr Aufmerksamkeit verdienten. Denn die Kluft zwischen oftmals hohen Erwartungen an Friedensmissionen und ihrem tatsächlichen Leistungsvermögen ist groß.

Die Bundesregierung hat 2017 in ihren Leitlinien zur Krisenverhinderung, Konfliktbewältigung und Friedensförderung die Bereitschaft zu einem stärkeren Engagement in friedenserhaltenden VN-Missionen in Aussicht gestellt. Sie wird als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat in diesem und nächsten Jahr mehr noch als bisher mit der Frage konfrontiert sein, wann und unter welchen Bedingungen VN-Friedensoperationen unterstützt werden sollen. Die Einsätze, die unter diesen weiten Begriff fallen, unterscheiden sich sowohl im Mandat als auch in der personellen Ausstattung – und beschränken sich oftmals nicht auf militärisches Peacekeeping, sondern haben multidimensionalen Charakter. Und Blauhelme kommen vermehrt auch dort zum Einsatz, wo noch kein Frieden existiert, der zu bewahren wäre. Werden Blauhelme in Länder entsandt, in denen entweder keine tragfähige Friedensvereinbarung existiert oder gar die Gewaltkonflikte andauern, sind die Erfolgsaussichten eher gering.

Die Kluft zeigt sich in Mali am klarsten

Funktionen und Formen des Peacekeeping haben sich im Laufe der Zeit auf operativer Ebene beträchtlich gewandelt. Doch halten die VN erklärtermaßen an den drei klassischen Grundprinzipien des Peacekeeping fest: Zustimmung der Konfliktparteien, Unparteilichkeit und Anwendung militärischer Gewalt nur zum Zwecke der Selbstverteidigung und, wie es heißt, zur Verteidigung des Mandats. Das bedeutet: Militärische Gewalt soll nur angewendet werden, wenn dies zum Schutz von Zivilisten und zur Abwehr von „Störern“ eines Friedensprozesses unvermeidlich ist.

Nirgendwo ist die Kluft zwischen überkommenen, aber umgedeuteten Prinzipien und der Einsatzrealität größer als in einigen Stabilisierungsmissionen in Afrika, namentlich in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) und in Mali. Im Rahmen dieser Missionen werden staatliche Kräfte auch mit offensiven militärischen Operationen gegen nichtstaatliche Kräfte unterstützt. Im Kongo erweiterte der Sicherheitsrat im März 2013 in Resolution 2098 das Mandat der MONUSCO und autorisierte die erste offensive Streitmacht im Rahmen einer VN-Peacekeeping-Mission. Die Interventionsbrigade ist ermächtigt, „gezielte offensive Operationen“ durchzuführen, „um die Ausdehnung aller bewaffneten Gruppen zu verhindern, diese Gruppen zu neutralisieren und sie zu entwaffnen“. Das im April 2013 erteilte Mandat der Mali-Mission MINUSMA enthält keine derart offensive Ausrichtung, aber faktisch wurde auch eine offensive Streitmacht für den Kampf gegen islamistische Rebellen im Norden Malis legitimiert – und zwar in Gestalt der nicht unter VN-Kommando agierenden französischen Kräfte.

Die Annahme, Peacekeeper hätten keine Feinde, ist oft falsch

Solche Stabilisierungsmissionen sind Einsätze in andauernden Gewaltkonflikten; es sind Einsätze zur Unterstützung von Regierungen in ihrem Kampf gegen spezifische identifizierte Gruppen, die nicht als legitime, in eine politische Friedensregelung zu integrierende Konfliktparteien angesehen werden. Vielmehr handelt es sich dabei um Akteure, die faktisch als Feinde gelten, die zu besiegen sind. Diese Charakteristika unterscheiden solche Stabilisierungseinsätze von anderen friedenserhaltenden Einsätzen der VN.

Die Trennlinie wird in scharfer Form sichtbar, wenn man sich den normativen Kern des Peacekeeping und dessen Grundprinzipien vor Augen führt. Peacekeeping bedient sich militärischer Mittel, doch mit einem grundlegenden Unterschied zu anderen Formen des Einsatzes oder der Androhung militärischer Gewalt: nämlich der leitenden Annahme, Peacekeeper hätten keine Feinde; keine Feinde, die militärisch zu besiegen oder zu neutralisieren sind, Feinde, deren Tötung erlaubt ist, solange der bewaffnete Konflikt anhält und die Regeln des humanitären Völkerrechts beachtet werden.

Blauhelme ergreifen Partei - und werden zum Problem

Die Bereitschaft zum robusten und proaktiven Einsatz militärischer Gewalt mag in vielen Friedensmissionen erforderlich sein, um Zivilisten zu schützen. Folgt Peacekeeping jedoch einer Stabilisierungs- und Antiterrorismuslogik und geraten Einsätze immer robuster und proaktiver, werden die Blauhelme Teil des Problems und Konfliktpartei – mit all den Risiken und unbeabsichtigten Folgewirkungen, die damit einhergehen können. Es sind besonders drei Risiken zu identifizieren.

Erstens: Wenn Blauhelme faktisch Partei ergreifen, beruht dies auf einer Einschätzung, welches die zu neutralisierenden „Störer“ sind, darunter insbesondere Milizen und Banden, die den Friedensprozess und/oder die Sicherheit der Zivilbevölkerung bedrohen. Sicher existieren in manchen Fällen Akteure, etwa dschihadistische Gruppen, die sich nicht in einen politischen Prozess integrieren lassen. Aber in vielen Fällen nutzen Akteure Gewalt als Taktik, um politische Ziele im Rahmen einer Kompromisslösung durchzusetzen. Solche Akteure gelten im Rahmen des Peacekeeping nicht als Feinde, die notfalls zu töten sind, sondern als Mitglieder einer Gesellschaft, in der der Frieden zu erhalten oder aufzubauen ist. Daraus leiten sich besondere normative Beschränkungen für den Einsatz militärischer Gewalt ab, nämlich die Verpflichtung zu einem auf das notwendige Mindestmaß beschränkten abgestuften Einsatz.

Zweitens ist mit dem Risiko oder Nebeneffekt zu rechnen, dass die Unterstützung von VN-Friedenstruppen bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen den Anreiz für die Regierung des betroffenen Landes verringert, sich den Problemen zuzuwenden, die zu einem Aufstand geführt haben, und sich um politische Lösungen zu bemühen.

Der Nutzen von Peacekeeping ist begrenzt, aber nicht zu unterschätzen

Drittens zielen Stabilisierungsmissionen wie im Falle der DR Kongo auf die territoriale Ausdehnung staatlicher Autorität. Was als Teil der Stabilisierung gedacht ist, kann negative Folgen haben. Eine Kennerin der Situation im Kongo hat diesen unerwünschten Nebeneffekt einmal wie folgt beschrieben: „Unglücklicherweise führt die Ausdehnung der Autorität eines räuberischen Staates nur dazu, dass eine Gruppe von Tätern (ausländische und kongolesische Rebellen) durch eine andere ersetzt wird (staatliche Machthaber und staatliche Sicherheitskräfte).“

Es sprechen gewichtige Gründe dafür, Peacekeeping als eine qualitativ von Kampf- und Kriegseinsätzen zu unterscheidende Praxis von begrenztem, aber nicht zu unterschätzendem Nutzen zu bewahren. Die Militarisierung des Peacekeeping und die Einbettung in eine fragwürdige Stabilisierungs- und Antiterrorismuslogik sind problematische Entwicklungen. Sie führen dazu, dass Blauhelme zur Partei in bewaffneten Konflikten werden, die VN zweifelhafte Regime politisch und moralisch unterstützen und damit ihre Rolle als Vermittler gefährden. VN-Friedensmissionen sollten nicht mit Aufgaben überfrachtet werden, die ihren normativen Anspruch untergraben und ihre Legitimität eher schwächen als stärken.

- Der Autor ist Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik

Peter Rudolf

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