Söder vs. Habeck beim „Duell der Herzen“: Wenn aus BMW die Büsumer Motorenwerke werden
Vor dem Triell das Duell: Die Fast-Kanzlerkandidaten von Union und Grüne zeigen, wie inhaltlicher Wahlkampf gehen kann - für Laschet wird es immer dramatischer.
Bloß nicht über Armin Laschet reden. Ganz zu Beginn des als „Duell der Herzen“ angekündigten Zweikampfes der Fast-Kanzlerkandidaten Markus Söder (CSU) und Robert Habeck (Grüne) – übertragen von Vice, Spiegel und t-online - betont Moderator Sven Böll: „Wir wollen nicht über Personalfragen reden, wir wollen über Inhalte reden.“
Das hört sich sehr danach an, dass Habeck und Söder im Vorfeld das verlangt haben, um bloß kein weiteres Öl in die Debatten über die Eignung von Annalena Baerbock und Armin Laschet zu gießen – und um Auswechseldebatten nicht weiter zu befeuern.
Und es ist zugleich auch wohltuend, dass konzentriert und aufschlussreich wirklich nur über Inhalte gestritten wird. Richtig hoch her geht es beim Thema Beschleunigung des Klimaschutzes.
Habeck hält Söder vor, er vernachlässige den Ausbau der Windkraft an Land: „Sie werden in den nächsten Jahren Strom-Importland.“ Söder verweist auf weniger Wind, Bayern haben zudem massiv die Solar- und Bioenergie ausgebaut. „Stellt Euch mal vor, wir wollten Euren ganzen Windstrom nicht“, fragt er Habeck. Was denn dann passiere? „Das kann ich Ihnen sagen, dann würden aus BMW die Büsumer Motorenwerke“, meint Habeck, denn die Industrie gehe dort hin, wo es genug Energie gebe.
Söder pocht auf eine drastische Planungsbeschleunigung, gerade für Stromleitungen und Schienennetze. „Die Verfahrenswege sind so unendlich lang geworden.“ Habeck kontert, beim Großprojekt Südlink, mit dem Windstrom aus dem Norden auch nach Bayern kommen soll, habe es einen Planungsbeschluss gegeben, dann habe die damalige bayerische Landesregierung von Horst Seehofer das blockiert und wollte alles unter die Erde bringen. „Das hat uns drei Jahre gekostet.“
Söder zur Lastenrad-Förderung: "Lächerlich"
Zur Frage „Inlandsflüge verbieten?“, sagt Söder: „Nein“. Habeck antwortet: „Unnötig machen.“ Beim Thema Kohleausstieg hat es Söder leichter als Laschet mit dem Braunkohlerevier im Rheinland. „Ich krieg ja in meiner Parteienfamilie oft Ärger, wenn ich sage, wir müssen schneller raus aus der Kohle.“
Habeck räumt ein, dass auch ein früherer Kohleausstieg so eine Flutkatastrophe wie in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz nicht verhindert hätte. „Das war auch ein singuläres Unglück.“ Aber diese nähmen eindeutig zu.
Das Duell Söder vs. Habeck ist am lebendigsten, wenn sie direkt streiten. Als es um die Mobilität der Zukunft geht, sagt Söder in den Vice-Räumlichkeiten, dem ehemaligen Königlichen Hofbaudepot: Die von den Grünen ins Spiel gebrachte Förderung von 1000 Euro für ein Lastenrad löse die Probleme im ländlichen Raum jetzt nicht so, „das finde ich etwas lächerlich“.
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Der Streit um den Verbrenner und das Tempolimit
Bei der Frage, wann der Verbrennungsmotor verboten werden solle, sagt Söder: „2035 und dann brauchen wir kein Tempolimit.“
Habeck will 2030 – und das Tempolimit sei davon bitteschön zu trennen, die „Dinger“ seien heute schon ganz schön schnell und würden noch schneller, er fahre auch ein entsprechendes Mobil im Wahlkampf. Die Grünen wollen bekanntlich das Tempolimit von 130 auf deutschen Autobahnen zur Bedingung für einen Koalitionsvertrag machen, sei es mit der Union oder der SPD.
Neuer Umfrageschock für Laschet: CDU, 21, SPD 24 Prozent
Das Rennen ist offen wie nie, im aktuellen ZDF-Politbarometer liegt die SPD dank des Zuspruchs für Kanzlerkandidat Olaf Scholz mit 22 zu 22 Prozent gleichauf mit der Union, die Grünen sind mit 20 Prozent in Schlagweite. In anderen Umfragen hat die SPD die Union schon überflügelt: In einer neue Insa-Umfrage für die "Bild am Sonntag" liegt die SPD bei 24 Prozent, die Union kommt hier mit 21 Prozent auf ihren schlechtesten, jemals gemessenen Wert.
Zum Vergleich: bei der Bundestagswahl 2017 lag die Union bei 32,9 Prozent, die SPD bei 20,5 Prozent und die Grünen bei 8,9 Prozent. Damit drohen vor allem CDU/CSU historische Verluste. Entsprechend steht Laschet unter großen Druck, das Blatt noch zu drehen.
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"Wir bekommen eine Pandemie der Jüngeren und Ungeimpften“
Bei der Pandemie sind sich beide weitgehend einig: Sie sei noch nicht vorbei, Söder sorgt die marginale Impfquote in Afrika, so können immer wieder neue, gefährlichere Mutationen entstehen. „Die Pandemie ist ein Biest, sich verändert sich immer weiter“, sekundiert Habeck.
Wer sage, Weihnachten sei sie vorbei, lüge – das könne keiner jetzt seriös sagen. „Wir bekommen eine Pandemie der Jüngeren und Ungeimpften“, fürchtet Söder.
Es werde bei den steigenden Infektionszahlen zwangsläufig eine Debatte um mehr „2G“ geben – also Zutritt nur noch für Geimpfte und Genesene. „Wer zweifach geimpft ist, stellt eine geringere oder gar keine Gefahr mehr da.“
Habeck würde heute zur Bundeswehr gehen - vielleicht ...
Beide loben einhellig den Einsatz der fast 600 Bundeswehrsoldaten bei der hochgefährlichen Evakuierungsmission der Bundeswehr in Afghanistan. Ende der 1980er-Jahre habe er den Wehrdienst verweigert, heute würde ihm dies schwerer fallen. Er habe im Kalten Krieg den Sinn nicht gesehen, zur Bundeswehr zu gehen. Aber: „Die Sinnhaftigkeit der Bundeswehr ist heute auch persönlich für mich viel stärker zu sehen.“
Söder betont, der Einsatz sei nicht komplett gescheitert, „das Ende war schlecht“. Aber er habe auch 20 Jahre vor Terror geschützt, diese Kernaufgabe sei erfüllt worden.
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Habeck für Bargeldobergrenze
Kontroverser ist das Thema Finanzen, Söder war mal in Bayern Finanzminister, Habeck wird für das Amt des Bundesfinanzministers gehandelt, auf das aber auch schon FDP-Chef Christian Lindner Anspruch angemeldet hat, am liebsten in einer Jamaika-Koalition.
„Ich mache mir Sorgen um die Union, sie hat offensichtlich das Rechnen verlernt“, so Habeck. „Wo soll das Geld herkommen, wenn die Steuern gesenkt werden und die Union die Schuldenbremse schneller einhalten will? Das schlägt dem Fass schon rein logisch den Boden aus.“ Zudem fordert der Grünen-Co-Chef eine Bargeldobergrenze in Deutschland. „Deutschland gilt als Geldwäscheparadies.“ Gerade der Immobilienmarkt sei eine Waschanlage für Drogengelder. „Das ist schon ein dicker Hund.“
Habeck vermeidet bei dem Duell jede Bemerkung Richtung Annalena Baerbock, der er vorgeworfen hatte, sie hätte die “Frauenkarte“ gespielt sei und nur deshalb Kandidatin geworden.
Und dann kommt doch noch eine Söder-Spitze
Die einzige Spitze, die sich Söder, der von seinem Generalsekretär zum „Kandidaten der Herzen“ ausgerufen wurde, gegen Laschet leistet, ist folgender Dialog mit der Moderatorin Melanie Amann (Spiegel).
Es geht um eine Frage zum Unionsprogramm, Söder schweift aber auf die Lage in Bayern ab. „Aber Herr Laschet will Bundeskanzler werden, nicht Ministerpräsident von Bayern“, wirft Amann ein. „Da bin ich froh drüber, das würde mich jetzt nochmal zusätzlich verunsichern, wenn das noch dazukäme“, antwortet Söder.
Er ist nicht nur vom CDU-Wirtschaftspolitiker Friedrich Merz ermahnt worden, die Sticheleien gegen Laschet einzustellen und zu zeigen, dass er den Wahlsieg der Union überhaupt will. Einige Mitglieder in der CDU unterstellen Söder inzwischen, dass er Laschet scheitern sehen will, damit er dann beim nächsten Mal Unions-Kanzlerkandidat werden kann.
Wenn Laschet erstmal Kanzler sei, werde das schwieriger, Söder blicke nur darauf, bei der Landtagswahl 2023 ein möglichst starkes Ergebnis zu erzielen, um danach der natürliche Kanzlerkandidat 2025 zu sein, wird betont.
CDU-Vorstand: Laschet soll noch ein Regierungsteam aufstellen
Laschet selbst will versuchen, an diesem Sonntag im ersten von drei TV-Triellen (20.10 Uhr RTL und ntv) gegen Scholz und Baerbock zu punkten - bisher bekommt er aber Vizekanzler Scholz kaum gepackt, der sich als natürlicher Nachfolger von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) inszeniert. Ex-SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sieht Laschet wegen der internen Zweifel an ihm, in einer verhängnisvollen Abwärtsspirale.
In der Union mehren sich die Forderungen an Laschet, doch noch ein Kompetenzteam aufzustellen, um mit frischen Gesichtern im Bundestagswahlkampf einen Aufbruch zu schaffen. Er erwarte, dass Laschet in den letzten vier Wochen mit einem Regierungsteam um Unterstützung werbe und damit deutlich mache, wer für welche Themen in der Union steht, sagte das Bundesvorstandsmitglied Christian Baldauf dem Tagesspiegel.
„Das würde unsere Siegeschancen erhöhen“ betonte Baldauf, der auch Fraktionschef der CDU im rheinland-pfälzischen Landtag ist. Mit Blick auf das TV-Triell, betonte Baldauf: „Unser Kanzlerkandidat muss den Zuschauern klar machen, dass es um eine Richtungsentscheidung für Deutschland geht.“
Die Union versucht nun vor allem die Gefahr einer rot-rot-grünen Regierung zu beschwören, Scholz hat sich hierzu unter anderem wegen der Nato-Absage der Linken skeptisch geäußert und Baerbock sagte nun den Zeitungen der Funke-Gruppe, die Linke habe sich „gerade ziemlich ins Abseits geschossen, als sie nicht mal bereit war, die Bundeswehr dabei zu unterstützen, deutsche Staatsangehörige und Ortskräfte aus Afghanistan zu retten".
Der "Scholz"-Effekt versetzt die Union in Angst
Wie wichtig die TV-Debatten sind, zeigt eine Zahl: Laut ZDF-Politbarometer wissen 48 Prozent noch nicht, ob und wen sie wählen.
An der CDU-Basis ist die Stimmung bescheiden, das zeigen Recherchen in Wahlkreisen im Sauerland und Brandenburg. Hier ist von einem historischen Fehler, nicht Söder nominiert zu haben, die Rede. Vielerorts wird nun auf Personalisierung statt Partei gesetzt, um zumindest die Erststimme, die über die Direktkandidaten entscheidet, zu gewinnen. Von einem Laschet-Malus und einem einem „Olaf-Scholz-Effekt“ für die SPD ist hier die Rede. Der britische „Economist“ titelte bereits zu seinem überraschenden Höhenflug: „What a time to be Olaf“.