Grundschulen: Weniger Unterricht als Berlin bietet kein Bundesland
Die ersten Klassen sind die Basis für die gesamte Schullaufbahn, aber die Hauptstadt spart an den Stunden. "Besonders bedenklich" findet das ein Forscher.
Berliner Grundschüler bekommen weniger Unterricht geboten als die Altersgenossen anderer Bundesländer. Der Abstand zu Hamburg beträgt bis zu sieben Pflichtstunden pro Woche. Dies belegt eine Auswertung der Kultusministerkonferenz (KMK) für das aktuelle Schuljahr. Der Berliner Grundschulforscher Jörg Ramseger wertet das als einen „großen Nachteil“ für die Berliner Schüler. Dies sei „besonders bedenklich“, da in den ersten Klassen die Basis für die gesamte Schullaufbahn gelegt werde.
Aus den KMK-Angaben geht hervor, dass Berlins Schüler in der ersten Klasse 20 Stunden Pflichtunterricht haben, in der zweiten 21, in der dritten 24 und der vierten Klasse 27 – in der Summe also 92 in den ersten vier Klassen. Hingegen kommen die Hamburger auf eine Summe von 108 Stunden und die Bayern auf 104. Lediglich Hessen und Schleswig-Holstein liegen mit Berlin gleichauf.
"Unbestreitbarer Zusammenhang"
Die SPD-geführte Bildungsverwaltung verwies darauf, dass in Berlin Religion kein Pflichtfach ist. Dadurch erkläre sich ein Teil des Rückstands. Diesen Einwand lässt Ramseger nicht gelten. „Auch Religions- oder Ethikunterricht bietet den Schülern Bildungs- und Sprechanlässe“, sagte der Wissenschaftler, der als Primarforscher an der Freien Universität jahrzehntelang über Grundschulen gearbeitet hat. Zahlreiche Studien würden den „unmittelbaren Zusammenhang“ zwischen der Menge des Unterrichts und dem Lernerfolg belegen. Das sei „unbestreitbar“.
Angesichts der Tatsache, dass Berlins Kinder im Bundesvergleich überdurchschnittlich häufig aus Sozialtransferfamilien stammten oder Deutsch nicht als Muttersprache sprächen, sei der Umgang des Unterrichtsangebots umso wichtiger, so Ramseger. Da Berlin zudem ein massives Problem mit dem Lehrermangel an Grundschulen hat, sprach Ramseger von einem „doppelten Drama“: Bei den letzten Einstellungen war jeder zweite neue Grundschullehrer Quereinsteiger.
Berlins Schüler liegen ganz hinten
Wie schlecht Berlins Grundschüler dastehen, hatte die jüngste Studie des Instituts für Qualität im Bildungswesen (IQB) erneut belegt: In Berlin erreichte jeder dritte Viertklässler nicht die Mindeststandards in Orthografie, bundesweit galt das nur für jeden fünften. Auch im Lesen und in der Mathematik liegt Berlin mit Bremen ganz hinten.
Die Berliner CDU hat daher durchgesetzt, dass es am 18. Januar im Abgeordnetenhaus eine Anhörung zu den IQB-Ergebnissen geben wird. Die Ausgangsfrage soll lauten, wie man die Berliner Grundschule stärken kann. Bei der Suche nach Lösungen der Probleme dürfe es „keine Tabus geben“, forderte am Dienstag die bildungspolitische CDU-Sprecherin Hildegard Bentele. Daher sei auch über die Stundentafel zu sprechen, sagte sie in Übereinstimmung mit dem bildungspolitischen Sprecher der FDP-Fraktion, Paul Fresdorf.
Anhörung im Abgeordnetenhaus
Die Bildungsexpertinnen von SPD und Grünen, Maja Lasic und Marianne Burkert-Eulitz, hingegen wiesen darauf hin, dass Berlins Schüler statt vieler Pflichtstunden mehr Förderunterricht und bessere Ganztagsbetreuung als andere Bundesländer hätten. Das sei unter Umständen wirksamer. Allerdings wird der Förderunterricht bevorzugt als Steinbruch für Vertretungsunterricht genutzt und kommt somit nicht voll zum Tragen.
Wie stark Berlins Grundschüler leistungsmäßig abgeschlagen sind, wird Jahr für Jahr auch daran deutlich, dass die bundesweiten Vergleichsarbeiten der Drittklässler, Vera 3, eine massive Überforderung zeigen. Berlins rot-rot-grüne Regierung hatte sich daher in ihrer Koalitionsvereinbarung 2016 sogar vorgenommen, die Arbeiten erst in Klasse 4 schreiben zu lassen. Dies war aber, wie berichtet, in der KMK nicht durchsetzbar.
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