Lagebericht zur Rauschgiftkriminalität: Weniger Ecstasy, mehr Kokain und Crystal
Für Drogenaktivitäten im Internet habe Corona wie ein Katalysator gewirkt, berichten Fahnder. Vor allem der Handel mit Kokain und Crystal legte zu.
Die Corona-Pandemie hat die Verfügbarkeit und den Konsum von Drogen in Deutschland keineswegs verringert. Im Gegenteil. Ungeachtet aller Einschränkungen sei die Rauschgiftkriminalität in Deutschland weiter gestiegen, heißt es in einem aktuellen Lagebericht des Bundeskriminalamts (BKA). Mit bundesweit 365.753 Drogendelikten wurde im vergangenen Jahr erneut ein Anstieg um 1,7 Prozent registriert – zum zehnten Mal in Folge.
Insgesamt starben durch den Konsum illegaler Drogen hierzulande 1581 Menschen, 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Und auf den Drogenhandel im Netz habe Corona „wie ein Katalysator gewirkt“, sagte BKA-Präsident Holger Münch. Das Internet habe sich „als Vertriebs- und Bezugsmöglichkeit fest etabliert“, auch weil sich Konsumenten in der vermeintlichen Anonymität dort sicherer fühlten als beim persönlichen Kontakt zu Straßenhändlern.
Rückgang bei der Partydroge Ecstasy
Beobachtet werden konnten im Pandemiejahr lediglich zwei positive Entwicklungen. Zum einen verzeichneten die Fahnder einen deutlichen Rückgang beim Handel mit der Partydroge Ecstasy. Er betrug 11,8 Prozent und ist nach Ansicht von BKA-Präsident Holger Münch wohl vor allem auf die Schließung zahlreicher Clubs und Diskotheken zurückzuführen. Zum andern gab es eine verstärkte Nachfrage nach Substitionsbehandlungen durch schwer Abhängige, die aufgrund der Pandemie-Maßnahmen offenbar deutlich schwerer oder gar nicht mehr an ihre Drogen kamen.
Dafür gingen die Zahlen für andere Drogen steil nach oben. Den größten Zuwachs gab es bei den Neuen Psychoaktiven Stoffen (NPS), die Zahl der Handelsdelikte stieg hier gegenüber dem Vorjahr um mächtige 16,2 Prozent. Beim Kokain betrug das Plus 9,6 Prozent. Die Gesamtsicherstellungsmenge lag bei elf Tonnen – ein neuer Rekord, der allerdings nach der Sicherstellung von 16 Tonnen Kokain im Hamburger Hafen im Februar dieses Jahres nochmal überboten werden wird. Im Jahr 2018 hatten die Fahnder lediglich fünf Tonnen, im Folgejahr dann bereits gute zehn Tonnen konfisziert.
Immer mehr Crystal aus den Niederlanden
Besonders erschreckend ist die Steigerungsrate beim sogenannten Crystal, also kristallinem Methamphetamin. Sie betrug im vergangenen Jahr stattliche 7,2 Prozent – zur Überraschung der Fahnder, die bei dieser synthetischen Droge eigentlich keinen weiteren Zuwachs mehr erwartet hatten. „Wir dachten, wir hätten dieses Problem im Griff“, sagte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig. Die meisten Modellprojekte zu dieser Droge seien mittlerweile ausgelaufen. Die neue Entwicklung sei „besorgniserregend“.
Zurückzuführen ist sie nach den Worten von BKA-Chef Münch vor allem auf die zunehmende Verlagerung der Produktion von Tschechien in die Niederlande. In den dortigen Laboren könnten weit größere Mengen an Crystal hergestellt werden. Deutschland befinde sich bei dieser Droge nun in einem „Klammergriff von Ost und West“, klagte Ludwig. Dem Lagebericht zufolge wurden in den Niederlanden im vergangenen Jahr mehr als 30 illegale Labore zur Herstellung und/oder Re-Kristallisation von Methamphetamin ausgehoben. Und ein weiterer wichtiger Herkunftsstaat ist Mexiko. Damit setze sich „der Trend fort, dass neben der Tschechischen Republik auch andere Staaten und Regionen als Herkunft von in Deutschland gehandeltem Methamphetamin bzw. Crystal an Bedeutung gewinnen“.
BKA-Chef gegen Legalisierung von Cannabis
Das meistgehandelte Betäubungsmittel war wie in den Jahren zuvor auch 2020 wieder Cannabis. Der Anteil dieser „weichen“ Droge an allen Rauschgiftdelikten betrug nach BKA-Angaben zwei Drittel. Insbesondere in Spanien sei die Marihuana-Produktion nochmals stark erhöht worden, berichtete Münch. Rückläufig dagegen war der Handel mit Heroin: Die der Polizei bekannt gewordenen Fälle gingen um 4,9 Prozent zurück. Es könne hier „jedoch weiterhin von einer weitreichenden Verfügbarkeit und der fortgesetzten Nachfrage auf dem deutschen Rauschgiftmarkt ausgegangen werden“, hieß es – und zwar nicht zuletzt deshalb, weil nach Schätzungen des United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) die Schlafmohn-Anbauflächen in Südwestasien im vergangenen Jahr nochmal 2020 angewachsen seien.
Forderungen nach einer Legalisierung von Cannabis erteilte der BKA-Chef eine Abfuhr. In Kanada habe sich gezeigt, dass der Konsum dadurch erheblich gestiegen sei. Und auch eine Reduzierung der Rauschgiftkriminalität sei durch den legalen Verkauf von Cannabis nicht zu erwarten. Stattdessen werde es zu „Verdrängungseffekten“ und „Vermischungen“ kommen, prophezeite der Experte. Es gebe schließlich kaum Tätergruppen, die sich allein auf den Vertrieb von Cannabisprodukten beschränkten.
„Immer brutaler und skrupelloser“
Die Drogenbeauftragte sieht das genauso. „Lifestyle-Debatten, welche Droge als erstes legalisiert werden könnte, sind absolut falsch“, sagte Daniela Ludwig. Wer solches fordere, verkenne, dass es beim Drogengeschäft um ganz anderes gehe: „Geldwäsche, Menschenhandel, Prostitution…“ Die Straftaten im Zusammenhang mit Rauschgift würden „immer brutaler und skrupelloser“. BKA-Chef Münch bestätigte diesen Trend. Die organisierte Kriminalität und Bandenkriminalität habe in Europa und auch in Deutschland „erhebliche Ausmaße angenommen“, sagte er. Die Auswertung der sogenannten EncroChat-Daten aus der verschlüsselten Kommunikation von Kriminellen zeige zudem das wachsende Gewaltpotenzial in diesem Bereich. Jeder vierte, der solche Krypto-Handys benutzt habe, sei auch bewaffnet gewesen, so Münch.
Sie wolle keine „niederländischen Verhältnisse in Deutschland“, sagte Ludwig unter Hinweis auf die Ermordung des niederländischen Journalisten Peter de Vries. „Wir müssen verhindern, dass Kriminelle sich in Deutschland aufführen, als hätte ihr Tun keinerlei Konsequenzen, als befänden sie sich in einem rechtsfreien Raum.“ Im Kampf gegen Drogenkriminalität müsse man jetzt „nochmal eine Schippe drauflegen“, forderte die CSU-Politikerin. Gleichzeitig müsse man mit noch mehr Kraft und Tempo in Prävention und Aufklärung gehen, damit noch früher und flächendeckend in Schulen und im Zweifel auch schon im Kindergarten beginnen. „Wir können den Trend nur brechen, wenn wir mehr Menschen überzeugen, keine Drogen zu nehmen“, so Ludwig.
Lob für „portugiesisches Modell“
Positiv äußerte sich die Drogenbeauftragte allerdings gegenüber dem sogenannten portugiesischen Modell, wo Drogenbesitz nur als Ordnungswidrigkeit und nicht als Straftat gewertet und mit Hilfsangeboten verknüpft wird – jedoch nur bezogen auf Cannabis. Den Verzicht auf Bußgelder von der Bereitschaft zu einer Beratung abhängig zu machen, sei ein „extrem intelligenter Ansatz“, sagte Ludwig. Ähnliche Modellprojekte liefen auch seit längerem in Deutschland unter dem Titel „Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten“ (FreD), die Rückmeldungen seien sehr gut.
Was die beständigen Steigerungsraten beim Handel und Konsum mit Kokain betrifft, forderte Ludwig für die nächste Legislatur besondere und speziell auf diese Droge ausgerichtete Kampagnen. Mit der Frage, welche Bevölkerungsschichten aus welchem Grund hierzulande Kokain konsumieren und wie man ihnen helfen kann, beschäftige sich derzeit eine Studie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf. Ergebnisse seien zum Ende des Jahres zu erwarten, so die Drogenbeauftragte.