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Bei Ermittlungen gegen Clankriminalität durchsuchten Spezialkräfte der Polizei auch rund 30 Objekte in Nordrhein-Westfalen.
© Marcel Kusch/dpa

Trojanische Telefone: So gelang der weltweite Schlag gegen Drogenkriminalität

Mehr als 800 Personen wurden in 16 Ländern bei Razzien gegen das organisierte Verbrechen verhaftet. Wie gelang den Fahndungsbehörden dieser Coup?

Im Zuge weltweiter Razzien gegen das organisierte Verbrechen hat es in Deutschland mehr als 70 Festnahmen gegeben. Schwerpunkt war Hessen, hier wurden bei den am Montag gestarteten Durchsuchungen mehr als 60 Personen aus dem Drogenmilieu festgenommen. Ungefähr 1500 Polizeibeamte waren im Einsatz. Die Maßnahmen sind nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Hessen noch nicht abgeschlossen.

Internationale Ermittler haben nach Angaben von Europol bei dem Einsatz gegen das Organisierte Verbrechen mehr als 800 Verdächtige in mehr als 16 Ländern festgenommen. Es sei eine der bislang größten internationalen Polizei-Operationen gewesen, teilte Europol am Dienstag in Den Haag mit. Mehr als 700 Häuser seien durchsucht worden, mehrere Tonnen an Drogen beschlagnahmt und große Mengen an Bargeld, Juwelen und Waffen sichergestellt worden.

Über 18 Monate lang hatten die Ermittler Textnachrichten der Banden mitgelesen. Mehr als 27 Millionen Nachrichten seien gefiltert worden. Der Schlag war gelungen, da Undercover-Beamte und V-Leuten präparierte Telefone in mehr als 300 Banden weltweit eingeschleust hatten – bei Mafia-Banden in Italien, Rocker-Gangs und internationalen Drogen-Syndikaten.

Wie funktionierte das technisch?

Kriminelle nutzen sogenannte Krypto- Handys und speziell darauf installierte Apps, um untereinander verschlüsselt miteinander kommunizieren zu können. In diesem Fall nutzten sie unbewusst Telefone, die vorher von der amerikanischen Bundespolizei FBI eingerichtet wurden. Es war dem FBI durch Vertrauenspersonen gelungen, Kriminelle auf die vom FBI selbst betriebene Krypto-Plattform „Anom“ zu locken.

Dadurch konnten Ermittler jahrelang Nachrichten wie diese in Echtzeit mitlesen. „Es gibt 2 kg in versiegelten französischen Diplomatenumschlägen aus Bogotta“, schrieb jemand in Bezug auf eine Kokainsendung und ergänzte die Nachricht mit einem Foto der Ladung.

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In einer anderen Nachricht von Mai 2020 fragt ein Nutzer nach dem Preis für Kokain in Hongkong, und ob sein Chatpartner jemanden am Hafen habe, der sie abfertigt. Dieser antwortet: „Der Preis für ein Kilogramm sind 100.000 Australiens.“ Und weiter, man habe niemanden, also keinen korrupten Zollbeamten am Hafen, der die Lieferung durchwinken könnte. Man einigte sich dann darauf, die Drogen in Bananenkisten zu verstecken, ein Beispielbild der Kisten anbei.

Wie ist das FBI an die kriminellen Banden herangekommen?

Die Geschichte begann vor vier Jahren in Kalifornien. In einem Antrag auf Telefonüberwachung vom Mai 2021, über den ein Bezirksgericht zu entscheiden hatte, wird die unglaublich klingende Genese einer der größten Schläge gegen die Organisierte Kriminalität geschildert. Das FBI hatte zunächst 2017 in San Diego gegen die Firma „Phantom Secure“ ermittelt.

Das Unternehmen versorgte Mitglieder international agierender krimineller Organisationen, vor allem Drogenhändler, mit abhörsicheren Handys. Zum Preis von 2000 Dollar pro Stück und nur geeignet für das Senden verschlüsselter Nachrichten. Die Polizei konnte die Geräte technisch nicht knacken, die Gangster fühlten sich sicher.

Einsatzbilder aus Down Under. Bei der internationalen Razzia wurden Drogen, Waffen, Autos Schmuck und Geld beschlagnahmt.
Einsatzbilder aus Down Under. Bei der internationalen Razzia wurden Drogen, Waffen, Autos Schmuck und Geld beschlagnahmt.
© REUTERS

Dennoch gelang es den Behörden im März 2018, den Chef von Phantom Secure, Vincent Ramos, festzunehmen. Und Ramos packte aus. Er gab zu, dass seine Firma den weltweiten Drogenhandel unterstützt hatte. So kam Ramos im Oktober 2018 mit einer Haftstrafe von neun Jahren davon. Das ist für US-Verhältnisse bei schweren Verbrechen dieser Art wenig. Aber über den Fall Ramos kam das FBI offenbar auf eine erfolgversprechende Idee.

Agenten warben einen kriminellen IT-Profi als V-Mann an, der ohnehin schon dabei war, für Kriminelle die nächste Generation von Kryptotelefonen und die Verschlüsselungs-App „Anom“ zu entwickeln. Dem Mann wurde eine milde Strafe versprochen, wenn er Anom dem FBI zur Verfügung stellt und er als Vertrauensperson Verbrecherbanden anlockt. So begann das FBI die „Operation Trojan Shield“. Und Anom wurde so konfiguriert, dass die Polizei jede Nachricht mitlesen konnte – ohne dass die Verdacht schöpften.

Welche Dimension bekam „Trojan Shield“?

Das FBI kooperierte zunächst vor allem mit der Bundespolizei von Australien. Inzwischen wird Anom in mehr als 90 Staaten von Kriminellen genutzt. Schwerpunkte sind auch Deutschland, die Niederlande, Spanien und Serbien. Das FBI identifizierte über Trojan Shield gemeinsam mit Europol mehr als 300 international aktive kriminelle Organisationen als Nutzer von Anom, darunter die italienische Mafia, Rockerbanden und Narco-Kartelle. Der Zulauf zu Anom wuchs allerdings noch, als zwei weitere Kryptonetze zerschlagen wurden.

Im Juli 2020 legten die Sicherheitsbehörden von Frankreich und den Niederlanden die Plattform „Encrochat“ lahm. Die Operation habe europaweit „Schockwellen in die kriminelle Unterwelt“ gesandt, heißt es in einer Mitteilung von Europol vom Dienstag. Dazu passt eine Meldung der Staatsanwaltschaft Dresden vom Dienstag.

Sie hat zwei deutsche mutmaßliche Drogenhändler angeklagt, die auch über Encrochat kommuniziert haben sollen. Den Männern wird vorgeworfen, bei einem Lieferanten in Berlin 23 Kilo Marihuana für mehr als 100 000 Euro gekauft zu haben.

Im März 2020 folgte dann ein weiterer Schlag gegen ein Kryptonetz. Die Ermittler in Frankreich, den Niederlanden und Belgien blockierten „Sky ECC“. Die Operationen gegen Encrochat und Sky ECC, sagt Europol, hätten „unschätzbare Einblicke“ in die Kommunikation der Organisierten Kriminalität gegeben. Aber es gab noch einen Effekt, der sich nun auswirkt. Die Banden wechselten zu Anom. Und damit, ohne es zu wissen, in die Arme des FBI. Die Zahl der Anom-Nutzer wuchs seit März von 3000 auf 9000. Der Trojaner-Schild wurde ein Schwergewicht.

Eine unfreiwillige Hauptrolle bei der Verbreitung der Anom-Geräte spielte der australische-türkische Drogenboss Hakan Ayik ein. Ihn hatte die australische Polizei wegen seines großen Netzwerks im internationalen Drogenhandel als ideale Zielperson identifiziert. Verdeckten Ermittlern gelang es, Ayik mit einem Anom-Handy auszustatten. Dieser empfahl die neuen Krypto-Handys seinen Geschäftspartnern.

Ayik gehört zu den meistgesuchten Verbrechern Australiens und soll seit längerem in der Türkei leben. „Angesichts der Bedrohung, der er jetzt ausgesetzt ist, ist es das Beste, wenn er sich uns so schnell wie möglich ausliefert", sagte der australische Bundespolizeichef Reece Kershaw.

Wer war federführend bei den Ermittlungen?

„Dies war einer der größten und ausgeklügeltsten Einsätze überhaupt“, sagte der stellvertretende Europol-Direktor Jean-Philippe Lecouffe in Den Haag. Die Operation „Trojan Shield“ (Trojanisches Schild) stand unter Leitung des amerikanischen FBI, der US-Drogenbehörde DEA, der Polizei von Schweden und der Niederlande und war in Europa von Europol koordiniert worden.

Ermittler in 16 Ländern seien beteiligt gewesen, darunter auch in Deutschland. Mit einer Razzia in bundesweit über hundert Wohnungen, Lagerhallen und Geschäftsräumen war die Polizei am Montag gegen Drogenkriminalität vorgegangen. Allein in Deutschland mit Schwerpunkt Hessen hatten die Einsatzkräfte der Polizei am Montag über 100 Wohnungen, Lagerhallen und Geschäftsräume durchsucht.

In Sachsen nahmen Beamte des Landeskriminalamts fünf Männer im Alter von 19 bis 25 Jahren fest, die mit Drogen gehandelt haben sollen. Es handelt sich um zwei Deutschen, einen Russen, einen Moldawier und einen Türken. Bei den Durchsuchungen, vor allem in Chemnitz, wurde unter anderem fünf Kilo Marihuana, zwei Limousinen, mehr als 20 000 Euro an Bargeld sowie fünf Krypto-Handys sichergestellt.

Wer sind die mutmaßlichen Täter, die bei den Razzien festgenommen wurden?

In Hessen wird gegen zwei unterschiedliche Gruppierungen in zwei Ermittlungsverfahren vorgegangen. Es geht um 19 junge Männer aus dem Main-Kinzig-Kreis und deren illegalen Handel mit Drogen. Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um 16 Beschuldigte aus dem Rhein-Main-Gebiet und ebenfalls um illegalen Drogenhandel. Sie sollen große Mengen an Drogen aus dem Ausland in dafür umgebauten Autos nach Deutschland gebracht haben.

Was wurde beschlagnahmt?

Virginie Wegner, Pressesprecherin des Landeskriminalamtes in Hessen, sagte dem Tagesspiegel es seien 37 hochwertige Autos sichergestellt worden, die nun forensisch untersucht werden. Drogenhändler würden die Autos so präparieren, dass sie dort große Mengen an Drogen verstecken können, ohne, dass diese gesehen und von Drogenspürhunden nur schwer entdeckt werden können. Wie das bei diesen Autos gemacht wurde, wird derzeit noch untersucht. In der Vergangenheit seien oft Tanks verkleinert oder Hohlräume hinter der Verkleidung genutzt worden, berichtet Wegner.

Die australische Bundespolizei.
Die australische Bundespolizei.
© REUTERS

Zusätzlich zu den Autos und IT-Geräten wurden in Hessen mehr als 120 kg Marihuana, 25 Kilogramm Haschisch und über 6000 Cannabis-Pflanzen, 3 Kilo Heroin, etwa ein Kilo Kokain und 100 Kilo Streckmittel, über 30 Kilo Amphetamin und 15 Kanister Amphetaminbase sowie Schusswaffen und weitere waffenartigen Gegenstände sichergestellt.

Wie lief die Zusammenarbeit mit den Amerikanern?

Die deutschen Behörden seien erst vor einem Monat vom FBI eingeweiht worden, sagte Oberstaatsanwalt Benjamin Krause von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main dem Tagesspiegel. Krause ist der Sprecher der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT). Das FBI stellte dem Bundeskriminalamt die Technik zur Verfügung, mit der die Kommunikation der Kriminellen über Kryptohandys mitgelesen werden konnte.

„Das war für uns eine Goldgrube“ , sagte Krause. „Die Kriminellen haben ganz offen kommuniziert, weil sie glaubten, sie könnten nicht überwacht werden.“ Über die Kryptohandys seien Drogen bestellt und verabredet worden, „wo kommt was da und da hin“.

Krause betonte, er sei keineswegs unzufrieden darüber, dass die Amerikaner ihre deutschen Kollegen erst so spät über den geplanten internationalen Schlag gegen das organisierte Verbrechen informierten. „Die Kommunikation im Internet lässt sich nun mal nicht nur national überwachen“, sagte er.

Warum das FBI erst im Mai mit den Deutschen sprach, konnte Krause nicht erklären. Den Verdacht, die Amerikaner hätten erst spät informiert, um mögliche Abflüsse aus der Polizei an die organisierte Kriminalität zu verhindern, wies er zurück.

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