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Benin-Bronzen in Paris. In vielen europäischen Museen lagert bis heute afrikanische Raubkunst aus der Kolonialzeit.
© REUTERS/Philippe Wojazer
Exklusiv

Koloniale Raubkunst in deutschen Museen: Wenig Hoffnung auf schnelle Rückgabe

Bevor man über Rückgaben verhandeln könne, müsse die Raubkunst in deutschen Museen dokumentiert werden, sagt die Bundesregierung. Doch das läuft schleppend.

Wirklich weg ist die Katze nicht. Dennoch gab Yusuf Tuggar, Nigerias Botschafter in Deutschland, vor kurzem eine Art Vermisstenanzeige per Twitter auf. „Vermisst“, schrieb er auf Englisch. „Hat sie irgendjemand gesehen?“

Dazu postete der 53-Jährige ein Foto, das die gelb-braune Skulptur eines Leoparden aus Kupfer zeigt.

Das wertvolle Kunstwerk, einst am Hofe des Oba-Königreichs im heutigen Nigeria geschaffen und 1897 von den Briten geraubt, befindet sich heute im Besitz des Völkerkundemuseums Leipzig. In vielen deutschen Sammlungen liegen solche gestohlenen Kunstschätze aus der Kolonialzeit, allein in Berlin gibt es 400 der berühmten „Benin-Bronzen“. Nigerias Versuche, die Objekte zurückbekommen, waren bislang erfolglos. Die Bundesregierung argumentiert, dass zuerst die genauen Hintergründe der Exponate geklärt und dokumentiert werden müssten, bevor man über Rückgaben verhandeln könne.

Doch das Vorhaben, die umfassende Dokumentation der Raubkunst, kommt nur schleppend voran. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervor. „Die konkrete inhaltliche und zeitliche Ausgestaltung erfolgt in einem fortlaufenden Prozess“, heißt es in dem Schreiben. Gemeint ist die von Bund und Ländern im November 2020 vereinbarte „3-Wege-Strategie“, die die Digitalisierung der Museumsbestände voranbringen soll. Das Ziel: Klarheit darüber zu schaffen, wie viel koloniale Raubkunst sich unter den Hunderttausenden Objekten aus aller Welt in deutschen Museen befindet.

Eine Frage der Moral

Das Projekt befindet sich nach Auskunft der Bundesregierung nach wie vor in der Probephase: Zunächst soll in ausgewählten Institutionen die „Schaffung eines zentralen Zugangs zu bereits digital veröffentlichtem Sammlungsgut“ vorangetrieben werden, dann soll ein Standard für bislang unveröffentlichte Inventare erarbeitet und das Projekt auf weitere Museen ausgeweitet werden. 1,44 Millionen Euro stellt der Bund dafür bis 2022 zur Verfügung. „Darüber hinaus ist die Finanzierung der Digitalisierung in Betracht kommender Bestände originäre Aufgabe der jeweiligen Einrichtungen und Träger“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung.

Afrikanische Politiker wie Tuggar, die das Raubgut aus deutschen Museen zurückhaben wollen, dürften sich damit in ihrer Hoffnung auf schnelle Rückgabe enttäuscht sehen. Vor zwei Jahren hatten Bund, Ländern und kommunale Spitzenverbände mit den „Eckpunkten zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ mehr Transparenz der deutschen Museumsbestände versprochen. Doch die Umsetzung könnte wohl noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern – und solange könnte sich auch der Raubkunst-Streit zwischen Deutschland und Nigeria hinziehen. Ohne Einblick in die Bestände der deutschen Museen bleibe Nigeria nichts übrig als „korrekt zu erraten, wo sich was befindet“, kritisierte Tuggar im Januar. In seiner Heimat wächst die Wut. Tuggar hatte der Bundesregierung im Januar „Pedanterie“ vorgeworfen und an das „moralische Bewusstsein“ der Deutschen appelliert, die Hehlerware endlich an sein Land zurückzugeben.

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Rückgabe am Sankt-Nimmerleins-Tag?

Die Grünen-Bundestagsabgeordneten Kirsten Kappert-Gonther wirft der Bundesregierung „Hinhaltetaktik“ vor. Die verschiebe die „notwendige Aufarbeitung des kolonialen Erbes nur auf den Sankt-Nimmerleins-Tag“, sagt sie. „Wir brauchen endlich konkrete Zeitpläne bei der Veröffentlichung von Beständen und verbindliche Vorgaben, damit diese auch eingehalten werden.“ Dass die Dokumentation der Raubkunst bislang noch in der Pilotphase stecke, werde dem Problem nicht gerecht, „dass hierzulande Hunderttausende gestohlene Objekte und Tausende human remains lagern, die den Herkunftsgesellschaften schleunigst zur Rückgabe angeboten werden müssen“. Mit „human remains“ sind menschliche Überreste gemeint, die einst zu rassistischen Forschungszwecken aus den Kolonien nach Deutschland gebracht wurden. Auch hier gibt es bislang keinen verlässlichen Überblick, wie viele der menschlichen Schädel, Knochenteile und Hautstücke in deutschen Museen und Privatsammlungen liegen.

Das Humboldt-Forum in Berlin soll ab Herbst Kunst- und Kulturobjekte aus aller Welt zeigen.
Das Humboldt-Forum in Berlin soll ab Herbst Kunst- und Kulturobjekte aus aller Welt zeigen.
© Wolfgang Kumm/dpa

Was die Rückgabe der Raubkunst angeht, will die Bundesregierung die Kontrolle offenbar wieder stärker an sich ziehen. Als Reaktion auf immer lautere Rückgabeforderungen aus Afrika und von hiesigen Initiativen richteten Bund und Länder im August 2020 zwar eine „Kontaktstelle zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ ein. Die soll – ähnlich wie das für Nazi-Raubkunst zuständige „Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste“ – als „Anlaufstelle“ dienen, insbesondere für „Personen und Institutionen aus den Herkunftsstaaten und Herkunftsgesellschaften“, also für Interessierte wie Botschafter Tuggar.

Rückgabeforderung abgeblockt

Dass ihm die Kontaktstelle wirklich zur Seite stehen kann, darf allerdings bezweifelt werden. So heißt es in der Antwort auf die Grünen-Anfrage zwar, die drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bund-Länder-Kontaktstelle böten „auf Anfrage Information und Beratung zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“. Aber: „Bei Rückführungsverfahren erfolgen Absprache und Einbindung der Herkunftsstaaten ausschließlich durch das Auswärtige Amt.“ Das hatte eine schriftliche „Restitutionsforderung“ der nigerianischen Regierung aus dem Sommer 2019 aus formellen Gründen nicht anerkannt. Das Schreiben war von Tuggar persönlich unterschrieben und nicht per „Verbalnote“ übermittelt worden.

Fortschritte kündigt die Bundesregierung indes mit Blick auf das Inventar der Stiftung Preußischer Kulturbesitz an. Ab Ende des Monats soll schrittweise die Online-Veröffentlichung der „Erwerbungsbücher“ von Einrichtungen wie der Kunstbibliothek oder dem Museum für Islamische Kunst erfolgen. Die Exponate, die ab Herbst im Berliner Humboldt-Forum ausgestellt werden, sollen ebenfalls alle im Internet in einem „Objektkatalog präsentiert“ werden. Das gilt dann wohl auch für die 1897 geraubten „Benin-Bronzen“ aus dem heutigen Nigeria, die Botschafter Tuggar für sein Heimatland zurückfordert.

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