Nigeria will Benin-Bronzen zurück: Raubkunst-Streit überschattet Eröffnung des Humboldt-Forums
Die wertvollen Benin-Bronzen sollen das Herzstück des Humboldt-Forums werden. Doch jetzt fordert Nigerias Botschafter erstmals öffentlich deren Rückgabe.
Sie sind weltberühmt, von unschätzbarem Wert – und geraubt: die sogenannten Benin-Bronzen. Ab kommendem Jahr sollen die rostbraunen Skulpturen und Büsten aus Westafrika als Herzstück des Humboldt-Forums im neuen Berliner Stadtschloss ausgestellt werden. Geht es nach Yusuf Tuggar, Nigerias Botschafter in Deutschland, dann wird allerdings nichts aus dem Plan. Der Diplomat fordert die Rückgabe der umstrittenen Kunstschätze an sein Heimatland.
In einem „formellen Schreiben“ an Kanzlerin Angela Merkel und Kulturstaatsministerin Monika Grütters (beide CDU) habe seine Regierung offiziell die „Restitution“ der Benin-Bronzen gefordert, teilte Tuggar am Mittwoch per Twitter mit. Die nigerianische Botschaft „wartet auf eine Antwort“ der Bundesregierung, schrieb er. Die Forderung komme von „der gesamten Regierung Nigerias, seiner Bürger und politischen Organe“.
Damit ließ Tuggar wenige Tage vor der offiziellen Eröffnung des Humboldt-Forums eine diplomatische Bombe platzen. Am 16. Dezember soll der knapp 680 Millionen Euro teure Bau in Betrieb gehen – coronabedingt findet die Eröffnungsfeier digital statt. Die Benin-Bronzen, die während der Kolonialzeit aus dem heutigen Nigeria geraubt wurden und sich derzeit im Ethnologischen Museum in Dahlem befinden, sollen im Herbst 2021 ins Stadtschloss einziehen.
Klaus Lederer: Bronzen müssen zurück
Für die Bundesregierung ist die Sache heikel. Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag die Aufarbeitung des Kolonialismus versprochen, kommen damit – bis auf einzelne Vorstöße im Kulturbereich – aber wenig voran. Das Humboldt-Forum, speziell die geplanten Ausstellungen, sorgen in Berlin seit Jahren für Streit, der sich nicht zuletzt um die Benin-Bronzen dreht.
Vereine wie „Berlin Postkolonial“ oder die „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ betonen, dass koloniale Raubkunst kein „Preußischer Kulturbesitz“ sei, sondern den afrikanischen Herkunftsgesellschaften gehöre. Auch von dort sind die Forderungen nach Rückgabe zuletzt lauter geworden. Unterstützung kommt von Berlins Linken-Kultursenator Klaus Lederer. „Wenn die Benin-Bronzen zurückgefordert werden, dann müssen sie zurückgegeben werden“, sagte er dem Tagesspiegel. „Daran gibt es für mich keinen Zweifel.“ Über eine offizielle Forderung aus Nigeria sei der Senat von der Bundesregierung nicht informiert worden, sagt ein Sprecher.
Im Auswärtigen Amt gibt man sich in der Angelegenheit zurückhaltend. Das Schreiben der nigerianischen Botschaft sei bereits im August 2019 eingegangen, heißt es. Im Anschluss habe es diplomatische Gespräche dazu gegeben. „Dabei wurde vereinbart, den Dialog fortzuführen.“ Ein offizielles Rückgabeersuchen sieht die Bundesregierung in dem Brief aus Nigeria offenbar nicht.
Dass der Botschafter Tuggar das Thema ausgerechnet eine Woche vor Eröffnung des Humboldt-Forums öffentlich macht, lässt sich indes als eindeutiges Zeichen deuten: Die nigerianische Seite will in der Sache den Druck auf die Bundesregierung erhöhen.
„Man hätte diese Blamage abwenden können“
„Es ist ein schwerer Fehler, dass die Verantwortlichen in der Bundesregierung und bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Frage nach den Benin-Bronzen nicht vor der Eröffnung des Humboldt-Forums geklärt haben“, sagt der Kolonialismusforscher Jürgen Zimmerer. „Man hätte diese Blamage abwenden können.“ Die Sache sei zu lange ausgesessen worden. Das schade dem internationalen Ruf Deutschlands, sagt der Geschichtsprofessor an der Uni Hamburg.
Auch bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) weiß man von dem Schreiben des nigerianischen Botschafters. „Ein Rückgabeersuchen der Bundesrepublik Nigeria ist bei der SPK bislang nicht eingegangen“, sagt jedoch eine Sprecherin. Seit Langem stehe die SPK „in Kontakt mit den dafür zuständigen Bundes- und Landesbehörden in Nigeria“.
Das Ziel der Gespräche sei, eine „Lösung zu finden, wie die historischen Objekte in Nigeria gezeigt werden können, die das Ethnologische Museum in den Jahren nach der britischen Kolonialeroberung 1897 aus verschiedenen Quellen erwarb“. Eine Rückgabe sei ausdrücklich nicht ausgeschlossen.
Zugleich betont die Stiftung auf ihrer Webseite, auch „andere Lösungen“ zu suchen. Gemeint ist, dass die SPK Teile ihrer Bestände für Wechselausstellungen in afrikanischen Museen zur Verfügung stellt – die Raubkunst also als Leihgabe vorübergehend ins Herkunftsland zurückgeht, aber deutsches Eigentum bleibt.
Hehlerware im Museum
In den Besitz der SPK sind die wertvollen Exponate als Hehlerware gekommen. 1897 überfiel eine britische Strafexpedition Benin-Stadt im Süden des heutigen Nigeria. Bevor die Soldaten den Ort niederbrannten, ließen sie die kostbaren Bronzen – die eigentlich aus Kupfer bestehen – zusammentragen und abtransportieren. Über den internationalen Kunsthandel gelangten die rund 3000 Objekte dann in den Besitz von europäischen Museen und Sammlern, in London, Wien und auch in Berlin.
Gegen eine Rückgabe kolonialer Raubkunst hat sich Deutschland lange vehement gewehrt. Auch heute geht die Sache vielerorts schleppend voran, nicht nur mit Blick auf die Benin-Bronzen. Die Bundesregierung setzt bei dem Thema vor allem auf die „Provenienzforschung“. Die Herkunft und genauen Eigentumsverhältnisse der zweifelhaften Objekte in deutschen Museen müssten erst wissenschaftlich untersucht werden, bevor man über Rückgaben reden könne, lautet die Argumentation. Der Historiker Zimmerer will das für die Benin-Bronzen nicht gelten lassen. „Sie sind der berühmteste Fall von kolonialem Kunstraub“, sagt er. „Mindestens 95 Prozent der Benin-Bronzen in den Museen sind Diebesgut, also auch in Berlin.“
In Nigeria ist man indes bereit, die geraubten Kunstwerke bald entgegenzunehmen. 2025 soll in Benin-Stadt das „Edo Museum of West African Art“ eröffnet werden. Ende November stellte der britisch-ghanaische Stararchitekt David Adjaye seinen Entwurf dafür vor. Es sei „lächerlich“, dass Nigerianer heute nach Europa reisen müssten, um die Kunst ihrer Heimat zu sehen, sagte er. Deshalb hat er einen monumentalen Bau aus rotem Stein und mit riesigen Ausstellungsräumen entworfen – damit die kostbaren Exponate genug Platz haben, wenn sie eines Tages aus Europa nach Nigeria zurückkehren.