Diplomatisches Verwirrspiel um die Benin-Bronzen: Nigeria wirft Bundesregierung „Pedanterie“ im Raubkunst-Streit vor
Aus formellen Gründen will Deutschland Nigerias Forderung nach Rückgabe kolonialer Raubkunst nicht anerkennen – zum Ärger der dortigen Regierung.
Die Geduld des nigerianischen Botschafters in Berlin scheint langsam zu Ende zu gehen. Deswegen wendet sich Yusuf Tuggar nun an den Anstand der Deutschen. „Nigeria appelliert an Deutschlands moralisches Bewusstsein, zu tun, was richtig ist“, sagt er. Das Richtige ist aus seiner Sicht: die weltberühmten Benin-Bronzen, die vor mehr als 100 Jahren aus Tuggars Heimat geraubt wurden, nach Nigeria zurückzubringen.
Mit dem Appell erhöht der Diplomat den Druck auf die Bundesregierung, im jahrzehntelangen Streit um die Benin-Bronzen einzulenken. Seit mehr als 50 Jahren bemüht sich Nigeria um die Rückführung der rostbraunen Skulpturen und Büsten – ohne Erfolg.
Nach wie vor liegen mehr als 400 der kostbaren Objekte bei der „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“, 200 weitere in Sammlungen in Leipzig und Dresden. Nach Deutschland kamen sie als Hehlerware, nachdem sie 1897 von einer britischen Strafexpedition auf dem Gebiet des heutigen Nigeria geraubt wurden.
Dass die kostbaren Artefakte nicht ewig in deutschem Besitz bleiben können, das weiß auch die Bundesregierung. „Die Herkunftsgesellschaften fragen zurecht danach, wie ernsthaft wir diesen Aspekt unserer Geschichte aufarbeiten“, sagte kürzlich Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU).
„Pedanterie ist keine angemessene Antwort“
Dennoch kommt die Rückgabe der gestohlenen Kunstwerke bislang nicht voran. Vielmehr ist um sie eine Art diplomatisches Verwirrspiel entstanden, ein Hin und Her zwischen den Hauptstädten Abuja und Berlin. Die Bundesregierung verweist in dem Streit auf Formalien und beharrt auf der Einhaltung diplomatischer Gepflogenheiten. „Pedanterie ist keine angemessene Antwort auf kolonialen Diebstahl“, sagt hingegen Tuggar, der von der Bundesregierung mehr Beweglichkeit fordert.
Der Fall ist nicht nur ein Lehrstück über die diplomatischen Beziehungen zwischen europäischen und afrikanischen Staaten, in denen die viel beschworene „Augenhöhe“ bis heute oft fehlt. Er zeigt auch, wie schwer sich die Groko tut, ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag nach „Aufarbeitung des Kolonialismus“ einzulösen.
Die Bundesregierung verlangt mehr Zeit
Begonnen hat die jüngste Episode dieses jahrelangen Konflikts im August 2019, als Tuggar in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Staatsministerin Grütters die „Restitution von geraubten kulturellen Kunstwerken“ forderte. Das Auswärtige Amt bat den Botschafter daraufhin zu einem Gespräch, bei dem jedoch lediglich vereinbart wurde, den „Dialog fortzusetzen“.
Die Bundesregierung setzt in der Debatte um die Benin-Bronzen vor allem auf Gesprächskreise wie die „Benin Dialogue Group“, die mit Museumsvertretern aus Nigeria und europäischen Ländern besetzt ist. Es brauche mehr Zeit, Geduld eben, um den richtigen Umgang mit der Raubkunst zu finden, lautet die Argumentation.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther hat dafür wenig Verständnis. „Die Verzögerungstaktik bei der Rückführung von kolonialem Beutegut muss ein Ende haben“, sagt sie. „Das jüngste Beispiel der Benin-Bronzen zeigt, wie Restitutionsforderungen aus den Herkunftsgesellschaften einfach abgewiegelt werden.“
Damit dürfte sie dem nigerianischen Botschafter aus dem Herzen sprechen. Der scheint unzufrieden zu sein mit dem Ausgang seines Gesprächs im Auswärtigen Amt im Herbst 2019. Noch immer warte er auf eine offizielle Antwort der Bundesregierung auf seine Rückgabeforderung, sagt er. In allen möglichen Angelegenheiten stünden das Auswärtige Amt mit seiner Botschaft in routinemäßigem Schriftverkehr – nur nicht mit Blick auf die Benin-Bronzen. „Etwas bizarr“, findet Tuggar.
Rückgabeforderungen nur „per Verbalnote“?
Der Grund, warum das deutsche Außenministerium hier so zurückhaltend ist, hängt mit einer diplomatischen Feinheit zusammen. Den Brief des Botschafters sieht man in der Bundesregierung nicht als offizielle Rückgabeforderung an, weil er direkt an Merkel und Grütters verschickt wurde. „Rückgabeersuchen“ müssten allerdings „per Verbalnote übermittelt“ werden, betont man in Regierungskreisen. „Solche Rückgabeersuchen enthalten Angaben, welche Objekte zurückverlangt werden, und legen Sachverhalt und Gründe des Rückgabeersuchens dar.“
Das Problem dabei: Nigeria kann diese Angaben kaum machen. „Viele der Objekte werden in dunklen Kellern in Museen überall in Deutschland aufbewahrt und nie ausgestellt“, sagt Tuggar. „Nigeria weiß nicht, welche Stellen die erworbenen, gestohlenen Objekte besitzen, es sei denn, sie werden ausgestellt.“ Deutschland sollte deshalb die Bestände seiner Museen überprüfen, „anstatt es zur Bedingung für Nigeria zu machen, korrekt zu erraten, wo sich was befindet“. An manchen Museen gibt es diese „Provenienzforschung“ bereits, doch die benötigt oft Jahre und steht vielerorts erst am Anfang.
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Auch die Grünen-Politikerin Kappert-Gonther fordert mehr Transparenz von der Bundesregierung. „Die Herkunftsgesellschaften brauchen endlich Zugang zu Informationen über gestohlenes Kulturgut, sie müssen proaktiv über den Verbleib der Objekte in Kenntnis gesetzt werden“, sagt sie.
Die zuständige „Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ müsse besser ausgerüstet werden. Die im Sommer 2020 von Bund und Ländern gegründete Einrichtung verfügt über ein Dreijahresbudget von 1,2 Millionen Euro, beschäftigt derzeit aber nur drei Mitarbeiter – bei Hunderttausenden Objekten aus der Kolonialzeit in deutschen Museen. Ob das reicht, damit Botschafter Tuggar bald die gewünschten Informationen über die Raubkunst aus seiner Heimat erhält?
„Ich kann intuitiv verstehen, dass die nigerianische Seite unzufrieden ist“, sagt der SPD-Politiker Helge Lindh, Mitglied im Kulturausschuss des Bundestags. „Wir müssen mit Blick auf die Raubkunst mehr Kontrolle an die Herkunftsgesellschaften abgeben.“ Wichtig sei, einen „gemeinsamen Weg zu finden“.
Wie das Auswärtige Amt setzt auch Lindh auf die Gespräche der Museumsvertreter in der internationalen „Benin Dialogue Group“, die im Februar das nächste Mal tagen soll. Sollte es dann keine Fortschritte bei der Rückgabe der Raubkunst geben, müsse Deutschland eigentätig eine Einigung mit Nigeria suchen, sagt er. Denn eines sei klar: „Die Schuldfrage liegt historisch bei Deutschland. Deshalb ist die Bundesregierung in der Pflicht, nicht Nigeria.“
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