Nach dem Fall von Kabul: Welchen Einfluss hat der Westen noch?
Lässt sich die Entwicklung in Afghanistan von außen noch beeinflussen? Experten sind skeptisch. Ein Überblick.
Haben Deutschland und der Westen, die Afghanistan einst Stabilität, Demokratie und Gleichberechtigung der Frauen versprachen, noch einen Hebel in der Hand, um die Entwicklung in Afghanistan zu beeinflussen?
Deutsche Diplomaten und der Bundesnachrichtendienst (BND) unterhalten gute Kontakte zu den Taliban, die Verhandlungen in Doha zwischen ihnen und Vertretern des zivilen Afghanistan über eine Machtteilung hatten sie eng begleitet. Doch die Taliban haben ihr Ziel nun erreicht, ohne Zugeständnisse machen zu müssen.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier fürApple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Noch vor wenigen Wochen hatten deutsche Diplomaten noch Hoffnungen. Drei Ziele seien den Taliban wichtig, hieß es damals: Die Aufhebung von UN-Sanktionen und die Streichung von der UN-Terrorliste, internationale Anerkennung und die milliardenschweren Hilfszahlungen aus dem Ausland, die einen Großteil der Staatsausgaben ausmachen. Nur wenn Basisrechte von der neuen Herrschaft gewahrt würden, könnten die Wünsche erfüllt werden.
"Die Taliban werden kaum Zugeständnisse machen"
Auch Philipp Rotmann vom Thinktank Global Public Policy Institute bestätigt, dass die Taliban von Sanktionslisten gestrichen werden und Zugang zu internationalen Finanzmärkten erhalten wollen. „In ihrer Regierungspraxis werden sie dafür kaum Zugeständnisse machen“, sagt er allerdings. Selbst „viel Geld“ aus dem Westen werde daran wohl nichts ändern.
Afghanistan war bislang das Land mit den höchsten Hilfszahlungen weltweit. Gegenüber einem Regime, das auf Gewalt setze, werde Europa „vollkommen überproportionale Transfers“ nicht lang leisten, sagt Rotmann. Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte vor dem Fall Kabuls erklärt, an ein Taliban-Regime werde kein deutsches Geld fließen.
„Wichtige Taliban-Führer signalisieren schon, dass sie bereit sind, mit den Geldgebern weiter zusammenzuarbeiten“, sagt Graeme Smith, Ko-Autor des Dokumentarfilms „Ghosts of Afghanistan“. Geber hätten künftig keine Macht mehr, ihre Vorstellungen von Menschenrechten durchzusetzen. Umgekehrt könnten die Taliban niemanden zwingen, sie finanziell zu unterstützen. Die internationale Gemeinschaft werde deshalb in Verhandlungen mit den neuen Machthabern „viel Demut“ aufbringen müssen.
Joachim Krause, Direktor des Kieler Instituts für Sicherheitspolitik, warnt vor überzogenen Erwartungen an einen künftigen Einfluss des Westens. „Pures Wunschdenken“ sei der Versuch, Transfers oder UN-Sanktionslisten als Hebel einzusetzen. „Afghanistan ist verloren, und zwar total“, meint der Politikwissenschaftler. Es werde „eine No-Go- Zone westlicher Politik für viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte“ werden.
Den Taliban gehe es in erster Linie darum, ein Emirat in Afghanistan zu errichten, in dem die Schariah so streng wie möglich umgesetzt werde. "Und dieses Emirat ist auf den Modellexport ausgerichtet – auf der Kandidatenliste stehen Pakistan, Tadschikistan, Usbekistan, Kirgisien und weitere könnten hinzu kommen", meint der Sicherheitsexperte, der sich auch intensiv mit dem Land am Hindukusch beschäftigte
Die Taliban seien „radikal-islamistische Extremisten mit einer klaren Prioritätensetzung“ und allenfalls dann zu Kooperation bereit, wenn „für sie etwas dabei herausspringt“. Bestenfalls werde die Bundesregierung von den Taliban deshalb „Menschen freikaufen können, die mit den deutschen Behörden zusammengearbeitet haben“.