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Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Bundesministerin der Verteidigung
© dpa/Michael Kappeler

Ausweitung des Mandats in Sahel-Zone: Welche Motive Kramp-Karrenbauer mit ihrem Vorstoß verfolgt

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer hat eine Ausweitung des Mandats der Bundeswehr in der Sahel-Zone angeregt. Wie sinnvoll ist der Vorstoß?

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat zwischen den Jahren mit ihrem Vorschlag, das Mandat für die Bundeswehr in der Sahel-Zone auszuweiten, eine innenpolitische Debatte ausgelöst. Unabhängig davon, ob Bundeswehrsoldaten demnächst tatsächlich verstärkt gegen Islamisten in Mali und den umliegenden Ländern vorgehen können oder nicht, droht die Lage in der Region zu kippen. Deshalb fordert Frankreich die europäischen Partner immer eindringlicher dazu auf, ihr Engagement in den Sahel-Zone zu verstärken.

Warum muss die Lage in der Sahel-Zone die Europäer beunruhigen?

In dem riesigen, wüstenähnlichen Gebiet südlich der Sahara, das sich vom Atlantik bis zum Roten Meer erstreckt, hat sich die Sicherheitslage in den vergangenen Monaten dramatisch verschlechtert. Von einer „Explosion der Gewalt“ sprechen Kenner der Region deshalb. Bei Angriffen auf Militärbasen in Mali, auf Polizeiposten in Niger, auf eine Goldmine und eine Moschee in Burkina Faso gab es insgesamt mehrere Hundert Opfer.

Viele Faktoren kommen zusammen: die Wirtschaftslage in den Ländern, die zu den ärmsten der Welt gehören, ist miserabel. Die Bevölkerung wächst rasant, die örtliche Politik versagt, ethnische Konflikte brechen offen aus. Dazu kommen die Auswirkungen des Klimawandels in einer ohnehin oft lebensfeindlichen Umgebung.

Das betrifft auch Europa. Denn die G5-Staaten Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad sind Herkunfts- oder Durchgangsländer von Flüchtlingen, die nach Europa wollen. Zusammen bilden sie eine Fläche, die 14 Mal so groß ist wie Deutschland. Die Flüchtlingsfrage nannte auch Kramp-Karrenbauer als Grund für ihren Vorstoß, das Bundeswehr-Mandat in der Sahel-Zone auszuweiten. Wenn Deutschland untätig bliebe, so warnte sie, „dann müsste man letztlich um ganz Europa Mauern und Stacheldraht legen“.

Zudem besteht die Gefahr, dass auch angrenzende afrikanische Staaten völlig destabilisiert werden – und ein Flächenbrand um sich greifen könnte. Dies befürchtet auch die Bundesregierung. Die Bedrohungslage in der Sahel-Zone sei durch dschihadistische Gruppierungen und organisierte Kriminalität geprägt, teilte das Verteidigungsministerium kürzlich auf eine FDP-Anfrage hin mit. Dschihadisten hätten „weitgehende Bewegungsfreiheit“ und könnten „uneingeschränkt agieren“. Malische Sicherheitskräfte stießen trotz internationaler Unterstützung regelmäßig an ihre Grenzen. Auch der Einsatzwert der gemeinsamen Einsatztruppe der G-5-Staaten sei derzeit niedrig. Sie sei „nur eingeschränkt zu Operationen befähigt“.

Was leistet Frankreichs Militär gegenwärtig in der Sahel-Zone?

Frankreich hat im Rahmen der Militäroperation „Barkhane“ in den G5-Staaten Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad. 4500 Soldaten stationiert. Die Kommandozentrale der „Barkhane“-Truppe befindet sich in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena, in der nigrischen Hauptstadt Niamey sind Kampf- und Transportflugzeuge sowie Drohnen stationiert. Als weitere Basis dient die Stadt Gao im Nordosten von Mali. Bei Frankreichs wichtigster Auslandsmission werden unter anderem 19 Hubschrauber, 500 gepanzerte Fahrzeuge, zehn Transport- und sieben Kampfflugzeuge eingesetzt.

Der Einsatz, der 2014 begann, geht noch auf die Initiative des früheren Präsidenten François Hollande zurück. Sein Nachfolger Emmanuel Macron hält an der Mission fest, mit der islamistische Terrorgruppen in der Region bekämpft werden sollen. Durch den „Barkhane“-Einsatz wurde die Terrorgruppe „Islamischer Staat Große Sahara“ (ISGS) im Osten Malis geschwächt, allerdings haben sich die Islamisten inzwischen in den Norden des benachbarten Burkina Faso zurückgezogen. Dort befinden sich angesichts der vermehrten islamistischen Anschläge im Herbst des vergangenen Jahres mehr als eine Viertelmillion Menschen auf der Flucht.

Frankreich kommt bei der Mission, die jährlich 700 Millionen Euro kostet, derweil immer mehr ans Limit der finanziellen Möglichkeiten. Dennoch will Macron den Einsatz nicht aufgeben. Der Chef des französischen Generalstabs, François Lecointre, sagte jüngst in einem Interview mit dem Sender „France Info“, dass es sich um eine langfristige Mission handele, die von einem politischen Prozess begleitet werden müsse.

Welche Hilfe wünscht sich Frankreich von Deutschland?

Zwei Mal hat die Bundesregierung Bitten Frankreichs um eine Beteiligung an einem Einsatz europäischer Spezialeinheiten für den Kampf gegen Islamisten in Mali bereits abgelehnt. Wie das Verteidigungsministerium auf eine Anfrage der FDP-Fraktion mitteilte, hat Frankreich in Deutschland und bei anderen europäischen Staaten wegen Unterstützung für den Aufbau einer internationalen Spezialkräfteeinheit („Combined Special Operations Task Force“) angefragt.

Frankreich plant zudem den Aufbau einer neuen europäischen Elitetruppe in der Region. Bei der geplanten Einheit, die den Namen „Takuba“ („Säbel“) tragen soll, werden nach einer Ankündigung der Pariser Verteidigungsministerin Florence Parly ab diesem Jahr französische Spezialkräfte gemeinsam mit europäischen Einheiten in Mali eingesetzt. Dabei soll es zunächst um die Ausbildung malischer Soldaten gehen. Belgien, Estland und Tschechien signalisierten bereits eine Teilnahme.

Bemühen sich Paris und Berlin auch um eine politische Stabilisierung der Region?

Um die G5-Länder zu unterstützen, haben Deutschland und Frankreich im Juli 2015 die „Allianz für den Sahel“ ins Leben gerufen, in der die Entwicklungszusammenarbeit und finanzielle Hilfen eine große Rolle spielen. Beim G7-Gipfel in Biarritz stellten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Macron und der Präsident von Burkina Faso, Roch Marc Kaboré, eine Weiterentwicklung der Sahel-Allianz vor – eine neue Partnerschaft für Sicherheit und Entwicklung in der Region, die mehr Geld, mehr Ausrüstung und mehr Ausbildungshilfe umfassen soll. „Entwicklung ohne Sicherheit ist nicht möglich“, sagte Merkel damals. Mehr als zwölf Milliarden Euro hat die EU seit 2010 für Sicherheit und Entwicklung in der Sahel-Zone bereitgestellt.

Paris und Berlin verfolgen damit auch eigene Interessen: Sie wollen Terrorismus und Migration eindämmen. Sie arbeiten dabei aber mit Potentaten zusammen wie dem Präsidenten Idriss Déby, der seit 29 Jahren im Tschad regiert. Die Regierungen der Sahel-Staaten wissen, was die Europäer wollen – und versuchen deren Interessen auszunutzen, um mehr Finanzhilfen zu erwirken. Es gibt kein Patentrezept, das garantiert, dass das europäische Geld tatsächlich den darbenden Bürgern der Sahel-Ländern hilft.

Kritiker monieren aber, dass Frankreich und Deutschland militärischen Fragen einen zu großen Stellenwert einräumten und sich zu sehr auf die Bedrohung durch fanatische Islamisten konzentrierten, statt Korruption, Vetternwirtschaft und Regierungsversagen in den Blick zu nehmen. Die Sicherheitslage in der Region hat sich trotz der Milliardeninvestitionen der Europäer nicht verbessert. Die „Neue Zürcher Zeitung“ zitierte kürzlich den Verteidigungsminister von Burkina Faso, Moumina Cheriff Sy, mit dem Urteil, das Engagement der Europäer habe bisher „null Wirkung“ erzielt.

Welche Voraussetzungen sind nötig, damit das Bundeswehr-Mandat ausgeweitet werden kann?

Während Frankreich beim Einsatz seines Militärs in Afrika auch national handeln kann, ist der Einsatz der Bundeswehr im Ausland strengen Regeln unterworfen: Nicht in allein deutschem Auftrag, sondern nur in einem „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ darf die Bundesregierung ihre Soldaten jenseits ihrer Grenzen tätig werden lassen – und das auch nur mit Zustimmung des Bundestags.

Das heißt: Sie braucht ein Mandat der Vereinten Nationen für die Mission oder muss diese im Rahmen der Nato oder der EU beschließen lassen. Mitte Dezember hatten die Sahel-Staaten vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein stärkeres Mandat für die UN-Mission Minusma in Mali gefordert – bislang ohne Ergebnis. Frankreich ist ständiges Mitglied des Sicherheitsrats, Deutschland gegenwärtig nicht-ständiges Mitglied.

Der langjährige frühere Leiter des Berliner Büros des European Council on Foreigns Relations (ECFR), Josef Janning, hält im Fall von Bundeswehr und Sahel die Mandatslage für „sehr, sehr schwierig“. Trotzdem hält er eine „erweiterte Mission zur Verhinderung von Schlimmerem für sicherheitspolitisch sinnvoll“ – im nationalen deutschen Interesse und im Interesse eines Zusammenhalts Europas. Die Partner, so beobachtet er, drängen Berlin. „Da der allianzpolitische Druck auf Deutschland groß ist, könnte ich mir vorstellen, dass die Bundesregierun die Kraft zu einer solchen Entscheidung aufbringt", meint Janning.

Was sind Kramp-Karrenbauers Motive?

Darüber lassen sich nur begründete Vermutungen anstellen. Mindestens drei Aufsehen erregende sicherheitspolitische Vorschläge hat die Verteidigungsministerin in ihrer kurzen Amtszeit schon in die Welt gesetzt. Ohne jede Abstimmung innerhalb der Koalition oder mit Verbündeten schlug sie im Oktober nach dem Einmarsch der Türkei in Nordsyrien vor, dort internationale Schutzzonen zu schaffen. In einer Rede vor der Bundeswehr-Universität in München regte sie robustere Auslandseinsätze der Bundeswehr an und verlangte mehr Präsenz Deutschlands im indo-pazifischen Raum, also auch im Einflussbereich Chinas.

Der Vorschlag, in der Sahel-Zone militärisch mehr zu tun, ist ebenfalls nicht ganz neu. Allen Vorschlägen gemeinsam ist: Kämen sie zustande, würden sie den Erwartungen vieler Partnerländer an ein größeres Engagement Deutschlands auch in militärischer Hinsicht entsprechen. Allen Vorschlägen gemeinsam ist aber auch: Sie sind mehr Gedankenanstöße als ministerielles Handeln, ein tragfähiges Konzept scheint jedes Mal zu fehlen. Dazu hätte sich die Verteidigungsministerin schließlich auch vorher mit Heiko Maas (SPD), ihrem Kollegen aus dem Auswärtigen Amt, abstimmen müssen.

Nicht nur Sozialdemokraten, sondern auch Christdemokraten sagen deshalb hinter vorgehaltener Hand: Der CDU-Chefin geht es nicht nur um Deutschlands Verantwortung, sondern auch um die Stärkung des eigenen Profils. In einer Hinsicht war sie erfolgreich: Sie hat die eigenen Reihen geschlossen. Auch die Außen- und Sicherheitspolitiker der Union, wiewohl in der Sache skeptisch, verteidigen sie gegen Angriffe. Ob sie sich mit solchen Vorstößen bei den Bürgern beliebt macht, ist allerdings eine offene Frage. Eine Mehrheit der Deutschen, so eine aktuelle Umfrage, lehnt einen stärkeren Einsatz der Bundeswehr zur Lösung außenpolitischer Herausforderungen ab.

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