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Großbritanniens Premierministerin Theresa May am Mittwoch im Unterhaus.
© REUTERS

Theresa May und der Brexit: Welche Hürden noch vor einer endgültigen Einigung stehen

Großbritanniens Premierministerin muss sich noch intern durchsetzen. Wie groß sind ihre Chancen und was will die EU? Fragen und Antworten.

Die Einigung der Unterhändler von EU und Großbritannien ist nur ein erster Schritt in Richtung eines geordneten Brexit. Premierministerin Theresa May hat noch mehrere schwierige Etappen vor sich. Dabei kämpft sie nicht nur gegen die Opposition im Parlament, sondern vor allem gegen ihre Feinde im eigenen Lager, die einen radikalen Schnitt wollen und den jetzt vereinbarten Deal radikal ablehnen. Großbritannien wird die EU am 29. März 2019 verlassen. Die Frage ist, ob dies in geordneten Bahnen oder ohne Deal im Chaos verläuft.

Welche Hürden stehen May jetzt bevor?

May regiert nur mit hauchdünner Mehrheit und ist auf die nordirische DUP angewiesen. Konservative Abgeordnete riefen am Mittwoch Kabinettsmitglieder auf, den Entwurf abzulehnen und drohten mit einer Blockade im Parlament. May selbst dagegen argumentierte, der Brexit-Entwurf erfülle das Votum des britischen Volkes. Die Kritiker des Brexit-Entwurfs argumentieren, dieser enthalte für Großbritannien inakzeptable Kompromisse. Die wegen der Differenzen über den Brexit im Juli zurückgetretenen Ex-Minister Boris Johnson und David Davis riefen Kabinettsmitglieder und Parlamentarier zu einem Nein auf. Davis erklärte, das Kabinett und alle konservativen Abgeordneten sollten „aufstehen“ und „Nein sagen zu dieser Kapitulation“. „Dieser Deal hat das Potenzial, zum Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs zu führen – und das können wir nicht unterstützen“, sagte Jeffrey Donaldson von der DUP.

Nach der Kabinettsitzung vom Mittwoch muss die Premierministerin in den nächsten Tagen mit weiteren Rücktritten von EU-feindlichen Ministern rechnen. Zu den Wackelkandidaten zählen die Ressortchefs für Entwicklungshilfe und Soziales, Penelope Mordaunt und Esther McVey. Deren Rücktritt würde May aber ebenso überstehen wie die Demission der Ministerin für das Gesetzgebungsprogramm der Regierung („Führerin des Unterhauses“), Andrea Leadsom. Schwer zu verkraften wäre es hingegen, wenn Brexit-Minister Dominic Raab, Chefdiplomat Jeremy Hunt oder Innenminister Sajid Javid den Bettel hinschmeißen würden. Entscheidend dürfte auch die Haltung von Umweltminister Michael Gove sein, schließlich gehörte dieser zu den prominentesten harten Brexiteers.

Sobald das gesamte Paket von Dokumenten veröffentlicht ist – bisher kennen nur die Minister Teile des Textes –, muss sich May möglicherweise schon an diesem Donnerstag Nachfragen des Unterhauses stellen. Dort könnten die Brexit-Hardliner wie Boris Johnson oder Jacob Rees-Mogg die Parteichefin offen herausfordern. Ein Votum des Unterhauses ist zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht vorgesehen. Die der Regierung im vergangenen Frühjahr nach harten Auseinandersetzungen abgerungene „aussagekräftige Abstimmung“ des Unterhauses über einen ausgehandelten Deal wird frühestens für Mitte Dezember erwartet. May will dann das Parlament vor die Alternative stellen: Entweder Brexit gemäß dem Deal, den die Regierung mit der EU vereinbart hat. Oder ein Chaos-Brexit ohne Austrittsvereinbarung. Hingegen pocht die Labour-Opposition darauf, der entsprechende Entschließungsantrag im Parlament müsse weitere Optionen offenlassen.

Dies alles setzt voraus, dass die 27 verbleibenden EU-Mitglieder sich in den nächsten Tagen hinter dem jetzt ausgehandelten vorläufigen Deal versammeln. Aus Mays Sicht sollte der für Sonntag, 25. November, ins Auge gefasste Sondergipfel positive Schlagzeilen und Rückenwind für die politische Auseinandersetzung daheim bringen.

Wie wahrscheinlich ist ein zweites Referendum?

Völlig ausgeschlossen, lautet die Antwort der Regierung: „Wir hatten ein Referendum, ein zweites kommt nicht in Frage.“ Allerdings hat die britische Politik in den vergangenen Jahren atemberaubende Veränderungen erlebt. Nichts zuletzt wies die Premierministerin mit Verweis auf „das nationale Interesse“ monatelange alle Spekulationen für vorgezogene Neuwahlen von sich – bis sie mit Verweis auf ebenjenes nationale Interesse ebenjene Neuwahlen ausrief.

Darauf hat Joseph Johnson hingewiesen, einer von derzeit neun Tory-Abgeordneten, die das sogenannte „People’s Vote“ anstreben. Befürwortet wird die neuerliche Abstimmung von den zwölf Liberaldemokraten im Unterhaus, der einzigen Grünen sowie mindestens zwei Dutzend Labour-Hinterbänklern. Hingegen wünscht sich die Labour-Führung eine Neuwahl, schließt aber das zweite Referendum nicht aus. Sollte das Parlament den Brexit-Deal und Neuwahlen ablehnen, könnte sich die größte Oppositionspartei die Forderung zueigen machen. In diesem Fall wäre es womöglich auch im Interesse der konservativen Minderheitsregierung, das Volk erneut abstimmen zu lassen. Bereits heute setzen sich Prominente wie der legendäre Fußballspieler Gary Lineker, Popsänger Bob Geldof und Ex-Premier Tony Blair für das zweite Referendum ein.

Welche Haltung hat die EU zur Vereinbarung?

Der Chefunterhändler der EU für die Brexit-Gespräche, Michel Barnier, wurde noch am Dienstag im EU-Parlament gesehen. Man konnte beobachten, wie der Franzose am Rande der Rede von Kanzlerin Angela Merkel immer wieder angesprochen wurde, etwa von Haushaltskommissar Günther Oettinger und anderen. Da waren in Straßburg bereits die ersten Meldungen herum gegangen, dass sich die Unterhändler aus London und Brüssel geeinigt hätten. 500 Seiten soll das Dokument stark sein. Während die britische Regierung bereits Dienstag Abend den Durchbruch verkündete, war die EU-Seite deutlich vorsichtiger. EU-Diplomaten sprachen zu diesem Zeitpunkt lediglich von einer technischen Einigung. Hintergrund der Zurückhaltung: Erst wenn die Botschafter in Absprache mit den Regierungen in den Hauptstädten grünes Licht geben, kann man auch von einer politischen Einigung sprechen. Mittwoch Mittag bestätigt dann ein Kommissionssprecher erstmals offiziell: Die Unterhändler hätten sich auf „Elemente“ des Austrittsabkommens geeinigt. Auch er ist vorsichtig. Mit Blick auf den laufenden Prozess in London wolle er sich nicht zu Details äußern.

Was steht in dem Austrittsvertrag?

Das Abkommen sieht dem Vernehmen nach vor, dass Großbritannien zwar am 29. März aus der EU austritt, sich aber bis Ende 2020 so gut wie nichts ändert. Das Land muss weiter für die EU zahlen und sich an die gemeinsamen Regeln halten, darf aber nicht mehr am Tisch sitzen, wenn im Parlament und im Rat abgestimmt wird. Der Vertrag garantiert auch, dass EU-Bürger, die auf der Insel leben, und Briten auf dem Kontinent Rechtssicherheit haben. Zudem wird besiegelt, dass London rund 45 Milliarden Euro zahlen muss, um seinen im Laufe der Mitgliedschaft eingegangenen Zahlungsverpflichtungen etwa für die Pensionen der EU-Beamten nachzukommen. Der Knackpunkt ist bis zuletzt die Zukunft von Irland. Beide Seiten wollen nach dem Brexit Grenzkontrollen zwischen Nordirland, das zum Vereinigten Königreich gehört, und der Republik Irland unbedingt vermeiden. Andernfalls, so die Einschätzung, sei der Frieden in der ehemaligen Bürgerkriegsprovinz bedroht. Es ging zuletzt um die Frage, wie Kontrollen an der inneririschen Grenze auch dann vermieden werden können, wenn es nicht gelingt, nach dem Austritt ein umfassendes Freihandels- und Zollabkommen zwischen London und Brüssel auszuhandeln. Dem Vernehmen nach ist nun vorgesehen, dass Nordirland bis aus weiteres komplett im EU-Binnenmarkt bleibt. Der Rest des Vereinigten Königreichs soll lediglich in einer Zollunion mit der EU bleiben.

Was muss auf EU-Seite noch geschehen?

Auf EU-Seite müssen die Staats- und Regierungschefs den Vertrag billigen. Dafür ist ein Sondergipfel noch in diesem Monat im Gespräch. Möglicherweise brauchen aber die Mitgliedstaaten noch etwas mehr Zeit, um die Details des Vertrages zu prüfen. Wenn die Staats- und Regierungschefs grünes Licht zum Austrittsvertrag geben, sind die beiden EU-Co-Gesetzgeber am Zug: Die Mehrheit der EU-Abgeordneten muss dafür stimmen. Das Parlament wird Zeit brauchen, um den Vertrag zu prüfen. Anschließend müssen noch im Rat, dem Gremium der Mitgliedsländer, mindestens 20 von 28 EU-Ländern, in denen insgesamt 65 Prozent der EU-Bevölkerung leben, für den Vertrag stimmen. Das Votum der nationalen Parlamente der 27 verbleibenden EU-Mitgliedstaaten muss dagegen nicht eingeholt werden. Aus den Reihen des Europaparlaments gab es bereits Warnungen, die Zustimmung sei kein Selbstläufer. Ein führender deutscher Abgeordneter aus der christdemokratischen Parteienfamilie sagte: „Es muss deutlich werden, was der Brexit bedeutet. Die Schlüsselfrage ist: Was bedeutet es für einen Mitgliedstaat, in der EU oder außerhalb der EU zu sein. Da werden wir keine faulen Kompromisse durchwinken.“

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