Großbritanniens EU-Austritt: Die Brexit-Einigung bringt noch lange keine Gewissheit
Die Details für den EU-Austritt Großbritanniens stehen fest. Doch es droht weiterhin ein No-Deal-Szenario. Auf den Dezember kommt es an. Ein Kommentar.
Wenn der Brexit eine Scheidung zwischen zwei langjährigen Eheleuten wäre, dann stünde das Verfahren jetzt an einem entscheidenden Punkt: kurz vor dem Gerichtstermin. Großbritannien und die EU hatten sich ja schon lange auseinandergelebt, und mit ihrem Referendumsvotum vom Juni 2016 stellten die Briten gewissermaßen den Scheidungsantrag.
Viereinhalb Monate vor dem Austritt der Briten aus der EU haben sich die Unterhändler beider Seiten nun auf die Details des Austrittsvertrages geeinigt. Es ist ein Hoffnungszeichen, dass die Ehe einigermaßen glimpflich für alle Beteiligten auseinandergeht. Mehr ist es aber auch nicht, weil in London das politische Einverständnis zu den Bedingungen des Austrittsvertrages noch fehlt.
Wie bei Ehescheidungen wird auch beim Brexit immer wieder gefragt, an welchem der beiden Partner es liegt, dass sich die Verhandlungen derart in die Länge ziehen. Die Frage lässt sich einfach beantworten: Auf Seiten der EU dürfte der Text der Austrittsvereinbarung verhältnismäßig reibungslos angenommen werden. Das Problem liegt in London.
Das Problem liegt in London, nicht in Brüssel
Die Brexit-Gespräche kranken ja auch nicht daran, dass die EU den Briten ständig neue überharte Forderungen serviert. Vielmehr sind die Verhandlungen von Anfang an schwierig gewesen, weil es in der britischen Politik keinen Konsens darüber gibt, wie das Verhältnis nach der Scheidung aussehen soll.
Brexiteers wie der frühere Außenminister Boris Johnson wollen sicherstellen, dass Großbritannien die bestehenden Brücken zur EU abreißt – also aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aussteigt. Die auch bei den regierenden Tories vertretenen Remainer wollen hingegen einen möglichst weichen Brexit erreichen.
Zusätzlich verkompliziert wird die Lage dadurch, dass zuletzt das Lager derjenigen, die ein zweites Referendum über den Austritt aus der Europäische Union fordern, an Zulauf gewonnen hat. Um im Bild der Scheidung zu bleiben: Der trennungswillige Partner ist sich nicht sicher, ob er aus dem einstigen gemeinsamen Domizil tatsächlich ausziehen soll oder nicht.
Inmitten des britischen Stimmengewirrs hat die britische Regierungschefin Theresa May anfangs stets erklärt: „Brexit bedeutet Brexit.“ Der lakonische Spruch, der alle Details offenließ, sollte so viel bedeuten wie: Der Wille der britischen Bevölkerung, die sich für den Ausstieg aus der EU ausgesprochen hatte, wird vollzogen. Je länger die Verhandlungen allerdings dauerten, umso klarer wurde, dass May nicht die Linie von Anhängern eines „harten Brexit“ wie Boris Johnson verfolgen will.
Die Einigung ist erst mal nur ein Zeitgewinn
Der Grund dafür liegt im Nordirland-Problem. Beide Seiten – die verbleibenden 27 EU-Staaten und Großbritannien – wollen sicherstellen, dass der Frieden in der früheren Bürgerkriegsregion auch künftig gewährleistet wird. Deshalb darf zwischen der nordirischen Provinz und der Republik Irland keine „harte Grenze“ entstehen.
Irgendwo muss aber in Zukunft eine Zollgrenze verlaufen, wenn Großbritannien eines Tages nicht mehr zur EU-Zollunion gehören soll. Weil aber die Ausgestaltung des künftigen Wirtschaftsverhältnisses zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich noch in weiter Ferne liegt, will May die Briten in einer längeren Übergangszeit in der Zollunion halten. Daran entzünden sich nun die erbitterten Diskussionen in London.
Für May, die am Mittwoch ihr Kabinett auf den Zollunions-Deal einzuschwören versucht, wird es nicht der letzte Showdown mit den Gegnern in den eigenen Reihen bleiben. Als entscheidende Klippe dürfte sich eine Parlamentsabstimmung im Dezember erweisen, bei der die Tory-Brexiteers, die Tory-Remainer und die nordirischen Unionisten von der DUP dem Brüsseler Deal endgültig den Garaus machen könnten. Aus diesem Grund müssen sich alle, vom Exporteur bis zum Großbritannien-Touristen, auch mit dem Szenario eines ungeregelten Brexit – also einer Scheidung ohne Deal – befassen. Das ist keine Schwarzmalerei, sondern sinnvolle Vorsorge.