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Äthiopische Soldaten machen eine Pause in Dansha.
© Eduardo Soteras/AFP

„Äthiopien verliert an Stabilität“: Welche Folgen der Tigray-Konflikt für das Horn von Afrika hat

Kämpfe in Tigray, Streit um den Nil-Staudamm und Spannungen mit den Sudan: Westliche Politiker sorgen sich um Äthiopien und die Stabilität am Horn von Afrika. 

Selbst der Blick aus der Ferne macht deutlich, wie prekär die Lage der Menschen in Tigray ist: In der äthiopischen Region fehlt es an Lebensmitteln, an sauberem Trinkwasser und Medikamenten, so berichten es internationale Helfer, denen nach Angaben der Vereinten Nationen bis zuletzt sogar der Zugang verweigert wurde. 2,3 Millionen Bedürftige sieht der EU-Außenbeauftrage Josep Borrell, dazu Berichte über Verletzungen der Menschenrechte, des humanitären Völkerrechts und des Flüchtlingsrechts.  

Seit mittlerweile drei Monaten liefert sich die Äthiopiens Regierung um Abi Ahmed mit der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) einen Kampf um die Macht in der Provinz. Rund 60.000 Menschen flohen bislang in den Sudan. Und geht es nach Oppositionellen, könnten seit Beginn des Konflikts mehr als 50.000 Menschen getötet worden sein. Städte und Dörfer seien zerstört worden, ebenso Kliniken, Schulen und Gotteshäuser, heißt es in einer Erklärung der Tigray Independence Party, der Salsay Weyane Tigray und der Great Tigray Partei. „Außergerichtliche Tötungen und Massenvergewaltigungen gehören inzwischen zur Tagesordnung.“ 

"Das betrifft die ganze Region"

Doch längst hat der Konflikt, der an Wahlen für das Regionalparlament in Tigray begann, massive Auswirkungen auf die Region, vom 105-Million-Einwohner-Land auf das Horn von Afrika. Während Äthiopien ohnehin rund drei Millionen Binnenflüchtlinge zählt, sind nun auch Hunderttausende in Tigray auf der Flucht. „Das Land verliert massiv an Stabilität. Das betrifft die gesamte Region“, sagt Annette Weber von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). „Ein Auseinanderdriften des Vielvölkerstaats ist schon länger zu beobachten – und es ist kein Umgang damit zu erkennen“, sagt Weber weiter. „Es droht auch Unruhe in anderen Regionen des Landes.“ Bereits früher sei es etwa zu Auseinandersetzungen der größten Volksgruppen Omoro und Amharen gekommen.  

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Die Sorge westlicher Politiker, dass der Konflikt nun zu einem Flächenbrand in der Region mit unabsehbaren Folgen anwächst, ist groß. Zuletzt mahnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einem Telefonat mit dem äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed Ali eine friedliche Lösung des Konfliktes in Tigray an. US-Außenminister Antony Blinken telefonierte ebenfalls mit Äthiopiens Regierungschef und forderte einen ungehinderten Zugang der Menschen zu humanitärer Hilfe in der Region. Diese erreicht die Menschen immer noch eingeschränkt oder gar nicht, sagte EU-Außenbeauftragter Borrell erst am Montag. 

Eritreas Einfluss am Horn von Afrika wächst

In einem Statement mit weiteren EU-Kommissaren forderte Borrell zudem den Abzug der eritreischen Truppen aus Tigray. Seit Monaten sind diese einer der Akteure im Konflikt in der Provinz. Inwieweit die Truppen auf Geheiß von Ministerpräsident Abiy Ahmed im Land sind, blieb indes unklar. „Der wachsende Einfluss Eritreas, des autoritärsten Regimes in Afrika, ist beunruhigend“, sagt Weber. „Auch ohne Hunger und Krieg verzeichnet Eritrea die meisten Flüchtlinge des Kontinents – ein Hinweis auf die Repressionen im Land.“  

Die "Grand Ethiopian Renaissance"-Talsperre hat im vergangenen Juli erstmals Wasser angestaut.
Die "Grand Ethiopian Renaissance"-Talsperre hat im vergangenen Juli erstmals Wasser angestaut.
© Reuters/Tiksa Negeri

Doch droht am Tigray-Konflikt auch ein alter Grenzdisput zwischen Äthiopien und dem Sudan aufzuflammen, an einer Grenze, die nie richtig demarkiert wurde, wie SPW-Wissenschaftlerin Weber sagt. Zuletzt soll es sogar zu direkten Kämpfen zwischen äthiopischen und sudanesischen Truppen an der Grenze der beiden Länder gekommen sein, bei denen 51 Soldaten starben. So berichten es sudanesische Militärs, die einen Angriff der äthiopischen Kräfte als Grund nannten. „Hier wachsen Spannungen zwischen Trägern einst positiver Entwicklungen“, sagt Weber. „Immerhin können sich beide Seiten einen Krieg nicht leisten.“   

Grenzstreitigkeiten mit dem Sudan, Disput um den Staudamm

Die Spannungen mit den Sudan deuten zudem auf ein weiteres Problem: den Disput um den „Grand Ethiopian Renaissance“-Staudamm im Hochland von Benishangul Gumuz, zehn Kilometer von der sudanesischen Grenze entfernt. Seit 2011 wird an der 1,8 Kilometer langen und 145 Meter hohen Talsperre gearbeitet, sie soll die Entwicklung des Landes antreiben. Seit Jahren verursacht der Bau des Damms Streit mit den Nil-Anrainern Ägypten und Sudan, die um ihre Wasserversorgung fürchten. Unzählige Verhandlungsrunden, begleitet von der Afrikanischen Union und der UN, brachten keinen Erfolg. Im vergangenen Juli soll dort erstmals Wasser gestaut worden sein.  

Vor wenigen Tage erklärte der sudanesische Minister für Bewässerung und Wasser-Ressourcen, Yasser Abbas, jeder von Äthiopien einseitig vorgenommene Schritt, um den Damm im Blauen Nil zu füllen, werde als direkte Gefahr für die nationale Sicherheit aufgefasst – eine direkte Drohung an die äthiopische Regierung. Ägypten hingegen hatte bereits im vergangenen August trilaterale Gespräche mit den beiden Anrainern beendet – soll aber vor Jahren mit der Bombardierung des Dammes gedroht haben.  

SWP-Wissenschaftlerin Weber erkennt seit dem Amtsantritt der US-Regierung um Joe Biden ein gebündeltes transatlantisches Vorgehen – und hält es auch für erforderlich. „Die EU und die USA sollten ihren Einfluss in Äthiopien geltend machen, um die Region stabil zu halten.“ Längst habe die EU Beobachterstatus bei den Verhandlungen um den Nil-Staudamm. „Es gibt gute Instrumente, die hier Anwendung finden können“, sagt Weber. Sie seien aber auch geboten.  

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