Kfz-Händler, Zoos und kleine Geschäfte dürfen öffnen: Welche Corona-Lockerungen die Bundesregierung sofort durchsetzen möchte
Nach Tagesspiegel-Informationen sollen viele Beschränkungen bis 3. Mai bleiben - doch einige Vorgaben sollen gelockert werden. Ein Überblick.
Es ist der Tag der Video- und Telefonschalten. Ab 14 Uhr beraten sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder, wie weit die im März beschlossenen Einschränkungen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens gelockert werden können. Bisher galt als Regierungslinie: Die Sicherung der Gesundheitsversorgung geht vor.
Und man will die bisher erzielten Erfolge bei der Eindämmung des Corona-Virus nicht durch voreilige Maßnahmen gefährden, um dann später wieder die Zügel anziehen zu müssen. Doch es bewegt sich wohl doch einiges: Nach den Vorstellungen der Bundesregierung sollen die im März in drei Schritten beschlossenen Maßnahmen zur Beschränkung des öffentlichen Lebens zwar weitgehend bis zum 3. Mai fortgesetzt werden.
Mit bestimmten Lockerungen schon in den kommenden Tagen ist aber zu rechnen.
Das geht aus einer Beschlussvorlage für das Gespräch der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt. Darin finden sich folgende Vorschläge für die einzelnen Bereiche:
- Bibliotheken, Archive, Zoos, botanische Gärten und alle Geschäfte bis zu einer Fläche von 800 Quadratmetern sollen wieder öffnen können, wenn Auflagen zu Hygiene und zur Steuerung des Zutritts eingehalten werden können; darüber hinaus alle Kfz-Händler, Fahrradhändler und Buchhandlungen (was in Berlin schon jetzt regional möglich war). Da die bisherigen Maßnahmen bis 19. April befristet waren, lässt sich schließen, dass die Öffnungserlaubnis vom 20. April an gilt.
- Friseurbetriebe können, wenn dem Papier von den Ländern zugestimmt wird, ab dem 4. Mai wieder geöffnet werden - aber unter strengen Hygieneauflagen.
- Für die Gastronomie werden keine Lockerungen in Aussicht gestellt - es bleibt dabei, dass Restaurants, Cafés und Kneipen nur für den Außenverkauf öffnen dürfen.
- Ein Thema, das in den vergangenen Tagen sehr umstritten war: Schulen sollen erst vom 4. Mai an öffnen, und dann auch nur für Abschlussklassen und „qualifikationsrelevante Jahrgänge“, also etwa die Übergangsklassen aus der Grundschule.
- Eine Maskenpflicht soll es zunächst nicht geben.
Besonders die Frage der Schulöffnungen könnte in der Schalte von Angela Merkel mit den Länder-Regierungschefs noch kontrovers diskutiert werden - die Einladung zur Pressekonferenz der Kanzlerin zusammen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und dem Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) blieb am Morgen ohne konkrete Uhrzeit, dürfte aber nicht vor 17 Uhr stattfinden. Das deutet auf einen gewissen Gesprächsbedarf hin.
Auf Privatreisen soll weiter verzichtet werden
Nach der Vorlage der Bundesregierung bleiben die Bürger bis auf Weiteres aufgefordert, generell auf Privatreisen und Besuche – auch von Verwandten – zu verzichten. Übernachtungen für touristische Zwecke bleiben untersagt. Kneipen, Clubs und Einrichtungen wie Fitnessstudios sollen geschlossen bleiben, auch Gottesdienste bleiben demnach untersagt.
Hier soll das Bundesinnenministerium mit den Glaubensgemeinschaften Lösungen finden, wie vielleicht mit Abstandsregelungen künftig wieder Gottesdienste möglich sein könnten.
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Zuvor hatten führende Epidemiologen der Helmholtz-Gemeinschaft in einem Positionspapier empfohlen, lieber noch einmal für drei Wochen alle Maßnahmen zu verlängern. „Je strikter die Maßnahmen, desto schneller wird der Zielwert erreicht", betonen sie. Mit Zielwert ist die sogenannte Reproduktionszahl gemeint. Sie gibt an, wie viele Menschen ein Infizierter im Schnitt ansteckt. Derzeit liegt die Zahl laut dem Robert Koch-Institut bei 1,2. Die Helmholtz-Gemeinschaft empfiehlt einen Zielwert von deutlich unter 1 (mehr dazu an dieser Stelle).
Falls die Infektionszahlen nach Lockerungen zu schnell steigen, drohe ein Bumerang-Effekt mit neuen Einschränkungen. Genau dieses Szenario erlebt Japan gerade, wo für die Region Hokkaido ein erneuter Ausnahmezustand erklärt werden musste.
[Mehr zum Thema: Was für eine baldige Corona-Lockerung spricht - und was dagegen]
Forderungen aus den Verbänden
Vor der Beratung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten am Mittwoch hatten verschiedene Politiker und Verbände Forderungen zum weiteren Vorgehen im Kampf gegen die Pandemie gestellt.
So forderte der Spitzenverband der Industrie (BDI) einen klaren und bundesweit einheitlichen Zeitplan für einen Neustart. "Wenn wir es nicht schaffen, schon bald den Stillstand von Wirtschaft und Gesellschaft stufenweise wieder aufzuheben, drohen erhebliche Konsequenzen für unsere Unternehmen", erklärte BDI-Präsident Dieter Kempf in Berlin.
Auch FDP-Chef Christian Lindner äußerte sich zu den Lockerungen. Er sieht Kanzlerin und Ministerpräsidenten in der Pflicht, konkrete Schritte für eine Öffnung des gesellschaftlichen Lebens vorzulegen. "Wir haben mehr Schutzausrüstung und die Kapazitäten im Gesundheitswesen sind erhöht worden", sagte Lindner dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland".
Lindner macht konkrete Vorschläge, unter welchen Bedingungen Lockerungen seiner Meinung nach möglich wären. Er nennt das Tragen von Schutzmasken für Servicekräfte, Abstandsregeln in Restaurants, Desinfektion in Geschäften und eine Einlasskontrolle für eine festgelegte Anzahl von Kunden. Ebenso spricht er sich für die Sonntagsöffnung von Geschäften aus, so könne der "Kundenverkehr entzerrt" werden. "Spezielle Einkaufszeiten für ältere Menschen und Gefährdete wären sinnvoll", so Lindner.
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Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte vor der Schalte Erwartungen gedämpft, dass die Beschränkungen schnell gelockert werden. Man sei noch mitten in der Pandemie, sagt der SPD-Politiker dem Inforadio vom rbb. Er rief zu Geduld und Selbstdisziplin auf.
Auch Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow äußerte sich zurückhaltend zu einer Lockerung. Die Frage sei nicht, wer jetzt welche Türen am schnellsten aufmache, sagt der Linken-Politiker im Deutschlandfunk. Vielmehr müsse es Maßnahmen geben, dass es nicht zu einer zweiten Welle der Erkrankungen komme. "Wir haben noch immer kein Medikament, wir haben noch immer keinen Impfstoff."
Er halte es für vorstellbar, dass Schulen zunächst für höhere Jahrgänge wieder geöffnet würden, Voraussetzung sei aber ein ausreichender Schutz auch der Lehrer.
"Selbstständige müssen wieder tätig sein können"
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) forderte Lockerungen der Kontaktbeschränkungen zunächst bei Auszubildenden und Selbstständigen. „Eine Priorität ist, dass Prüfungen stattfinden können“, sagt er in der ARD. Das gelte für Abiturienten wie für Meisterschüler. „Selbstständige müssen wieder tätig sein können, wo immer das geht.“
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Familienministerin Franziska Giffey (SPD) lehnte den Vorschlag der Leopoldina-Forscher ab, die Kitas bis zum Sommer geschlossen zu halten. „Ich halte das auch nicht für einen guten Weg“, sagt sie in der ARD. Die Entlastung alleinerziehender Erwerbstätiger und wichtige pädagogische Gründe sprächen für eine frühere Öffnung.
Lehrerverband: Schulen brauchen eine Woche Zeit für Vorbereitungen
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, hofft auf eine bundesweit einheitliche Regelung zur Wiederaufnahme des Schulbetriebs - mit einem Neustart etwa für die vierten Klassen und die Abschlussklassen.
Es müssten etliche Vorbereitungen getroffen werden, um einen geordneten Betrieb zu gewährleisten, sagte er am Mittwoch in der ARD. Als Beispiele nannte er die vermehrte Reinigung der Gebäude und den Schulbusverkehr. Vor dem Schulstart benötigte man für die Vorbereitung eine Woche Zeit.
285 Todesfälle binnen 24 Stunden
In Deutschland ist nach Angaben des Robert Koch-Institutes (RKI) die Zahl der Infektionsfälle um 2486 auf 125.584 gestiegen. Binnen 24 Stunden seien 285 weitere Todesfälle in Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie gemeldet worden, teilt das RKI am Mittwoch auf seiner Internet-Seite mit.
Insgesamt beläuft sich damit nach Zählungen des RKI die Zahl der an dem Virus gestorbenen Menschen in Deutschland auf 3254. Rund 72.600 Menschen sind demnach genesen. (mit Reuters)
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