„Ich bin ein kultureller Blutegel“: Weiße US-Geschichtsdozentin gab sich als Afroamerikanerin aus
Inmitten der Rassismus-Debatten wird bekannt: Die weiße US-Historikerin Jessica Krug log über ihre Herkunft. Sie sagt nun, dies sei „unethisch und unmoralisch“.
In den USA hat der Fall einer weißen Dozentin der George Washington University große Empörung ausgelöst: Sie hatte sich über viele Jahre als Afroamerikanerin ausgegeben. Die 38-jährige Jessica Krug gab zu, über ihre wahre Herkunft habe sie "den größten Teil" ihres Erwachsenenlebens über gelogen, schrieb sie in einer Erklärung auf der Plattform "Medium".
In den USA gibt es derzeitig heftige Debatten und immer wieder Demonstrationen wegen der anhaltenden Diskriminierung von Schwarzen. Wegen wiederholter Fälle von Polizeigewalt gegen Afroamerikaner bestimmt die Rassismus-Debatte auch den Wahlkampf vor der Präsidentschaftswahl am 3. November, bei der der amtierende Republikaner Donald Trump gegen den Demokraten Joe Biden antritt.
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Die 1821 gegründete Universität der US-Hauptstadt teilte am am Freitag (Ortszeit) mit, die Geschichtsdozentin Krug werde dieses Semester keine Kurse an der George Washington University geben. Auf Twitter schrieb die renommierte Hochschule: "Wir haben Kenntnis von dem Post von Jessica Krug und schauen uns die Situation an. Personelle Angelegenheiten dürfen wir nicht weiter kommentieren."
Unter der Überschrift "The Truth, and the Anti-Black Violence of My Lies" schreibt Krug in ihrem Beitrag: "Ich habe meine Vergangenheit als weißes, jüdisches Kind in den Vororten von Kansas City zugunsten mehrerer schwarzer Identitäten verschleiert, die zu beanspruchen ich kein Recht hatte", gestand die auf die Geschichte Afrikas und der Kolonialzeit spezialisierte Historikerin ein. Dies sei genau der "Inbegriff von Gewalt, Diebstahl und kultureller Aneignung" gewesen, mit dem Nicht-Schwarze immer wieder die Identitäten und Kulturen von Schwarzen ausbeuten würden.
Besonders leid aber tue ihr, dass sie Menschen, die ihr vertraut und die für sie gekämpft hätten, belogen und betrogen habe. Dieses Verhalten sei "unethisch, unmoralisch, antischwarz und kolonial" gewesen und eine bittere menschliche Enttäuschung für die Menschen, die sie liebe, schreibt Krug weiter.
Demnach hatte die hellhäutige Krug sich erst als Nordafrikanerin, dann als Afroamerikanerin und dann als Schwarze mit karibischen Wurzeln aus dem New Yorker Stadtteil Bronx ausgegeben. Nach Informationen des US-Nachrichtensenders CNN hatte Krug vor ihren Studenten das Wort "Neger", wenn es in Texten vorkam, laut ausgesprochen – ein Tabu in den USA, dessen Bruch nur Schwarzen zugestanden wird.
Krug entschuldigte sich und schrieb: "Ich bin kein kultureller Geier, ich bin ein kultureller Blutegel." In ihrem Text bezeichnet sich Krug mehrfach als Feigling. Schon oft habe sie darüber nachgedacht, ihre Lügen zu beenden. Aber: "Meine Feigheit war stets stärker als meine Ethik." Als Grund für ihr Vorgehen nannte sie psychische Probleme und Kindheitstraumata, die sie aber nicht näher definierte und auch nicht als Entschuldigung verwenden wollte. Selbst in ihrem Privatleben habe sie vorgegeben, schwarz zu sein.
Krug hat zudem in ihrer Karriere offenbar von ihrem Identitätsschwindel finanziell profitiert. So soll sie für ein Buch über den transatlantischen Sklavenhandel Unterstützung von Kulturinstitutionen wie dem "Schomburg Center for Research in Black Culture" angenommen haben, wie der britische "Guardian" berichtet.
Was genau Krug zu ihrem Schritt an die Öffentlichkeit bewogen hat, ist bisher unklar. Vermutlich aber hatte sie Angst enttarnt zu werden und ergriff die Flucht nach vorn. Wie einige Medien berichten, habe eine schwarze Studentin Zweifel an ihrer Identität geäußert und sich an die Universität gewandt.
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Eine ihrer Studentinnen beschrieb Krug auf CNN als eine charismatische Lehrende, die über spannende Themen wie die indigene Population in Chile oder die Rolle von Reis in der afrikanischen Diaspora dozierte. In dieses Feld fällt auch Krugs erste Buchveröffentlichung, "Fugitive Modernities", das 2018 im Verlag Duke University Press erschien.
Das Sachbuch kam in der Fachwelt gut an, war für zwei Wissenschaftsbuchpreise nominiert. Die Studentin sagte weiter, sie habe nicht geahnt, dass Krug über ihre Herkunft Lügen verbreiten könnte, obwohl sie einmal von ihren Vorfahren in der Dominikanischen Republik und dann wieder von ihren Wurzeln in Puerto Rico gesprochen habe.
Der Fall der Lehrbeauftragten erinnert an die Ereignisse um Rachel Dolezal, wie die "New York Times" (NYT) schreibt. Die Bürgerrechtsaktivistin war über Jahre als Schwarze aufgetreten, obwohl sie als Weiße geboren wurde. 2015 deckten ihre Eltern ihre Lüge über die afroamerikanischen Wurzeln auf.
Seinerzeit war in den USA ausgiebig über die Problematik des "Passing" diskutiert worden – ursprünglich zumeist eine Praxis, mit der hellhäutigere Schwarze sich als Weiße ausgaben, um den Benachteiligungen, denen sie als Schwarze ausgesetzt waren und sind, zu entkommen. Der umgekehrte Weg von Dolezal und nun Krug gilt als problematischer. Denn Menschen wie sie können in ihre privilegiertere Identität "zurückkehren".
Krugs Fall aber gewinnt zusätzlich an Brisanz, weil sie sich – offenbar unter ihrem "Salsa-Namen", wie die NYT es formuliert – per Videokonferenz an einer Anhörung des New Yorker Stadtrats zur Polizeigewalt bei den Demonstrationen nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd teilnahm. Wie "The New Yorker" berichtet, ist auf einem Videoausschnitt eine "Jess La Bombalera" mit Latina-Akzent zu hören, wie sie über die Behandlung "schwarzer und brauner New Yorker" wettert.
"Wir sind uns des Schmerzes bewusst, den diese Situation bei vielen unserer Gemeinschaft verursacht hat", erklärte die George Washington University. Viele derzeitige und ehemalige Studenten sowie Dozenten litten unter Krugs Identitätsschwindel.