Nach der Bundestagswahl: Washington wartet auf Berlin
Die Biden-Administration hofft auf eine schnelle Regierungsbildung des wichtigen Partners. Großes Interesse gibt es beim Blick auf die kleineren Parteien.
„I’ll be darned!“, „Das gibt’s doch nicht!“, sagt US-Präsident Joe Biden, als er am Sonntagabend ins Weißen Haus zurückkehrt. Gerade hat ihn Reuters-Korrespondent Jeff Mason mit der Frage konfrontiert, was er zur Wahl in Deutschland sage, bei der die Sozialdemokraten vorneliegen würden. Nach kurzer Besinnung sagt Biden: „Nun gut ... Sie sind verlässlich.“
Ist die US-Regierung wirklich überrascht vom Wahlausgang und einer zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlichen Ampel-Koalition unter Führung von Noch-Finanzminister Olaf Scholz?
Am Wahltag hat die deutsche Botschaft in Washington Journalisten und Transatlantiker in die Residenz von Botschafterin Emily Haber geladen. Gekommen sind auch einige derjenigen, die auf den verschiedenen Regierungsebenen mit Deutschland zu tun haben, etwa im Außen- oder im Handelsministerium. Offiziell zitieren lassen wollen sie sich nicht, schon gar nicht, so lange vieles noch unklar ist.
Man stellt sich auf eine längere Wartezeit ein
Als die ersten Prognosen über die Bildschirme flackern, haben die Amerikaner mehr Fragen an ihre deutschen Sitznachbarn. Kein Wunder bei dem Kopf-an-Kopf-Rennen, nach dem es zunächst aussieht.
Gleichzeitig zeigen sie sich einigermaßen gelassen, was die nächsten Wochen und Monate angeht. Nach dem monatelangen Gezerre vor vier Jahren wissen viele: Die Regierungsbildung in Deutschland kann dauern, vor allem, wenn drei Parteien involviert sind.
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Und so lange, das wirkt auf viele Amerikaner offenbar beruhigend, sei ja Angela Merkel noch da. Die Kanzlerin ist bei den Transatlantikern im liberalen Washington ziemlich beliebt, von ihr erwarten sie auch in den letzten Monaten ihrer 16-jährigen Amtszeit keine Überraschungen mehr. Betont wird die „caretaker“-Rolle der scheidenden Regierung, die Chaos verhindern soll.
Deutschland wird als zentraler Partner gesehen
Viel mehr als diese Rolle, auch das ist den Amerikanern allerdings klar, ist nicht mehr von der Merkel-Regierung zu erwarten. Also keine außenpolitischen Initiativen. Daher sei es wichtig, wird betont, dass es möglichst bald eine handlungsfähige Regierung gibt. Dass die eine fundamental andere Außenpolitik machen wird, egal ob der Kanzler Olaf Scholz oder doch Armin Laschet heißt, wird nicht erwartet.
Die Biden-Administration sieht Berlin als zentralen Partner in Europa an, beispielsweise beim Umgang mit dem zunehmend aggressiv auftretenden China. Dass besonders die Grünen, die aller Voraussicht nach in der nächsten Bundesregierung vertreten sein werden, ähnlich wie die US-Demokraten eine wertebasierte Außenpolitik vertreten, wurde in Washington aufmerksam registriert.
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So hat die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock im Wahlkampf für einen harten Kurs gegenüber Russland und China plädiert – ganz im Sinne Bidens. Auch hat sie die in Washington umstrittene Übereinkunft zwischen der deutschen und der US-Regierung über Nord Stream 2 kritisiert und angekündigt, im Falle einer Regierungsbeteiligung Lieferungen aus Russland durch die Pipeline nach Deutschland zu verhindern.
Wie sparsam will die FDP sein?
Von einer Regierungsbeteiligung der FDP wiederum erhofft man sich Fortschritte beim Freihandel. Kritischer sehen manche US-Experten dagegen, dass Parteichef Christian Lindner nach der Pandemie schnell wieder zur Schuldenbremse zurückkehren will.
Mit ihm als möglichem Finanzminister, so fürchten liberale Amerikaner, könnten von Scholz versprochene höhere Investitionen Deutschlands in grüne Technologien oder Infrastruktur schwierig werden. Biden hat den Kampf gegen den Klimawandel als eine Hauptaufgabe definiert.
Aber auch als Chance für die heimische Wirtschaft. „Denke ich ans Klima, denke ich an Jobs“, sagt der 78-Jährige häufig. Innenpolitisch will er dafür sein milliardenschweres Infrastrukturpaket durch den Kongress bringen, außenpolitisch hofft er auf den wirtschaftlichen Aufschwung nach der Pandemie und eine gewinnbringende Zusammenarbeit mit Ländern wie Deutschland.
Die Wahl in Deutschland nimmt auch auf den Titelseiten der großen US-Zeitungen viel Raum ein. Hier dominiert am Montag die Sorge vor einem „Machtvakuum“ („Washington Post“). „Knappe Wahl trübt die Aussichten für Deutschland“ titelt das „Wall Street Journal“. Die „New York Times“ spricht von „keinem klaren Gewinner“.