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Der Präsident des deutschen FIFA Organisationskomitees, Franz Beckenbauer (l.), spricht am 07.12.2005 mit seinem Vize-Präsidenten, Wolfgang Niersbach, auf einer Pressekonferenz auf der Leipziger Messe. Beide informierten über den Stand der Vorbereitungen zur Endrundenauslosung der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 am 09.12.2005 in Leipzig.
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Update

Gekaufte Fußball-Weltmeisterschaft 2006: Was wussten Wolfgang Niersbach und Franz Beckenbauer?

Die Vergabe der Fußball-WM 2006 soll laut "Spiegel" manipuliert worden sein. Was wussten Franz Beckenbauer und Wolfgang Niersbach? Fragen und Antworten zum Thema.

Die deutschen Fußballfans haben sich zuletzt ziemlich empört. Über die Fifa, den korrupten Weltverband. Über die Vergaben der WM-Turniere 2018 an Russland und 2022 an Katar. Nur ein Mythos blieb ungetrübt: die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Das Sommermärchen, die Welt zu Gast bei Freunden, die Fanmeile – Fans verbinden viele schöne Erinnerungen mit dem Turnier, die aber offenbar erkauft wurden. Mit Schwarzen Kassen und Schmiergeldern, wie das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ behauptet. Gerüchte um Bestechungen gab es nach der WM 2006 zwar wie bei fast allen Turnieren immer wieder, aber nie Beweise. „Das zerstörte Sommermärchen“, steht nun auf dem am Samstag erscheinenden Cover. Stimmen die Vorwürfe, wäre es der größte deutsche Sportskandal seit Jahrzehnten.

Haben die Deutschen die WM 2006 gekauft?

Das behauptete jedenfalls der „Spiegel“ am Freitagnachmittag, ohne zunächst Quellen zu nennen. Das Bewerbungskomitee für die WM 2006 soll eine schwarze Kasse geführt haben, um damit die Vergabe des Turniers nach Deutschland zu erkaufen. Doch konnte die Kasse nicht einfach gefüllt werden, ohne Nachfragen zu riskieren. Also lieh der damalige Adidas-Chef, Robert Louis-Dreyfus, dem Bericht zufolge heimlich das Geld: 10,3 Millionen Franken, die damals 13 Millionen Mark entsprachen. Mit dem Darlehen wurden demnach offenbar vier asiatische Funktionäre geschmiert, die mit ihren Stimmen Deutschland im Jahr 2000 das WM-Turnier bescherten. Doch gut ein Jahr vor dem Turnier forderte Louis-Dreyfus das Geld offenbar zurück, mittlerweile umgerechnet 6,7 Millionen Euro. Auch die Rückzahlung wäre auf offiziellem Wege aufgefallen. Also erfanden die Deutschen dem „Spiegel“ zufolge mit dem Weltverband Fifa eine Legende. Das Bewerbungskomitee überwies im April 2005 das Geld als deutschen Beitrag für eine damals noch geplante, später abgesagte WM-Eröffnungsgala im Berliner Olympiastadion auf ein Konto in Genf. Die Fifa soll das Geld dann an Louis-Dreyfus in Zürich weitergeleitet haben.

Wer wusste von dem Schmiergeld?

Sie gelten gemeinhin als die beiden Männer, die die WM 2006 nach Deutschland gebracht haben: Franz Beckenbauer, damals Leiter des Bewerbungsteams und später Chef des Organisationskomitees (OK). Und Wolfgang Niersbach, seinerzeit Medienchef und heute Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Die beiden waren laut „Spiegel“ eingeweiht, Niersbach spätestens seit 2005. Auch WM-Botschafter Günter Netzer soll Bescheid gewusst haben. Als Einziger reagierte er auf die Vorwürfe und stritt jede Kenntnis ab. Zudem saß der langjährige DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt in dem Gremium. Beckenbauers Geschäftspartner Fedor Radmann war Berater des OK. Theo Zwanziger, von 2006 bis 2012 Präsident des DFB, soll im Nachhinein von der Kasse erfahren haben und im Juli 2013 die Mitwisser vergeblich darauf gedrängt haben, die Geschichte mit einer eigenen Kommission aufzuklären.

Wie reagiert der Deutsche Fußball?

Der DFB hatte offenbar vorab von der „Spiegel“-Geschichte erfahren. Den Journalisten gaben sie keine Reaktion, da die Anfrage zu kurzfristig gekommen sei. Am Freitagmorgen teilte der Verband dann mit, ihm sei bei internen Ermittlungen aufgefallen, dass eine im April 2005 überwiesene Summe von 6,7 Millionen Euro möglicherweise doch nicht dem Fifa-Kulturprogramm zugute gekommen sei. Die Zahlung habe aber in keinem Zusammenhang mit der WM-Vergabe gestanden. Der DFB habe externe Rechtsberater hinzugezogen und prüfe derzeit noch, ob Anspruch auf eine Rückforderung des Geldes bestehe. Ein äußerst ungeschickter Umgang mit der Geschichte, wie Experten beurteilen. Nach den Enthüllungen wies der DFB die Spiegel-Geschichte als haltlos zurück und behält sich rechtliche Schritte gegen das Magazin vor.

Welche Folgen haben die Vorwürfe?

Sollte der „Spiegel“, der offenbar Einblick in geheime Dokumente hatte, seine Geschichte belegen können, wäre das ein Erdbeben im deutschen Fußball, wie es seit dem Bundesliga-Bestechungsskandal in den Siebzigerjahren keines mehr gab. Das Ansehen der Fußballidole Beckenbauer und Netzer wäre in jedem Fall beschädigt. Doch von den beteiligten Personen ist nur noch Wolfgang Niersbach in Amt und Würden. Sollte er wirklich von den schwarzen Kassen gewusst haben, ist er weder als DFB-Präsident zu halten noch als möglicher Kandidat auf die Chefämter des europäischen Verbandes Uefa und des Weltverbandes Fifa. Die rechtlichen und strafrechtlichen Folgen sind dabei noch gar nicht abzusehen.

Wäre Schmiergeld bei der WM-Vergabe ausschlaggebend gewesen?

Deutschland galt vor 15 Jahren keineswegs als Favorit bei der WM-Vergabe. Das Turnier war bereits Südafrika in Aussicht gestellt worden. Doch das Interesse an einem Turnier im wirtschaftlichen Herzen Europas war offenbar groß. Dem „Spiegel“ zufolge hatte neben Sportartikelhersteller Adidas auch der Fernsehrechtehändler Leo Kirch erhebliche Mehreinnahmen gewittert. Im Hintergrund sollen laut dem Magazin mehrere Abkommen geschlossen worden sein, um die Entscheidung zu beeinflussen. Die Entscheidung über die Vergabe des Turniers fällte dann das Exekutivkomitee der Fifa im Juli 2000. Dem Gremium gehörten damals 24 Mitglieder an. Deutschland brauchte also 13 Stimmen, um mit einfacher Mehrheit den Zuschlag zu erhalten. Denn bei einem Unentschieden hätte die Stimme von Fifa-Präsident Joseph Blatter den Ausschlag gegeben, der klar Südafrika befürwortete. Doch Deutschland gewann damals die Abstimmung mit 12:11 Stimmen, weil der Neuseeländer Charles Dempsey überraschend kurz zuvor den Saal verlassen hatte. Die vier asiatischen Vertreter stimmten offenbar geschlossen für die deutsche Bewerbung. Weil sie das geliehene Schmiergeld in Höhe von 6,7 Millionen Euro erhalten hatten? Von den drei noch lebenden Asiaten ließen zwei die „Spiegel“-Anfragen unbeantwortet, der dritte, Chung Mong-Joon aus Südkorea, ließ ausrichten, die Fragen seien es nicht wert, beantwortet zu werden.

Welche Rolle spielt Adidas?

Der verstorbene Robert Louis-Dreyfus war bis 2001 Geschäftsführer des Konzerns. Das geheime Darlehen von 6,7 Millionen Euro gab er dem deutschen Bewerbungskomitee offenbar als Privatmann. Genauso wie der Franko-Schweizer ebenfalls im Jahr 2000 Uli Hoeneß privat heimlich 20 Millionen Mark zur Verfügung stellte, damit der damalige Manager des FC Bayern München an der Börse zocken konnte. Heute sitzt Hoeneß als Freigänger in Haft, weil er seine Gewinne nicht versteuert hatte. Louis-Dreyfus ist 2009 verstorben, kurz vor seinem Tod sollen ihn Netzer und Niersbach noch einmal besucht haben. Der Adidas-Konzern ist seit Jahrzehnten mit der Fifa und dem DFB verbandelt, weit über das Verhältnis als Sponsor und offizieller Ausrüster hinaus. Horst Dassler, der Sohn des Unternehmensgründer Adi Dassler, sponn in den Siebziger- und Achtzigerjahren ein großes Netzwerk im Sportrechtehandel, das auch Firmen von Beckenbauer umfasste. Daraus ging die Agentur ISL hervor, die die Fifa bei ihrer Pleite fast in den Abgrund riss, durch die vielen Enthüllungen über Schmiergeld, das geflossen war. Fifa, DFB und Bayern München sind Adidas als Sponsor stets treu geblieben.

Lesen sie die aktuellen Entwicklungen zur vermutlich gekauften Austragung der Fußball-WM 2006 in unserem Newsblog.

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