Gottesdienste: Was von der Kanzel kommt
Wie politisch ist Kirche heute? Oder muss man fragen: Kopieren Parteien von Schöpfungserhaltung bis Barmherzigkeit nicht vielmehr die Ur-Themen der Kirchen? Ein Kommentar
Wenn über Predigten gestritten wird, dann hat die Kirche nicht unbedingt etwas falsch, sondern vielleicht auch etwas richtig gemacht. Sie hat die Menschen getroffen. Und sei es durch Enttäuschung von Erwartungen, weil auch das zur Auseinandersetzung führt. Wer erwartet was von wem?
Die bekannteste Predigt, die aktuell in die Kritik geriet, dürfte die zum Weihnachtsfest vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sein, die in den Nachrichtensendungen vorkam. Er geißelte so vor Millionen Ohren die „America first“-Politik des US-Präsidenten, der „die Welt nur noch als Kampfplatz der Interessen“ sehe, was im Widerspruch zur Weihnachtsbotschaft stehe, die über national(istisch)e Interessen hinausgehe. Kritik daran kam von Julia Klöckner, Vizevorsitzende der Bundes-CDU und Parteichefin in Rheinland-Pfalz, die darauf hinwies, dass Trump zwar schwierig, aber demokratisch gewählt sei. Sie beklagte gegenüber der „Bild“-Zeitung zudem, dass sich Kirchen mancherorts zu sehr über Windenergie und zu wenig über die Glaubensbotschaft verbreiteten.
Kritik an Predigten der Kirchenoberen ist nicht neu. Als Margot Käßmann 2010 in ihrer damaligen Funktion als EKD-Ratsvorsitzende „Nichts ist gut“ sagte und damit alles von der Umwelt über den Afghanistan-Einsatz bis zum gesellschaftlichen Klima der Gnadenlosigkeit meinte, wurde sie ebenfalls gebasht. Zu sehr Linkspartei-Position sei das gewesen, lautete der Vorwurf aus anderen Parteien.
Die Glaubensbotschaft als rein theologische Denkfigur kann zu wenig sein
Wie politisch soll Kirche sein? Es gab Zeiten, und im Osten des Landes sind die noch nicht sehr lange her, da war man über Kirchenleute mit politischen Botschaften sehr dankbar, denn meist waren die mutig und stellten sich mit ihren Aussagen gegen den Staat. Eine Kirche, die sich auf die Glaubensbotschaft als theologische Denkübung zurückzieht, kann auch schnell zu wenig sein. Und könnte die Frage nicht auch genauso gut umgekehrt lauten: Wie viel Kirche steckt in den Parteiprogrammen? Die Erhaltung der Schöpfung, heute bekannt als Umwelt- und Naturschutz, ist ein Urthema der Kirchen, wie die Barmherzigkeit, die heute unter soziale Gerechtigkeit verschlagwortet ist. Ebenso Kirchenthema ist der Schutz von Leben, den sich die Unionsparteien am strengsten zur Aufgabe machen. Was davon ist Politik, was ist Predigt, wer kopiert wen, und was macht die Antwort auf diese Fragen eigentlich für einen Unterschied im Angesicht von jammervoll Sterbenskranken, darbenden Rentnern oder kollabierenden Ökosystemen?
Eine gute Predigt gibt niemandem recht, sagt ein Kirchenmann aus Berlin. Sie bietet eine Deutung für die Wirklichkeit an. Es ist an denen, die sie hören, sich damit auseinanderzusetzen. Wenn das zu Streit führt, macht das nichts, solange Streit den Austausch von Argumenten meint, von Meinung, nicht von Häme und Abscheu. Die Kirche muss nicht recht haben, die Politik ebenso wenig – und auch die Bürger können irren.
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