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© bpa/Pool

Evangelische Kirche: Mission: Seelsorge

Wie die EKD-Ratsvorsitzende Käßmann die politische Öffentlichkeit erobert.

Berlin – Der Soldat ist extra aus Potsdam gekommen, um die Bischöfin zu erleben. Er war in Afghanistan stationiert, jetzt arbeitet er im Einsatzführungskommando der Bundeswehr. „Richtig gut“ findet er, dass Bischöfin Margot Käßmann den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan hinterfragt habe. Aber statt den Ball aufzunehmen, seien alle Politiker über sie hergefallen. „Schon wieder keine echte Debatte“, schimpft der Mann, „jetzt fahren wir zur Afghanistan-Konferenz nach London ohne Strategie. Ein Wahnsinn!“

Es ist Sonntagvormittag, Mitte Januar. Der junge Mann drängt sich mit hunderten anderen Menschen ins Deutsche Theater in Berlins Mitte. Gleich findet hier die Matinée „Gregor Gysi trifft Zeitgenossen” statt. Gast ist Margot Käßmann, die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Veranstaltung ist ausverkauft. Die Bischöfin betritt das Theater unbemerkt über den Seiteneingang. Sie will den Trubel um ihre Person eindämmen. Davon hatte sie genug in den vergangenen Wochen.

In ihrer Neujahrspredigt hatte sie ausgehend von einer Bibelstelle und dem Neujahrswunsch, es möge alles gut werden, aufgezeigt, in welchen Bereichen es ihrer Meinung nach überhaupt nicht gut läuft. Sie hatte die Klimaerwärmung angesprochen, die Kinderarmut, und auch über Afghanistan hatte sie gesagt: „Nichts ist gut.“ In Interviews hatte sie zudem bezweifelt, dass der Militäreinsatz in Afghanistan zu rechtfertigen sei und eine Ausstiegsstrategie gefordert. Politiker fast aller Parteien warfen ihr daraufhin vor, sie habe keine Ahnung, sei realitätsfern. Kritik kam auch aus der Bundeswehr: Sie lasse die Soldaten im Stich. Als Bischöfin der Hannoverschen Landeskirche hat sie auch schon früher gemahnt und kritisiert, auch den Afghanistan-Einsatz. Aber da interessierte es niemanden. Seit November ist sie EKD- Ratsvorsitzende und spricht für die ganze evangelische Kirche. Jetzt hat ihr Wort ein anderes Gewicht.

Fast täglich ist sie jetzt in Berlin. Sie hat sich mit der Kanzlerin getroffen, mit dem Verteidigungsminister und mit den Oppositionschefs. Sie war Gast im Presseclub und beim Bundesvorstand der CDU. Und jetzt, an diesem Sonntag, sitzt sie auf der Bühne im Deutschen Theater Gregor Gysi gegenüber, dem Fraktionschef der Linken. Gysi fragt nach Kindheit, Lebenslauf, warum sie Theologin geworden ist. Käßmann, schwarzer Anzug, weiße Bluse, wirkt zunächst angespannt. Aber nach zehn Minuten füllt sie die Bühne, die ihr Gysi bietet, gut gelaunt aus. Nein, sie habe sich keine Strategie vorher zurechtgelegt, was sie sagen sollte und was besser nicht, wird sie später sagen. Sie ist wie immer, aber auch das ist eine Art Strategie, wenn man so will, eine äußerst erfolgreiche. Sie füllt damit Hallen und Dome und berührt viele Menschen. Denn diese Bischöfin ist auf verblüffende Art offen, und sie packt alle Themen, die großen wie die kleinen, in persönliche Geschichten. So ist das auch an diesem Vormittag. Käßmann erzählt, wie sie als Schülerin bei einem USA-Aufenthalt auf Martin Luther King gestoßen ist, wie er ihr Vorbild wurde, weil er zugleich „so fromm und so politisch“ war; sie erinnert sich, wie sie sich schon als junge Pfarrerin für die Weltökumene und den Frieden eingesetzt habe. Sie ist selbstironisch („als Christenmensch darf man ja nicht stolz auf sich sein“), lacht viel und winkt einmal sogar der im Zuschauerraum sitzenden Tochter zu. Sie spricht Selbstzweifel aus („Bischöfin? Kann ich das?“) und gibt zu, dass sie erst jetzt, nach einer überstandenen Brustkrebserkrankung, weniger Angst vor dem Urteil anderer habe. Als das Gespräch auf Afghanistan kommt, steht auch hier das Persönliche, Seelsorgerische im Vordergrund. Käßmann erzählt von dem Brief, den ihr eine Witwe geschrieben habe. Diese habe sich beklagt, dass nach dem Tod des Spitzensportlers Robert Enke ein öffentlicher Trauergottesdienst abgehalten wurde, aber als ihr Mann im Zinksarg aus Afghanistan zurückgekommen sei, habe das keinen interessiert. Käßmann erzählt von dem Brief, um zu verdeutlichen, warum sie eine Debatte anstoßen wollte. „Ich würde die Neujahrspredigt genauso wieder halten“, sagt sie zum Schluss und erntet minutenlangen Beifall. Die Besucher, überwiegend die Generation 60 plus, vielfach ostdeutsch, sind begeistert.

„Ich bin keine Politikerin, ich bin Seelsorgerin“, betont Käßmann in diesen Tagen immer wieder. Und das ist ihre Stärke. Damit überzeugt sie sogar die religionsfernen Berliner, die allem Kirchlich-Institutionellen skeptisch gegenüberstehen, aber die offen sind für Kirche, wenn sie sie im Persönlichen, Existenziellen anspricht und Zweifel zugibt. Bei Gysi weckte Käßmanns seelsorgerische Art den Beschützerinstinkt. „Ich würde mich von dem, was in den vergangenen Wochen auf Sie eingeprasselt ist, nicht beeindrucken lassen“, riet er ihr väterlich zum Abschied. „Sie müssen Politiker wie mich nerven, damit Sie etwas erreichen.“

Bei der CDU-Vorstandsklausur ein paar Tage zuvor hatte Käßmanns Art das Welterklärer-Bedürfnis hervorgerufen, ihr „ein paar Hinweise“ geben zu müssen, wie es einer hinterher ausdrückte. Ein anderer ist sich sicher, dass sie nach der Begegnung mit den CDU-Politikern „differenzierter über den Einsatz in Afghanistan denkt“, dass sie „jetzt mehr verstanden hat, wie hochkompliziert die Thematik ist“. Eineinhalb Stunden haben sie diskutiert, sehr emotional, sehr kontrovers. Einige fühlten sich ungut an die Nachrüstungsdebatten mit der evangelischen Kirche erinnert. Die Zeiten der „gutmenschelnden, wohlfeilen“ Beiträge der Kirche „haben wir für überwunden geglaubt“, sagte ein CDU-Mann. Käßmanns Amtsvorgänger Bischof Wolfgang Huber, „der war ja zuletzt gut angesehen bei uns, das war ein pragmatischer Typ“.

Aber es gab auch welche, die verteidigten die Bischöfin, nachdem sie auch in diesem Forum von dem Brief der Witwe erzählt und dargelegt hatte, wie sie ihre Neujahrspredigt aus einer Bibelstelle heraus entwickelt hatte. Kritiker wie Verteidiger bescheinigten ihr hinterher Mut und dass sie sich „gut geschlagen“ habe. Einer lud sie gar ein, im Parlament zu sprechen. Sie lehnte ab, das sei nicht Aufgabe einer Pfarrerin.

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