zum Hauptinhalt

Blutdruckmittel Valsartan: Was über die Medikamentenverunreinigung bekannt ist

Viele Patienten mit Bluthochdruck haben verunreinigte Präparate eingenommen, die im Verdacht stehen, Krebs zu erregen. Was ist bisher bekannt und wie sollten sich Betroffene verhalten?

Fast eine Million Menschen müssen sich dieser Tage fragen, ob sie im vergangenen Jahr nicht eine gefährliche Arznei geschluckt haben – und da die Mittel seit 2012 auf dem Markt waren, könnten es noch viel mehr gewesen sein. Im blutdrucksenkenden Mittel Valsartan haben Behörden ein vermutlich krebserregendes Nebenprodukt namens Nitrosodimethylamin gefunden. Entdeckt wurde es nur dank eines anonymen Tipps aus der Pharmabranche.

Wie gefährlich sind die verunreinigten Medikamente?

Das ist bislang nicht zweifelsfrei geklärt. Der Rückruf und auch die Empfehlung, auf andere Medikamente umzusteigen, seien „keine abschließende Risikobewertung“, sondern nur „vorbeugende Maßnahmen im Sinne des Patientenschutzes“, betont Maik Pommer, Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das in Deutschland für Arzneizulassung und -sicherheit zuständig ist. Fakt ist: In der Produktion des Wirkstoffs durch den chinesischen Pharmazulieferer Zhejiang Huahai Pharmaceuticals wurden Verunreinigungen mit einer Substanz namens N-nitrosodimethylamin (NDMA) entdeckt. Dieser Stoff zählt zu den Nitrosaminen – die Weltgesundheitsorganisation WHO hat ihn als möglicherweise krebserregend eingestuft. Für Nagetiere gibt es den Nachweis, für Menschen wird die krebserregende Wirkung bislang nur vermutet. Womöglich erhöht sich durch die Blutdrucksenker auch nur ein ohnehin vorhandenes Risiko, denn NDMA und andere Nitrosamine sind auch in Zigarettenrauch, Grillfleisch oder Pökelware enthalten. Auch beim Chlorieren von Trinkwasser kann die Substanz entstehen. Entscheidend dürfte sein, wie viel NDMA die Valsartan-Präparate genau enthalten. Darauf gibt es bisher keine Antwort.

Welche Präparate wurden zurückgerufen?

Betroffen sind ausschließlich Nachahmerprodukte ders Originalpräparate Diovan und Codiovan. Vertrieben wurden diese so genannten Generika von zahlreichen Herstellern, darunter Firmen wie Ratiopharm, Heumann, Zentiva, Hexal, Stada, Henning oder Actavis, die allesamt das Vorprodukt vom gleichen chinesischen Wirkstoffproduzenten bezogen haben. Lediglich vier Firmen haben den verunreinigten Stoff nicht verwendet. Und deren Präparate werden knapp, das berichten zumindest Apotheken in Berlin. Einige können bereits nicht mehr geliefert werden. Auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker schließt nicht aus, dass Ersatzmittel knapp werden. Die Produkte der Hersteller Novartis (Entresto, Exforge, Exforge HCT, Diovan, Codiovan, Dafiro, Dafiro HCT, Provas, Provas Comp), TAD Pharma (Valsacor, Valsacor comp) sowie Mylan (Valsartan dura, Valsartan/HCT Mylan) und Aurobindo können bedenkenlos eingenommen werden. Das berichtet zumindest die Deutsche Apotheker-Zeitung.

Was können Betroffene jetzt tun?

Trotz des Rückrufs sollten sie ihren Blutdrucksenker keinesfalls auf eigene Faust absetzen, warnt der Bremer Pharmakologe Gerd Glaeske. Das dadurch bedingte Risiko wäre „vielfach höher und akuter als die Gefahr, die von der wahrscheinlich krebserregenden Verunreinigung ausgehen kann“, sagt auch das BfArM. Ein plötzliches Absetzen könne gefährliche Blutdruckspitzen erzeugen, Herz und Kreislauf belasten und sich auch auf die Nierenfunktion auswirken. Statt panisch zu reagieren, rät Glaeske den Patienten mit ihrem Apotheker die Liste der betroffenen Präparate durchzugehen und sich, falls sich das verordnete Mittel darauf befindet, beim Arzt ein neues Rezept für ein anderes Präparat ausstellen zu lassen.

Übernehmen die Krankenkassen den Aufpreis für andere Präparate?

Das ist unterschiedlich und kommt auf die Kulanz der jeweiligen Kasse an. Nachdem die Barmer mitgeteilt hatte, für ihre Versicherten in Berlin und Brandenburg bei Lieferengpässen für generische Alternativen auch die Mehrkosten für das Originalpräparat zu übernehmen, zogen jetzt auch die AOK-Nordost und Pronova BKK nach. Auf eine neuerliche Zuzahlung für Alternativpräparate ohne Aufpreis verzichten viele Versicherer. Aus der Sicht des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) besteht allerdings „kein Anlass zur Übernahme von Aufzahlungen für hochpreisigere Arzneimittel“. Schließlich, so lautet die Begründung, seien „auch aufzahlungsfreie Versorgungsmöglichkeiten weiterhin verfügbar“. Nach Angaben des Verbandes sind mehr als 40 Prozent der valsartanhaltigen Mittel nicht von den Rückrufen betroffen. Unter diesen betrage der Anteil an aufzahlungsfreien Medikamenten 30 Prozent. „Die Kosten für ein preislich über dem Festbetrag liegendes Arzneimittel wären nur dann von den Krankenkassen zu übernehmen, wenn keine Versorgung zum Festbetrag möglich ist“, heißt es in einem Rundschreiben des Spitzenverbands. Das sei „derzeit nicht der Fall“.

Wie gehen die Apotheken mit der Rückrufaktion und ihren Kunden um?

Viele haben ihre Kunden direkt informiert. Apotheker dürfen angebrochene Packungen nicht einfach umtauschen. Und da die Valsartan-haltigen Produkte knapp werden, schicken die Mitarbeiter die Kunden zum Arzt. Dort können sie dann auch einen anderen Blutdruck-Senker verschrieben bekommen. „Viele sind mittlerweile umgestellt“, sagt eine Mitarbeiterin in der Berolina-Apotheke in Berlin-Zehlendorf.

Haben die Kontrollinstanzen versagt?

Möglicherweise. Allerdings wurden Aufsichtsbehörden und Hersteller kalt erwischt. Die Herstellungsverfahren für Generika sind Betriebsgeheimnis – und Verunreinigungen durch eine Substanz wie NDMA gelten als völlig untypisch. Die offiziell vorgeschriebenen Qualitätstests sehen daher bislang keine Prüfung auf diese Substanz vor.

Die Frage ist auch, ob das Kontrollnetz für Generika nicht von vornherein zu löchrig angelegt ist. Das Arzneimittelgesetz sieht zwar vor, dass das BfArM für Medikamente auch nach ihrer Zulassung „fortlaufend und systematisch“ Anwendungserfahrungen zu sammeln und auszuwerten hat. Doch für die Kontrolle von Generika sind die Landesbehörden zuständig. Diese seien dafür „sehr unterschiedlich ausgestattet“, sagt Glaeske. Im Wesentlichen vertraue man den Generika-Herstellern, dass ihre Produkte „allen Anforderungen von Identität und Reinheit entsprechen“. Das könne nicht so bleiben. Der Gesetzgeber müsse den Vertreibern von Generika verlässliche Eingangsprüfungen, möglicherweise auch verbindliche Tests durch ein gemeinsam betriebenes Kontrollinstitut vorschreiben. Und auch die Krankenkassen in Deutschland, die ihre Arzneiausgaben mit Rabattverträgen drücken, seien in der Pflicht, findet Glaeske. Sie könnten bei ihren Ausschreibungen jederzeit Kontrollnachweise und Zertifikate zur Bedingung machen.

Zur Startseite