Beliebt beim Wähler, aber nicht in der SPD: Was treibt Sigmar Gabriel an?
Außenminister Sigmar Gabriel gehört nicht zum SPD-Sondierungsteam – und scheint doch omnipräsent. Was hat er vor?
Er ist der Entfesselungskünstler der deutschen Politik. Kein anderer hat sich so oft aus scheinbar aussichtsloser Lage befreit wie Sigmar Hartmut Gabriel, derzeit Außenminister und beliebtester Sozialdemokrat, populärster deutscher Politiker überhaupt – sieht man einmal von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ab. Dass Steinmeier ohne Gabriel kaum Saatsoberhaupt geworden wäre, ist Teil der Geschichte des politischen Taktikers aus Goslar, der fast immer einen Ausweg findet, nicht zuletzt für sich selbst.
Um den rettenden Ausweg ging es auch vor einem Jahr, als der langjährige, aber angeschlagene SPD-Chef vor der Frage stand: Wie schlägt man eine aussichtslose Kanzlerkandidatur aus, ohne sich dadurch ins politische Abseits zu katapultieren?
In einem riskanten Machtspiel setzte Gabriel damals Steinmeier als Bundespräsidenten durch. Mit dessen Wechsel ins Schloss Bellevue wurde für ihn selbst das Amt des Außenministers frei, das noch fast jedem Inhaber zu hohen Beliebtheitswerten verholfen hat. Und so konnte sich Gabriel selbst zum neuen Chefdiplomaten erklären, als er Martin Schulz zum Spitzenkandidaten ausrief.
Man muss sich diesen Coup ins Gedächtnis rufen, um zu verstehen, warum Gabriels Aktivitäten in diesen Tagen in der SPD so genau beobachtet werden.
Der Außenminister gehört nicht zum SPD-Sondierungsteam für eine neue große Koalition. Aber er mischt von der Seitenlinie kräftig mit. Ob er in einer Rede die endgültige Emanzipation Europas von den USA anmahnt, in Interviews und Essays einen Kurswechsel seiner Partei fordert, Europa zum wichtigsten Thema der Sondierungen erklärt oder aber für die Freilassung des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel kämpft: Stets stellen sich die Genossen auch die Frage, was Gabriel für sich selbst am Ende damit bezweckt.
So war es auch, als er am Wochenende seinen türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu bei sich zu Hause in Goslar empfing und ihm Tee kredenzte. Es ging um die belasteten deutsch-türkischen Beziehungen, um wirtschaftliche Zusammenarbeit, um Rüstungsexporte und um den Fall Yücel. Der könnte Gabriel ein großes Stück voranbringen: Ein deutscher Außenminister, der Yücel nach monatelanger Haft zurück nach Deutschland holt, würde zu Recht gefeiert, neue Umfragehöchstwerte wären ihm gewiss.
Misstrauen weckte Gabriel auch am Dienstag, dem dritten Tag der Sondierungen. Da meldete die „Passauer Neue Presse“, dass die Sozialdemokraten sich für den Fall der großen Koalition auf eine härtere Gangart gegenüber dem Kanzleramt vorbereiteten. Unter Federführung von Gabriels Auswärtigem Amt prüfe die SPD, wie sich verhindern lasse, dass SPD-Gesetze dann von der Union frühzeitig verwässert werden könnten.
Das kann der SPD-Führung nicht gefallen
Allein der Zeitpunkt der Veröffentlichung konnte der SPD-Führung nicht gefallen: Die Nachricht, wonach die Sozialdemokraten schon penibel die Arbeitsweise einer großen Koalition planen, passt schlecht zur offiziellen Beteuerung, wonach man „ergebnisoffen“ verhandele. Den Missmut der widerspenstigen Basis der Partei können solche Meldungen nur mehren. Führende Genossen mutmaßten, Gabriel habe ohne Absprache mit der Parteiführung wieder einmal im Alleingang gehandelt. „The Master himself“ stecke dahinter, hieß es.
Tatsächlich war ein enger Vertrauter von Gabriel, sein früherer Büroleiter und langjähriger Staatssekretär Rainer Sontowski, aktiv geworden. Er kann sich jedoch auf eine Vereinbarung von Schulz mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer, den Fraktionschefs Andrea Nahles (SPD) und Volker Kauder (CDU/CSU) sowie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt berufen. Die sogenannte Sechsergruppe hatte sich bei der Vorbereitung der Sondierung darauf geeinigt, in einer neuen großen Koalition Konflikte bei der Gesetzgebung deutlicher zu machen als in den vergangenen vier Jahren, um so das Profil ihrer Parteien zu schärfen. Bisher hatte das Unions-geführte Kanzleramt als eine Art Konsensmaschine Ressort-Entwürfe oft glattgeschliffen. Gabriels Vertrauter Sontowski handelte also durchaus im Geist der gesamten SPD, als er die von seiner Partei geführten Ministerien per Mail um Verbesserungsvorschläge für die Zusammenarbeit in einer neuen Groko bat.
Was will Sigmar Gabriel? Dem Instinktpolitiker ist nicht entgangen, dass die Chancen gering sind, von seiner Partei noch einmal als Minister in ein neues Kabinett Merkel geschickt zu werden. In der engeren und weiteren Parteiführung gäbe es dafür gegenwärtig keine Mehrheit, sagen Parteistrategen. Auch sonst ist die Zahl seiner Fürsprecher in der SPD überschaubar: Als prominentester Unterstützer warb kürzlich Erhard Eppler in der „Welt am Sonntag“ dafür, dass Gabriel Außenminister bleiben solle. Der frühere SPD-Vordenker ist 90.
Trotzdem kann Gabriel noch hoffen. Sein Trumpf ist seine Popularität. Je größer sein Ansehen bei den Deutschen, umso schwerer wird es für SPD-Chef Schulz, ihm einen Platz im Kabinett zu verweigern. Genau darum gehe es dem „hyperaktiven“ Gabriel derzeit bei allem, was er tue, heißt es in der SPD.
Der Außenminister selbst hält sich bedeckt. Auf die Frage, worauf er sich einstelle, antwortete er jetzt dem „Spiegel“: Es sei immer besser, man rechne damit, dass man sein Amt loslassen müsse. Und zitierte Willy Brandt: „Wir sind gewählt, nicht erwählt.“ Der Entfesselungskünstler hat noch nicht aufgegeben.