Entführung von Hanns Martin Schleyer: Was sagen die RAF-Terroristen heute?
Vor 40 Jahren wurde Hanns Martin Schleyer entführt. Es war der Auftakt zum Deutschen Herbst. Bereuen die Terroristen heute ihre Mordtaten?
Um 17.25 Uhr an diesem 5. September 1977 ist die Vincenz-Statz-Straße nur eine von vielen beschaulichen Nebenstraßen im Kölner Stadtteil Braunsfeld. Fünf Minuten später ist sie Teil des blutigen Symbols vom Deutschen Herbst. Auf der Straße und in einem Auto liegen, von Kugeln durchsiebt, vier Leichen. Erschossen vom Kommando "Siegfried Hausner" der Roten Armee Fraktion (RAF). Ein RAF-Terrorist zerrt Hanns Martin Schleyer, den Vorsitzenden des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, aus seinem durchlöcherten Auto, dann rasen die Terroristen mit ihrer Geisel davon. 119 Schüsse gaben die vier RAF-Mitglieder ab, elf davon kamen aus der Maschinenpistole von Peter-Jürgen Boock.
Fast auf den Tag genau vor 40 Jahren hatte das blutige Terrorjahr 1977, die sogenannte "RAF-Offensive 77", seinen dramatischen Höhepunkt. Im April waren Generalbundesanwalt Siegfried Buback und zwei Begleiter von der RAF erschossen worden, im Juli Jürgen Ponto, der Vorstandvorsitzende der Dresdner Bank.
15 Jahre dauerte es, bis Boock zugab, dass er bei der Schleyer-Entführung dabei war. Vor der Bundesanwaltschaft legte er eine "Lebensbeichte ab". Es war der Beginn einer Rückschau, in der er sich immer stärker vom Terror der RAF distanzierte, offiziell jedenfalls. Boock galt und gilt als notorischer Lügner, wie echt seine Reue ist, lässt sich schwer einschätzen. Jetzt ist er ein alter Mann mit faltigem Gesicht, 66 Jahre alt, gezeichnet von früherer Drogensucht und 17 Jahren im Gefängnis. Im "Spiegel" erklärte er gerade, angesprochen auf die Morde von Schleyers Begleitern: "Es gibt dafür keine moralische Rechtfertigung. Absolut keine."
Schuld? Reue? "Das sind im politischen Raum keine Begriffe"
Fast alle früheren Mitglieder der ersten und zweiten Generation der RAF sind jetzt im Rentenalter, ihre Taten sind Jahrzehnte her, aber nicht alle haben emotional und argumentativ Distanz zu ihrer blutigen Geschichte. Reue? Die lassen nicht alle erkennen.
Lutz Taufer schon. Er war Teil des RAF-Kommandos, das 1975 die deutsche Botschaft in Stockholm überfiel und kaltblütig zwei Botschaftsangestellte erschoss. Fast 20 Jahre saß er im Gefängnis, jetzt, 2017, sagt er: "Die grausame Tötung von zwei Geiseln war ein Verbrechen. Aber, "ich habe lange gebraucht, um zu erkennen, dass es ein Verbrechen ist". Wer die Geiseln erschoss, gesteht er aber bis heute nicht. "Wir haben alle die gleiche Verantwortung", sagt er bloß. Nach seiner Haft arbeitete er für den Weltfriedensdienst.
Auch Birgit Hogefeld, Mitglied der dritten RAF-Generation, 1996 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, ging schon in ihrem Prozess zumindest in Teilen auf Distanz zur RAF, sie sprach von einem Irrweg, von grauenhaften Fehlern. In ihrem Schlusswort erwähnte sie Bombenattentate, Genickschüsse, die Erschießung von Geiseln. Und dann kam der Satz: "Wir waren denen, die wir bekämpfen wollten, in dieser Hinsicht sehr ähnlich und sind ihnen wohl immer ähnlicher geworden." 2011, nach 18 Jahren Haft, wurde sie aus der Haft entlassen.
Silke Maier-Witt war auch an der Schleyer-Entführung beteiligt, sie gehörte aber nie zur Führungsspitze der RAF. Sie hat emotional enorme Distanz zur ihrer damaligen Terrorzeit. 1980, entnervt und überfordert vom bewaffneten Kampf, übersiedelte sie in die DDR. Später wurde sie zu zehn Jahren Haft verurteilt und nach fünf Jahren entlassen. Dann ging sie für das Bonner Forum Ziviler Friedensdienst nach Mazedonien. Die RAF bezeichnete sie "als Sekte".
Knut Folkerts wurde 1977 wegen des Mordes an Buback zu lebenslanger Haft verurteilt. 2007 sagte er: "Im Gegensatz zu heute fand ich vor 30 Jahren als RAF-Mitglied die Aktion gegen Buback richtig." Sollte er mal Michael Buback, dem Sohn des Generalbundesanwalts begegnen, würde er ihm sagen, dass er Bubacks persönliches Leid, wie das aller Angehörigen von RAF-Opfern, bedauere. Wenigstens das.
Es gibt ja Ex-RAF-Mitglieder, die nicht mal zu dieser Geste fähig waren und sind. Christian Klar war einer der brutalsten Killer der RAF, 26 Jahre saß er im Gefängnis wegen neunfachen Mordes. 2001 gab er in der Justizvollzuganstalt Bruchsal ein Fernseh-Interview. Schuld? Reue? "Das sind im politischen Raum keine Begriffe. Ich überlasse der anderen Seite ihre Gefühle und respektiere ihre Gefühle, aber ich mache sie mir nicht zu eigen." Immerhin nahm er in der Haft, nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart, "unmissverständlich" Abstand vom bewaffneten Kampf.
Rolf Heißler war auch beteiligt an der Schleyer-Entführung, 1982 hört er sein Urteil: lebenslange Haft. Nach 22 Jahren im Gefängnis wird er entlassen. 2007 sitzt er in einer Galerie in Berlin-Lichtenberg. Ausgestellt sind Dinge, die man Heißler ins Gefängnis geschickt hatte, die ihm die Justiz aber nicht aushändigte. Heißler beantwortet in der Galerie Fragen von Besuchern. Eine Frau fragt, wie er mit dem Tod Unbeteiligter umgegangen sei, etwa Schleyers Fahrer. Heißler antwortet kühl: "Das war eine militärische Entscheidung, wie wir den in die Hände kriegen." Den – damit meint er Schleyer. Jenen Schleyer, der am 17. Oktober von der RAF erschossen wird, weil sich die Bundesregierung nicht erpressen ließ und inhaftierte RAF-Mitglieder nicht frei ließ. Nächste Frage an Heißler: Haben Sie versucht, mit den Hinterbliebenen Kontakt aufzunehmen? Antwort: "Warum sollte ich?"
Rolf Clemens Wagner, auch an der Schleyer-Entführung beteiligt und 24 Jahre in Haft, erklärte 2007: Manche Ergebnisse "unserer Überlegungen" in der RAF, Jahr 1977, seien auch aus heutiger Sicht "richtig." Zum Beispiel? "Die Entscheidung Hanns Martin Schleyer zu entführen." Wagner starb 2014.
"Die Entscheidung, Hanns Martin Schleyer zu entführen, war richtig"
Frühere RAF-Mitglieder der ersten und zweiten Generation, die das System sprengen wollten, gliederten sich nach ihrer Haftentlassung ganz normal ins bürgerliche Arbeitsleben ein, sie arbeiteten als etwa als Buchhalter, Verlags-Geschäftsführer oder Schneiderin im Theater. Oder sie bezogen Hartz IV. Es gibt Ex-Mitglieder, die abgetaucht sind und an unbekannten Orten leben, andere sind öffentlich präsent, Boock zum Beispiel oder Lutz Taufer.
Ihre Nachfolger in der RAF, die Mitglieder der dritten Generation, dagegen sind wie Phantome. Sie töteten zehn Menschen, sie verübten drei Mordversuche, sie verletzten mehr als zwei Dutzend Menschen. Doch wer zu dieser Generation gehörte, ist weitgehend unbekannt. Bis heute, obwohl sich die RAF 1998 auflöste.
Die RAF-Mitglieder hatten schlicht aus den Ermittlungen gegen ihre RAF-internen Vorgänger gelernt. Das war schon beim ersten Mord der dritten Generation zu erkennen. 1984 organisierte sich die dritte Generation, am1. Februar 1985 erschossen zwei ihrer Mitglieder, eine Frau und ein Mann, den Vorstandsvorsitzenden des Konzerns MTU, Ernst Zimmermann. Und zwar mit besonderer Brutalität. Die Terroristen fesselten Zimmermanns Frau Ingrid und setzten ihren Mann im Schlafzimmer auf einen Stuhl. Dann erschossen sie ihn mit einem Genickschuss. Die Mörder hinterließen keine Fingerabdrücke, obwohl sie keine Handschuhe trugen und Gegenstände berührten. Sie hatten sich ein sogenanntes Wundspray auf die Fingerkuppen gesprayt, mit dem man Abdrücke verhindern kann.
Auch bei den anderen Mordanschlägen – keine Spuren. Der Bombenanschlag auf Alfred Herrhausen, Chef der Deutschen Bank, wurde von der RAF wochenlang vorbereitet. Verkleidet als Bauarbeiter, verlegten ihre Mitglieder sogar öffentlich dünne Kabel, nichts passierte. Wer sind die Mörder? Niemand weiß es.
Nur drei Mitglieder der dritten Generation, darunter Birgit Hogefeld und Eva Haule, wurden überhaupt verurteilt. Haule konnte zudem nur festgenommen werden, weil ein "Oberverdachtsschöpfer" (so der interne Polizeijargon) in einer Eisdiele in Rüsselsheim eine verdächtige Frau gemeldet hatte
Burkhard Garweg, Daniela Klette und Ernst-Volker Staub werden noch als Angehörige der dritten Generation gesucht. Die Drei, 62, 56 und 48 Jahre alt, sind spurlos verschwunden. Seit fast 30 Jahren.
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