40 Jahre "Deutscher Herbst": Woran der RAF-Terror scheiterte
Der „Deutsche Herbst“ 1977 hat die Bundesrepublik verunsichert – und gestärkt. Er war ein Alptraum, doch nicht mehr.
Das Foto des entführten und gefangenen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer vor dem Symbol der RAF – Fünfzackstern und Maschinenpistole – hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Die Ereignisse zweier Herbstmonate des Jahres 1977 – Schleyers blutige Entführung, dann die Entführung einer „Lufthansa“-Maschine, deren Befreiung und der Tod dreier inhaftierter RAF-Anführer im Gefängnis von Stammheim – schienen in rasanter Beschleunigung auf eine Katastrophe hinzusteuern, die die Bundesrepublik zu zerreißen drohte. Indessen war mit den drei Toten von Stammheim der Höhepunkt des RAF-Terrors bereits überschritten, auch wenn die selbsternannte, selbstherrliche „Rote Armee Fraktion“ ein paar Jahre später eine zweite Welle nicht minder furchtbarer Anschläge ausführen konnte.
Damals, in den Monaten September und Oktober 1977, stand die „BRD“, wie sie von ihren Verächtern stets gekürzelt wurde, tatsächlich am Abgrund. Auf einen derartigen Generalangriff, wie ihn die RAF mit ihrer perfiden Strategie von Morden und Geiselnahmen ins Werk setzte, war der Staat nicht vorbereitet. Die Sympathie, derer sich die RAF zumindest anfangs bei der linken Intelligenz bis weit hinein ins linksliberale Bürgertum sicher sein konnte, hatte auf Seite des Staates und der Politik eine durchweg defensive Haltung zur Folge. Immer drohte der wirkmächtige Faschismus-Verdacht, gegen alles, was die Politik auch unternehmen mochte. Der Besuch des französischen Philosophen Jean-Paul Sartre, dieser Ikone intellektuellen Widerstands, im Gefängnis von Stammheim drei Jahre zuvor hatte den Ton gesetzt, als Sartre nach dem einstündigen Besuch bei RAF-Oberhaupt Andreas Baader erklärte, dieser habe er hat „das Gesicht gehabt eines gefolterten Menschen, der ausgehungert war“.
Der „gefolterte“ Gefängnisinsasse, das war die gängige Vorstellung; gern angereichert um Begriffe wie „bürgerliche Klassenjustiz“. Die „klammheimliche Freude“, die ein sich „Mescalero“ nennender Pamphletist nach der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback im April 1977 zum Ausdruck brachte, wurde von vielen geteilt, mehr oder auch nur minder klammheimlich. Der „Mythos von der Unverletzlichkeit des Polizeistaates“ sei „ins Wanken gekommen“, soufflierten kurz darauf die „Revolutionären Zellen“ und gaben preis, was den Terror antrieb: der Hass auf den Staat und die gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik – und mehr noch auf seine Repräsentanten, die es, angelehnt an das bewunderte Vorbild südamerikanischer Guerilleros, zu vernichten, schlichtweg zu ermorden galt.
Die Saat für den Deutschen Herbst war alt
All das kulminierte im „Deutschen Herbst“, wie er bald – auch in einem verbreiteten Gefühl von Selbstergriffenheit – genannt wurde. Doch der Herbst ’77 entstand nicht so rasant wie die Ereignisse, die ihn prägten. Er keimte lange zuvor, in den Studentenprotesten der späten sechziger Jahre, den Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg, vor allem in der Ablehnung der berüchtigten Notstandsgesetze vom Mai 1968, in denen ein Gutteil der Öffentlichkeit die Rückkehr zu einem autoritären, wenn nicht noch schlimmeren Staatsgebilde sah.
Der Boden war also bereitet, auf dem die Paranoia vom Polizeistaat gedeihen konnte. Gewiss – nach den ersten Terroraktionen wandten sich auch bis dahin wohlgesonnene Intellektuelle von der RAF und ihren Propagandisten ab. Nur war die Lawine bereits losgetreten. Gewalt tendiert notwendig dazu, sich andauernd selbst überbieten zu müssen. Nicht, dass die Bundesrepublik als Staat diese Herausforderung nicht angenommen hätte; die Ermordung Bubacks bestätigte ja nur, dass der Staat eben nicht untätig geblieben war.
Doch die Ereignisse des Herbstes erzwangen eine so noch nie dagewesene Konfrontation. Die Bundesregierung Helmut Schmidts hat sie, unter Einschluss aller politischen Kräfte des Bundestags, angenommen und bestanden, freilich mit dem Glück der Flugzeug-Befreiung am 18. Oktober im fernen Mogadischu. Dass anderthalb Monate lang der faktische Ausnahmezustand eines verfassungsrechtlich nicht vorgesehenen „Krisenstabs“ als Regierung herrschte, mochte man hinterher nachsichtig beurteilen.
Entscheidend war etwas anderes: dass sich die Gesellschaft der Bundesrepublik in nichts, aber auch gar nichts radikalisieren und zu unbedachten Reaktionen hinreißen ließ. Bonn ist nicht Weimar, lautete ein geflügeltes Wort der frühen Bundesrepublik: Hier wurde es empirische Wirklichkeit. Die RAF und ihre Gesinnungsgenossen glaubten in ihrer Verblendung, getreu dem Mao-Wort im Volke „wie der Fisch im Wasser schwimmen“ zu können. Das Gegenteil war der Fall. Diesen Kriminellen – wie politisch sie sich auch geben mochten – ward keine Unterstützung zuteil. Die Gesellschaft von Nachkriegsdeutschland erwies sich als stabil. Die Demokratie der Bundesrepublik, damals keine 30 Jahre alt und wohlbehütet im westlichen Bündnis, bestand ihre bis dahin schwerste Bewährungsprobe. Sie ist daran gewachsen.
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