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Ein Urteil zum Maßhalten: Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Richter Peter Müller, dem Vorsitzenden Andreas Voßkuhle, Peter M. Huber und Sibylle Kessal-Wulf.
© Uli Deck / dpa

Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Was Politiker sagen dürfen

Ministerin Johanna Wanka hatte gegen eine AfD-Demo gewettert. Sie glaubte, was die Partei darf, darf sie auch. Die Verfassungsrichter haben sie widerlegt.

Während die Töne in den politischen Debatten schärfer werden, hat das Bundesverfassungsgericht Mäßigung angemahnt: Staatsorgane und ihre Amtswalter haben in und auch außerhalb von Wahlkämpfen die politische Neutralität zu achten. Das entschied der Zweite Senat in einem am Dienstag verkündeten Urteil auf eine Klage der AfD. Auseinandersetzung mit Kritik am Regierungshandeln werde dadurch nicht ausgeschlossen, sagte der Senatsvorsitzende Andreas Voßkuhle in Karlsruhe. Doch sachlich müsse sie sein – ein „Recht auf Gegenschlag dergestalt, dass staatliche Organe auf unsachliche oder diffamierende Angriffe in gleicher Weise reagieren dürften, besteht nicht“.

Rote Karte für die AfD - Wanka wollte Flagge zeigen

Genau dieses Recht hatten Regierungsvertreter aber während der mündlichen Verhandlung im Mai 2017 noch eingefordert. Anders, hieß es damals, könne man in Zeiten schriller Internetdebatten nicht mehr wahrgenommen werden. Gerechtfertigt werden sollte damit ein Appell der heute nur noch geschäftsführenden Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU). Im Herbst 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, rief die AfD zur Demo in Berlin, Motto: „Rote Karte für Merkel – Asyl braucht Grenzen“. Wanka fühlte sich dadurch gedrängt, auf der Webseite ihres Ministeriums politisch Flagge zu zeigen: „Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden“, lautete der Pressetext. Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisteten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub. „Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben wie der Pegida-Chef Bachmann, erhalten damit unerträgliche Unterstützung.“

"Auch mittelbare Boykottaufrufe sind unzulässig"

Dass die AfD mit ihrer wiederkehrenden Argumentation, Opfer der „Altparteien“ und ihrer Handlanger in den Medien zu sein, hier durchdringen könnte, hatte sich früh abgezeichnet. Noch am Tag der Demo verfügten die Karlsruher Richter, dass Wanka den Text von der ministeriellen Webseite entfernen müsse. Grund: Die Chancengleichheit im politischen Prozess sei verletzt. „Es war eine schnelle politische Entscheidung, zu der ich stehe“, verteidigte sich Wanka ebenso überzeugt wie vergeblich. Schließlich sei die Regierung diskriminiert worden, man habe ihr einen Verfassungsverstoß vorgeworfen – eine Behauptung, der sie habe entgegentreten müssen.

Jetzt aber unterstrichen die Richter noch einmal die rote Linie, die sie damals vor Wankas Äußerung gezogen hatten. Voßkuhle betonte dabei die zentrale Bedeutung von Demonstrationen für die politische Willensbildung. Staatsorgane seien „nicht dazu berufen, Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme oder Nichtteilnahme an von politischen Parteien angemeldeten Demonstrationen zu veranlassen“, sagte er. Sie hätten keine Werturteile über Veranstalter abzugeben oder den Versuch zu unternehmen, auf das Verhalten potenzieller Teilnehmer einzuwirken. „Auch nur mittelbare Boykottaufrufe sind unzulässig.“

Keine Kritik, sondern eine Abwertung der Partei

Bleibt die heikle Frage, wann Politiker als engagierte Bürger und wann als Amtsträger auftreten. Hierzu hatten sich die Richter bereits in früheren Urteilen geäußert. Verboten sei demnach der Rückgriff auf amtliche Kommunikationsmittel und amtliche Signets wie etwa den Bundesadler. Wanka hatte sich, offenbar ergriffen von der eigenen Courage, wenig Gedanken darüber gemacht. Mit der Nutzung der Ministeriums-Homepage habe sie klar in amtlicher Funktion gehandelt, sagte Voßkuhle. Die gerügte Presseerklärung setzte sich zudem nicht sachlich mit der AfD-Kritik an Merkels Politik auseinander, sondern beschränke sich darauf, die Partei abzuwerten. Zumindest mittelbar werde dazu aufgerufen, der Kundgebung fernzubleiben. Dies sei mit dem Neutralitätsgrundsatz unvereinbar und verletze die AfD in ihrem verfassungsmäßigen Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am politischen Wettbewerb.

Auch Schwesig und Gauck hatten Äußerungsschwierigkeiten

Für manchen Amtsträger an der Staatsspitze liegt in diesen Prinzipien eine unerwünschte Beschränkung. So hatte sich etwa auch die damalige SPD-Ministerin Manuela Schwesig im Recht gefühlt, als sie im Thüringer Landtagswahlkampf 2014 per Zeitungsinterview ankündigte, alles dafür zu tun, dass die NPD nicht ins Parlament einziehe. Auf eine Klage der Rechtsextremen hin bekam sie es auch – aber nur, weil sie in der Interviewpassage jeden Bezug auf ihr Amt unterließ. Dagegen könne sich die NPD nur im politischen Meinungskampf wehren, urteilten die Richter. Auch der damalige Bundespräsident Joachim Gauck hatte sich einer Klage der NPD zu stellen, weil er deren Anhänger als „Spinner“ diffamierte. Für das Staatsoberhaupt gelten die Neutralitätsregeln aber nur eingeschränkt. Kritik an Parteien sei hier nur unzulässig, wenn sie willkürlich unter „evidenter Vernachlässigung der Integrationsfunktion“ erfolge.

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