Bismarck ist das falsche Vorbild: Was Kretschmer, Russland und die AfD miteinander zu tun haben
Sachsens Ministerpräsident fordert ein Ende der Russland-Sanktionen. Denn er steht unter Druck der AfD, die ins 19. Jahrhundert zurückkehren will. Ein Kommentar
Jetzt hat auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) laut hinausposaunt, was seine sozialdemokratische Amtskollegin aus Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), schon lange fordert: Die Sanktionen gegen Russland müssen weg. So geschehen am Freitag auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg. Und Kretschmer lud auch gleich noch Wladimir Putin nach Sachsen ein, wo der bekanntlich zu DDR-Zeiten als KGB-Agent gewirkt hatte. Zur Begründung sagte Kretschmer, die Sanktionen seien gerade für die sächsische und ostdeutsche Wirtschaft ein großes Problem.
Das ist sicher richtig, denn auch Schwesig weist immer wieder darauf hin, dass die Sanktionen nicht nur die Industrie in ihrem Bundesland treffen, sondern wegen der russischen Gegenmaßnahmen auch die Landwirte Schaden nehmen, die zum Beispiel kein Obst mehr nach Russland liefern können.
Trotzdem ist es nur die halbe Wahrheit. Denn Kretschmer steht bekanntlich in einem harten Wahlkampf. In Sachsen wird – wie in Thüringen und Brandenburg – in diesem Herbst gewählt. Der Ministerpräsident muss sich einer AfD erwehren, die Wladimir Putin am liebsten umarmen würde. Der gibt ja auch Geld für Rechtspopulisten in Europa, freut sich, wenn er die EU schwächen oder einen Spalt zwischen Deutschland und seine westlichen Verbündeten treiben kann. Die AfD würde zu gern zu einem wertfreien Spiel großer Mächte auch im Verhältnis zwischen Berlin und Moskau zurückkehren, wie Reichskanzler Otto von Bismarck im 19. Jahrhundert das glänzend beherrschte. So predigt das AfD-Fraktionschef Alexander Gauland.
Nur hat es seit Bismarcks Zeiten zwei Kriege gegeben, im letzten paktierten Deutschland und Russland zuerst, teilten die Länder unter sich auf, bevor Hitler dann den Krieg gegen die Sowjetunion begann, den er nicht gewinnen konnte. Estland, Lettland, Litauen und Polen, die Länder, die am meisten unter der NS-Gewaltherrschaft und später unter der sowjetischen Besatzung litten, sind heute EU-Mitglieder. Sie fühlen sich von Russland bedroht und haben jedes Recht, dass Deutschland ihnen Solidarität gewährt und dazu beiträgt, dass die Nato ihnen Schutz bietet. Deshalb wäre es falsch, die EU-Sanktionen nach der Annexion der Krim aufzuheben, mit der Putins Russland die Nachkriegsordnung in Europa gewaltsam ändern will – ohne Rücksicht auf internationale Verträge und die Nachbarn.
Eines macht Kretschmers Schritt deutlich: Der Druck ist groß, unter dem er steht. In den neuen Ländern ist das Misstrauen gegen die Nato größer als im Westen, was auch Kritik an Nato-Manövern zum Schutz der Nato-Ostgrenze zeigt, die ein anderer Ministerpräsident gerne übt: der Brandenburger Dietmar Woidke. Auch der ist Sozialdemokrat. Doch auch in der Ost-CDU gärt es – sogar Landesgeschäftsführer der Kanzlerpartei kritisieren offen Merkels Russlandpolitik, die in der Ukraine-Krise nun wirklich auf Ausgleich und nicht auf Konfrontation angelegt war und vor allem bis heute dafür gesorgt hat, dass die so unterschiedlichen Länder der EU zusammenstehen und die Sanktionen mittragen.
Kretschmer solle seinen außenpolitischen Berater feuern, sofern er einen habe, hat ihm Wolfang Ischinger auf Twitter geraten, der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Sachsens Ministerpräsident wird selbst wissen, dass sein Einfluss nicht ausreicht, die Außenpolitik der Bundesregierung zu bestimmen. Selbst wenn er einen außenpolitischen Berater hätte – er würde wohl ohnehin nicht auf ihn hören.