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Alexander Gauland bei der Wahlpartie der AFD in einer Tanzschule im Berliner Stadtteil Staaken.
© RubyImages/B. Niehaus

Das Europa-Dilemma der AfD: Rechtspopulisten bleiben hinter ihren Erwartungen zurück

Die AfD hadert nach der Europawahl mit ihrem Ergebnis. Auffällig ist aber auch ein starkes Ost-West-Gefälle.

Als um kurz nach 18 Uhr in der ARD die prognostizierten Verluste für die CDU verkündet werden, jubeln sie noch lautstark bei der AfD. Auch über die SPD-Verluste bei der Europawahl freuen sich die Rechtspopulisten. Buh-Rufe werden bei den starken Grünen-Werten laut. Und als dann die AfD-Prognose verkündet wird, verzieht Parteichef Jörg Meuthen das Gesicht. Im Saal wird nur verhalten geklatscht. Das ist nicht, was man sich hier erhofft hat.

Mittlerweile sehen die Hochrechnungen die AfD bei knapp elf Prozent. Intern war aber das Ziel ausgegeben worden: Bundestagswahlergebnis oder höher – also wenigstens 12,6 Prozent. Parteifunktionäre bemühen sich um eine positive Bewertung. Parteichef Alexander Gauland meint, angesichts des schwierigen Wahlkampfs sei das ein gutes Ergebnis. Er sei auch froh, dass die AfD in Bremen voraussichtlich die Fünf-Prozent-Hürde geknackt habe.

Feierstimmung herrscht trotzdem nicht in der Tanzschule in Staaken am Stadtrand von Berlin. Hierhin musste die AfD umziehen, nachdem ihnen die Wirtin eines Veranstaltungsorts in der Innenstadt abgesagt hatte. Die Frau war bedroht worden, weil sie die AfD beherbergen wollte. Im Ausweichort, der Tanzschule, wabert feucht-warme Luft. Es zieht die Leute deshalb nach draußen – dort sind die Rufe der Gegendemonstranten zu hören. „Nationalismus raus aus den Köpfen“, skandieren sie.

Gauland fasst das AfD-Dilemma zusammen

In seinem Statement auf der Bühne schwärmt Parteichef Meuthen, er sei „sowas von stolz“ auf seine Partei. „Wir gehen nach Brüssel, um die EU zu reparieren und um sie auf ihre Kernaufgaben zu reduzieren.“ Man ziehe ein mit einer „bärenstarken“ Truppe. Abseits der Bühne fasst dagegen Parteichef Gauland das Dilemma der Europawahl für die AfD zusammen: „Die Leute verstehen oft nicht, dass man sich in ein Parlament wählen lässt, das man abschaffen will.“ Das müsse man erklären und das sei schwierig.

Mehr zum Thema: Alle Hochrechnungen, Ergebnisse und Stimmen zur EU-Wahl in unserem Live-Blog

Die AfD schürte im Wahlkampf mit ihrem Slogan „Geht’s noch Brüssel?!“ Anti-EU-Stimmung. Dass ihr zwischenzeitlich laut Umfragen ein Ergebnis unter 10 Prozent drohte, wurde intern mit der Dexit-Diskussion erklärt. Die AfD hatte sich ins Wahlprogramm als ultima ratio den Austritt Deutschlands aus der EU geschrieben – falls die eigenen Reformvorstellungen nicht umgesetzt werden sollten. Aber selbst viele AfD-Wähler sind nicht dafür, dass Deutschland die EU verlässt. Angesichts des chaotisch verlaufenden Brexits ist das Thema Dexit besonders negativ konnotiert.

Ein weiterer möglicher Grund für die zwischenzeitlich niedrigen Umfragewerte liegt darin, dass das Thema Migration in der öffentlichen Debatte weit weniger Raum einnimmt als noch 2017. Die #FridaysforFuture-Demonstrationen und zuletzt die Videos des Youtubers Rezo haben den Klimawandel sehr deutlich in den Fokus gerückt – und in den Augen etlicher Deutscher zum drängendsten Problem gemacht. Der AfD, die den menschengemachten Klimawandel leugnet und versucht mit Pro-Diesel-Parolen zu punkten, nutzt das nicht. Dazu kam die Spendenaffäre, die laut einer von der AfD in Auftrag gegeben Umfrage viele AfD-affine Wähler stört.

Offen war, wie die Ibiza-Affäre in Österreich das Wahlergebnis der AfD beeinflussen würde. Immerhin ist die FPÖ ein wichtiger Verbündeter der AfD in Europa. Parteichef Meuthen bemühte sich redlich, den Fall Strache als Einzelfall darzustellen. Co-Chef Gauland hält es zumindest für möglich, dass das Chaos in Österreich das Wahlergebnis der AfD gedrückt haben könnte.

Auffällig ist aber auch das starke Ost-West-Gefälle: Zwischenzählungen sahen die AfD in Brandenburg und Thüringen bei über 20 Prozent, in Sachsen gingen die Werte nach der Auszählung eines Teils der Stimmen sogar Richtung 30 Prozent. Hier scheinen Dexit, Strache und Spendenaffäre die Wähler nicht zu interessieren.

Frage zur künftigen Fraktion im EU-Parlament

Wichtig für die AfD ist nun: Wer wird mit ihr im Europaparlament in einer Fraktion sein? Als vor gut einer Woche die Strache-Affäre hochgekocht war, hatten die europäischen Rechtspopulisten auf dem Mailänder Domplatz zur Großkundgebung geladen. Ihr Anführer, Italiens Innenminister Matteo Salvini war da, Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National, Geert Wilders aus den Niederlanden, AfD-Chef Jörg Meuthen und andere kleine rechtspopulistische Parteien aus europäischen Mitgliedsstaaten.

Sie wollen im Europaparlament eine Fraktion bilden. Angedachter Name: „Europäische Allianz der Völker und Nationen“. Meuthen buhlt auch um Nigel Farages Brexit-Partei aus Großbritannien. Dass sich diese anschließt, ist aber bislang vor allem Wunschdenken der Rechtspopulisten. Die polnische PiS-Partei wird sich nicht den EU-Feinden um Salvini anschließen.

Generell ist aber anzunehmen, dass die Aufmerksamkeit für die geplante Fraktion der AfD genutzt hat. Und daran, dass die Rechtspopulisten und Radikalen im Parlament an Einfluss gewinnen, dürften keine Zweifel bestehen. Die Rechtspopulisten der geplanten Salvini-Fraktion haben aber das Problem, dass sie sich in vielen Sachfragen, besonders in der Finanz- und Wirtschaftspolitik völlig uneinig sind. Das wird potenziell zu Konflikten führen.

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