Scholz kündigt neue Sanktionen gegen Russland an: Was ist die rote Linie? Die Gräuel von Butscha erhöhen den Druck auf den Kanzler
Der Ukraine-Botschafter legt den Finger immer wieder in die Wunde. Nach den Taten in Butscha sucht die Ampel eine harte Antwort auf Russlands Kriegsverbrechen.
Es sind anklagende Hilferufe, die viele im Land irritieren. Auch bei der SPD – hier verbergen einige die Genervtheit über den Botschafter der Ukraine nicht mehr. Haltungsnoten zu verteilen, scheint bequemer, als sich den unbequemen aufgeworfenen Fragen zu stellen. Andrij Melnyk ist sicher ein streitbarer Botschafter, aber die Anklage gegen die langjährige Umarmungs- und Beschwichtigungspolitik Berlins gegenüber Moskau ist ein Resultat auf die Bilder und Nachrichten, mit denen er täglich aufwacht.
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So hat er es in seiner Residenz beim Interview mit dem Tagesspiegel geschildert. Und die wahllosen Hinrichtungen von Ukrainern in Butscha verändern die Lage noch einmal.
Ist das die rote Linie, um nicht doch den Schritt eines Gas- und Ölboykotts gegen Wladimir Putin zu erwägen? Auch, wenn es die deutsche Industrie und die Verbraucher hart treffen kann?
Es geht auch um die deutsche Staatsräson des „Nie wieder“, betonen Analysten am Sonntag – dass man nicht sehenden Auges bei Kriegsverbrechen zuschauen könne. Was das denn bedeutet, fragt der Militärexperte Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München. „Ich habe da keine Lösung im Hinterkopf, es ist keine rhetorische Frage. Wir sind in einem strategischen Dilemma.“
Doch ein Öl- und Gasboykott?
Das ist auch, was besonders deutlich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gar nicht erst zu verbergen versucht. Außenministerin Annalena Baerbock kündigt weitere Sanktionen an, aber da ein Eingreifen der Nato ausgeschlossen wird, landet man immer wieder beim Thema Energielieferungen, einem Ausschluss aller Banken, auch der Gazprombank vom Swift-System und bei mehr militärischer Unterstützung für die Ukraine.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) betont, über das Thema Stopp von Gaslieferungen müsse im Kreise der EU-Minister gesprochen werden.
In der Ampel könnten die Fraktion der Energieboykottbefürworter, trotz aller möglichen Verwerfungen, weiter wachsen. Auch wenn es unter Militärökonomen Zweifel gibt, ob das wirklich Putin stoppen kann.
Scholz spricht von Kriegsverbrechen und stellt neue Sanktionen in Aussicht
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat mit Blick auf die Gräuel in Butscha neue Sanktionen gegen Russland in Aussicht gestellt. „Wir werden im Kreis der Verbündeten in den nächsten Tagen weitere Maßnahmen beschließen“, kündigte er am Sonntag an, ohne weitere Details zu nennen. Er ist bisher wegen der Folgen, er sieht dann hunderttausende Arbeitsplätze in Gefahr, gegen einen Energieboykott.
Der russische Präsident Wladimir Putin und seine Unterstützer würden die Folgen spüren. „Und wir werden der Ukraine weiterhin Waffen zur Verfügung stellen, damit sie sich gegen die russische Invasion verteidigen kann.“
Scholz betont: „Die Ermordung von Zivilisten ist ein Kriegsverbrechen. Diese Verbrechen der russischen Streitkräfte müssen wir schonungslos aufklären.“
Zuvor hatte er in einem schriftlichen Statement zu Butscha Sanktionen mit keinem Wort erwähnt, sondern lediglich an Putin appelliert: „Ich fordere Russland auf, endlich in einen Waffenstillstand einzuwilligen und die Kampfhandlungen einzustellen. Es ist ein furchtbarer, ein sinnloser und ein durch nichts zu rechtfertigender Krieg, der viel Leid erzeugt und niemandem nutzt. Er muss aufhören.“ Doch was für eine Reaktion folgt daraus?
[Lesen Sie auch: Melnyk macht Ampel-Ministern schwere Vorwürfe (T+)]
Botschafter Melnyk fordert rasch mehr schwere Waffen – von stationären Luftabwehrraketen, Raketenwerfern bis zu Panzern. „Putin muss eben auf dem Schlachtfeld klar gemacht werden, dass er diesen Krieg nicht gewinnt. Andernfalls wird das Blutvergießen noch sehr lange dauern. Viele Deutschen glauben aber, je mehr Waffen man liefert, desto länger dauert der Krieg. Das ist eine Fehleinschätzung.“
Der Grünen-Politiker Volker Beck stimmte dieser Aussage zu. Worauf der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner spitz kommentierte: „Jawohl, Herr General!“ Auch zwischen Grünen- und SPD-Politikern scheinen die Nerven zunehmend angespannt zu sein.
Der Botschafter vermisst Konsequenzen aus der verfehlten Russland-Politik
Melnyk hat vor allem einen der Architekten der Russland-Politik, Frank-Walter Steinmeier, ganz undiplomatisch angegriffen, während Wladimir Klitschko bei seinem Berlin-Besuch zuletzt ausdrücklich den Dank an die Deutschen und auch an die Unterstützung durch die Politik in den Vordergrund stellte.
Mancher Vorwurf etwa, dass Frank-Walter Steinmeier ähnlich wie Putin über die Ukraine denke, ist sicher falsch. „Melnyks Ton gegenüber dem Bundespräsidenten ist einfach unakzeptabel“, meint der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer.
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Aber es ist schon irritierend, heute nochmal die kumpelhaften Bilder etwa des damaligen Außenministers Steinmeier mit Wladimir Putin und Sergej Lawrow zu sehen. Und es stimmt, dass enge Weggefährten des damaligen Außenministers Steinmeier, die diese Politik jahrelang mit ins Werk gesetzt haben – Melnyk spricht von einem „Spinnennetz an Russland-Kontakten“ –, heute auch die Außenpolitik der Ampel-Koalition mitprägen.
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Der außenpolitische Chef-Berater von Kanzler Olaf Scholz (SPD), Jens Plötner, etwa, der noch bis kurz vor Kriegsbeginn auf eine Verhandlungslösung setzte, oder der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Andreas Michaelis, der von 2015 an als Politischer Direktor des Auswärtigen Amtes die Russland-Ukraine-Verhandlungen steuerte, in denen Kiew sich laut Melnyk oft nicht fair behandelt fühlte.
Zugleich trieb sie alle immer das Bemühen, de russische Regierung von so einer Eskalation durch Dialog und Verhandlungen abzuhalten, frühzeitig wurde auch die Demokratiebewegung in der Ukraine unterstützt.
In der SPD wird gefragt, ob Melnyk nicht mehr erreichen würde, wenn er das offene Gespräch suchen, statt öffentlich immer schärfere Anschuldigungen erheben würde.
Auch der heutige Bundespräsident Steinmeier äußerte sich zu Butscha: „Die von Russland verübten Kriegsverbrechen sind vor den Augen der Welt sichtbar.“ Etwa 280 Menschen wurden in Butscha bereits in einem Massengrab beigesetzt.
Und Steinmeier betonte, vielleicht auch mit Blick auf Melnyks Attacken: „Die Repräsentanten der Ukraine haben jedes erdenkliche Recht, Russland anzuklagen und Solidarität und Unterstützung ihrer Freunde und Partner einzufordern.“
Die bange Frage: Was kommt nach dem Krieg?
Botschafter Melnyk umtreiben drei Sorgen: 1. Deutschland tut zwar viel, aber noch nicht genug, um der Ukraine im Krieg gegen Russland zu helfen. 2. Man will einen Waffenstillstand, um sich dann wieder irgendwie auch mit Russland zu arrangieren. 3. Die Fehler der Vergangenheit werden nicht richtig aufgearbeitet.
Er stellt den Deutschen unangenehme Fragen, was aus der Solidarität mit der Ukraine, was aus Bildern wie in Butscha nach einem möglichen Kriegsende folgen soll? Ein EU-Beitritt zum Beispiel, auch wenn das Spannungen mit Russland verschärfen würde – oder wäre es der Bundesregierung lieber, wenn die Ukraine einfach eine Pufferzone zwischen der EU und Russland bleiben würde.
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