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Freund Russlands: Der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow 2014 in Moskau.
© Bernd von Jutrczenka/dpa
Exklusiv

Andrij Melnyk im Interview: Ukraine-Botschafter rechnet mit Steinmeier ab – und fordert mehr schwere Waffen

Andrij Melnyk wirft dem Bundespräsidenten vor, er habe ein „Spinnennetz der Russland-Kontakte“ geknüpft, das auch die Ampel-Regierung präge.

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorgeworfen, seinen Bruch mit der bisherigen Russland-Politik nicht ernst zu meinen. „Für Steinmeier war und bleibt das Verhältnis zu Russland etwas Fundamentales, ja Heiliges, egal was geschieht, auch der Angriffskrieg spielt da keine große Rolle“, sagte Melnyk in einem Interview mit dem Tagesspiegel.

„Aus Putins Sicht gibt es kein ukrainisches Volk, keine Sprache, keine Kultur, und daher auch keinen Staat. Steinmeier scheint den Gedanken zu teilen, dass die Ukrainer eigentlich kein Subjekt sind“, sagte Melnyk. „Die Sache mit dem Konzert war kein Fehler“, meinte Melnyk mit Blick auf ein von ihm boykottiertes Ukraine-Solidaritätskonzert des Bundespräsidenten, bei dem auch russische Musiker auftreten sollten.

„Das Konzert war aus meiner Sicht ein klares Signal Richtung Moskau, vielleicht sogar, um Putin zu zeigen: Ich halte hier die Stellung.“ Steinmeier wisse, „wie wir Ukrainer ticken und wie sensibel das Thema ist“, sagte Melnyk. „Feingefühl ist für Steinmeier ein Fremdwort, zumindest in Bezug auf die Ukraine“.

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„Steinmeier hat Spinnennetz der Russland-Kontakte geknüpft“ - das prägt auch die Ampel

Deutschland habe weiter zu viele Eigeninteressen in Bezug auf Russland, etwa die Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle. Schuld daran sei auch Steinmeiers Agieren als Kanzleramtschefs und später als Außenminister. „Steinmeier hat seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft. Darin sind viele Leute verwickelt, die jetzt in der Ampel das Sagen haben“, betonte Melnyk und nannte namentlich den außenpolitischen Berater von Bundeskanzler Olaf Scholz, Jens Plötner, und den Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Andreas Michaelis. Hinzu kämen viele wichtige Botschafter.

„Das alles macht einen Unterschied.“ Melnyk betonte, schon in den mehrjährigen Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine, die Steinmeier als Außenminister mit angestoßen hatte, hätten die Deutschen immer versucht, vor allem der Ukraine Zugeständnisse abzuringen. „Mein Präsident Selenskyj hat einmal gesagt: Wir werden wie Pferde in der Manege herumgeführt.“

Der Völkerrechtler Andrij Melnyk ist seit dem 12. Januar 2015 Botschafter der Ukraine in Deutschland.
Der Völkerrechtler Andrij Melnyk ist seit dem 12. Januar 2015 Botschafter der Ukraine in Deutschland.
© Nassim Rad/Tagesspiegel

Die Rede mit der „Schlinge“

Angesprochen darauf, dass Steinmeier in seiner Rede zur Wiederwahl als Bundespräsident deutlich wie nie abgerechnet habe mit Putin, meinte Melnyk, der Bundespräsident habe da von der Schlinge um den Hals der Ukraine gesprochen, die Putin lösen solle. „Selbst dieser Vergleich ist ein zweideutiger. Steinmeier hat nicht gesagt, dass man jetzt alles neu bewerten muss. Putin sollte die Schlinge nur ein bisschen lockern, damit die Ukraine aufatmen kann. Aber der Strick um den Hals, der bleibt.“

Er kaufe Steinmeier nicht ab, dass dieser seine Fehler in der Russland-Politik erkannt habe. „Zu uns Ukrainern hat er keinen Bezug. Steinmeier weiß nicht, was er mit uns anfangen soll, obwohl er selbst in Kyjiw und sogar in Lwiw war.“

Wladimir Putin begrüßt 2016 Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Kreml.
Wladimir Putin begrüßt 2016 Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Kreml.
© IMAGO

Verwirrung um Lambrechts 308-Millionen-Waffenliste

Mit Blick auf die aktuelle Bundesregierung fordert Melnyk vor allem von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) dringend eine bessere Zusammenarbeit bei geplanten Waffenlieferungen an die Ukraine.

„In dieser Woche haben wir mit Verwunderung aus den Medien erfahren, dass die Ampel nach sehr langer Geheimhaltung angeblich eine Liste mit Waffen vorlegt, die geliefert werden könnten. Da geht es um 308 Millionen Euro“, sagte Melnyk dem Tagesspiegel.

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Das Verteidigungsministerium habe die ukrainische Seite aber nicht informiert über diese Liste. „Die Kommunikation könnte viel besser sein. Diese Liste hat uns Wirtschaftsminister (Robert) Habeck übergeben.“

Aber einerseits seien da Waffen deutscher Hersteller auf der Liste, die die Armee nicht prioritär brauche, andererseits gebe es keine konkrete Zusage, in welchem Umfang diese Käufe von der Regierung finanziert werden. „Diese Zahl 308 Millionen Euro ist also nur ein Fake“, sagte Melnyk.

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Unter Druck: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD).
Unter Druck: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD).
© Sean Gallup/Getty Images

Kritik an Lambrecht: Keine Abstimmung mit Ukraine

Er widersprach auch Lambrechts Aussage, dass Deutschland inzwischen der zweitgrößte Lieferant von Waffen sei. „Berlin ist natürlich von Null gestartet. Das ist wirklich etwas, das man würdigen muss, und das tun wir auch.“

Lambrecht habe aber beschlossen, „uns erst dann zu informieren, wenn die Lieferung erfolgt ist.“ Mit der Ukraine würden bisher keine Planungen abgestimmt. „Am 3. Februar haben wir eine Liste mit von uns benötigten Verteidigungswaffen vorgelegt, einen Monat später, mitten im Krieg, eine weitere auch mit schweren Waffen. Leider ist es so, dass bis heute nur diese erste Liste bearbeitet wird, seit genau zwei Monaten. Man vergeudet so viel wertvolle Zeit.“

„Wir brauchen dringend schwere Waffen“

Der Botschafter forderte vor allem mehr schweres Gerät. „Wir brauchen dringend schwere Waffen. Die Deutschen könnten sehr viel liefern.“ Es gehe vor allem um stationäre Luftabwehrraketen, Artilleriesysteme, Raketenwerfer, Panzer und gepanzerte Wagen. „Unsere Soldaten laufen zu Fuß zwischen Mykolajiw und Cherson, 60 Kilometer.“

Schultergestützte Antipanzerwaffen seien zwar effektiv, aber damit könne man den Krieg nicht gewinnen, nur das Vorrücken der russischen Armee stoppen. „Putin muss eben auf dem Schlachtfeld klar gemacht werden, dass er diesen Krieg nicht gewinnt.“ Andernfalls würde das Blutvergießen noch sehr lange dauern. „Viele Deutschen glauben aber, je mehr Waffen man liefert, desto länger dauert der Krieg. Das ist eine Fehleinschätzung.“

„Ich bin der Waffenhändler der Ukraine“

Melnyk sieht sich inzwischen mehr als Waffenhändler denn als Diplomat. „Ich bin hier der Waffenhändler der Ukraine. Das Einzige, was meinen Präsidenten oder meine Minister interessiert: Gibt es was Neues? Hast du Waffen? Das sind die Gespräche, die wir seit Wochen führen“, sagte der Botschafter. „Und weil es mit dem Verteidigungsministerium so schlecht läuft, sind wir selbst in engem Austausch mit der deutschen Rüstungsindustrie. Wir fragen direkt Unternehmen, was lieferbar ist.“

Das ganze Interview mit dem ukrainischen Botschafter lesen Sie hier bei Tagesspiegel Plus.

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