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Islamischer Religionsunterricht ist in deutschen Schulen ein großes Streitthema.
© dpa

Kampf gegen Extremisten: Was hilft gegen Islamismus? Mehr Islam!

Junge Leute, die auch bei uns vom Dschihad angezogen werden, haben meist keine Ahnung vom Islam. Deshalb gehört das Wissen über den Islam in die Schule - und zwar nicht in den Religions- sondern in den Sozialkundeunterricht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Allerlei junge Leute aus Europa werden magnetisch angezogen vom Dschihad. Sie werden immer mehr, und sie kommen aus Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Bosnien, Spanien, von überallher. Soziologen und Jugendforscher spekulieren über Pubertät und Unsicherheit, Probleme mit dem Selbstwert, die Suche nach Abenteuern. Verantwortlich gemacht wird mitunter auch das Reich der Unterhaltungselektronik, in dem Jugendliche aufwachsen. Gezielt wird das Internet von Islamisten genutzt, um drastisch illustrierte Werbebotschaften anzubieten.

Weitgehend hilflos registrieren Lehrer den Mode gewordenen Wettbewerb darum, wer „der bessere Moslem“ sei. Solcher Wettstreit spielt sich nicht nur unter Jugendlichen mit sogenanntem arabischen oder türkischen „Hintergrund“ ab, sondern erfasst durchaus auch Heranwachsende aus den Mehrheitskulturen. Und den Wettbewerb sieht man nicht allein an sogenannten „Brennpunktschulen“. (Das gängige Vokabular, mit dem die Öffentlichkeit versucht, diese Phänomene in den Griff zu bekommen, zurrt den öffentlichen Diskurs eher fest, als gesellschaftliche Fantasie zu fördern.)

Die Dschihadisten haben keine Ahnung vom Islam

Was auch immer bislang rätselhaft bleibt an den Beweggründen derer, die vom frommen Terror fasziniert sind, in einem sind sich die Beobachter einig: Sie haben allesamt wenig oder keine Ahnung vom Islam. Sie wissen so gut wie nichts von der Geschichte des Maghreb oder des Nahen und Mittleren Ostens. Ahnungslos steigen sie, verbal oder real, auf das Abenteuer primitiver Gotteskrieger ein. Gegen Ahnungslosigkeit aber ist der Mensch nur mit Ahnung gewappnet, besser noch: Mit Wissen. Gegen den Schulhof-Islamismus, der sich ausbreitet, wie ein emotionaler Virus, macht nur eine solide Basis an Kenntnissen immun, die jenseits des Schulhofs, im Innern der Schulbauten, vermittelt werden muss. Dabei geht es nicht um den viel diskutierten, noch selten praktizierten Islamunterricht. Gefragt wäre ein faktisches, säkulares Wissen, das erst befähigen könnte, differenzierter zu diskutieren und zu urteilen.

Fragt man die Schülerinnen und Schüler, wie die Unterschiede zwischen Sunniten, Schiiten oder Aleviten historisch entstanden sind – nichts. Was wissen sie über die Eroberung Ägyptens und Syriens 1517 durch Selim I., über den Kolonialismus des Osmanischen Reiches, die Kalifate oder das Entstehen arabischer Philosophie und Mathematik? Schwebt ihnen irgendeine Vorstellung vor, in welchem Kontext die Suren des Koran entstanden sind oder die „Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht“? Haben sie einen Begriff davon, wie die gegenseitige Beeinflussung von Abendland und Morgenland aussah? Wie Palästina entstand, wie Israel? Oder Staaten wie Pakistan, Afghanistan? Zero. Die meisten der kleinen Straßen-Dschihadisten leben, was Wissen, Unterweisung, Aufklärung auf den Gebieten betrifft, die sie angeblich so brennend interessieren, sozusagen auf einem schulischen Ground Zero, hergestellt nicht von ihnen selber, sondern von inaktuellen Curricula.

Es wird mehr über Mönche im Mittelalter gesprochen als über die Geschichte des Osmanischen Reichs

Schon vor ein paar Jahren, als IS-Kämpfer noch nicht auf den Plan getreten waren, beklagte eine Berliner Geschichtslehrerin im Freundeskreis, dass sie gemäß dem Curriculum ihres Faches mit hunderten von Schülern aus muslimischen Familien in Neukölln mehr über Mönche und Minnelyrik im Mittelalter sprechen müsse, als über Sachgebiete, die für ihre eigene Orientierung und Aufklärung wichtig wären.

Den Schwerpunkt der Wissensvermittlung zum Thema „Islam“ vom Religions- und Ethikunterricht auf Fächer wie Geschichte oder Sozialkunde zu verlagern, würde auch helfen, den theologisch aufgeladenen Debatten mit Faktizität zu begegnen. So könnte etwa die Lektüre eines eben erschienen, knappgefassten Buches mit dem Titel „Gewalt im Namen der Ehre“ hilfreich sein, das einen guten Überblick zu einem der meistdiskutierten Themen in der entsprechenden Schülerschaft enthält. Außerdem hätte das Füttern mit faktischem Wissen, etwa zur Abfolge der Kalifate, den Vorteil, nicht nur Kenntnisse und Erkenntnisse zu schaffen, sondern auch einen Grad der Sättigung, der die gesamte Thematik aus der Sphäre des Faszinosums fortzieht. So komplex, wie sich die Geschichte der islamischen Welt aus dem Blickwinkel der Historiker ausnimmt, so fordernd ist der Wissenserwerb dazu, das Pauken von Chronologien, das Erfassen von Strukturen, das Diskutieren der Inhalte. Doch auf die Weise würden die Lernenden von heute erhalten, was sie dringend brauchen: Realistische Orient-Orientierung.

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