Mehr Beschäftigung, aber auch mehr Spaltung: Was hat Macron in fünf Jahren Amtszeit erreicht?
Frankreichs Staatschef Macron ist es gelungen, die Arbeitslosenquote zu senken. Aber nicht alle profitieren gleichermaßen.
Marine Le Pen hat dem französischen Staatschef Emmanuel Macron bei der TV-Debatte in dieser Woche vorgeworfen, in seiner fünfjährigen Amtszeit auf dem Feld der Wirtschafts- und Sozialpolitik versagt zu haben. „Der Mozart der Finanzwelt hat eine sehr schlechte wirtschaftliche Bilanz und eine noch verheerendere soziale Bilanz“, sagte die rechtsradikale Politikerin in Anspielung auf Macrons frühere Tätigkeit als Investmentbanker.
Polemik hin oder her: Vor der Stichwahl am Sonntag, die über Macrons Zukunft als Präsident entscheidet, ist vor allem die innenpolitische Bilanz des Staatschefs ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.
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Als sich Le Pen und Macron vor fünf Jahren zum ersten Mal beim TV-Duell gegenübersaßen, wollten sie beide in den Elysée-Palast einziehen. Staatschef wurde bekanntlich nach der Wahl von 2017 der Liberale Macron. Bei der aktuellen Fernsehdebatte und der Neuauflage des Duells in dieser Woche versuchte Le Pen nun, den Amtsbonus Macrons ins Gegenteil zu verkehren. So warf sie ihm vor, in den vergangenen fünf Jahren die Arbeitslosigkeit kaum gesenkt zu haben.
Die 53-Jährige mokierte sich darüber, dass die Zahl der Arbeitslosen in Frankreich seit 2017 gerade einmal um 100.000 zurückgegangen sei. Nach den Angaben von Le Pen habe die Zahl der Arbeitssuchenden bei der Wahl Macrons vor fünf Jahren 5,5 Millionen betragen. Gegenwärtig seien es 5,4 Millionen. Allerdings hat Macrons Herausforderin bei ihrer Rechnung nicht nur jene Arbeitssuchenden einbezogen, die keinerlei Beschäftigung haben, sondern auch Arbeitssuchende in Teilzeit oder geringfügig Beschäftigte.
Nimmt man hingegen allein die Kategorie der Beschäftigungslosen zum Maßstab, so ist die Arbeitslosigkeit in Frankreich seit Macrons Amtsantritt stärker gesunken, als es die Angaben Le Pens vermuten lassen. Die Zahl der Arbeitslosen fiel zwischen der Wahl Macrons und dem Ende des vergangenen Jahres um rund 400.000 von 3,7 auf 3,3 Millionen. Die niedrigere Arbeitslosenquote hat Macron zwei Dingen zu verdanken. Zum einen konnten dank der Einführung der Kurzarbeit während der Pandemie viele Beschäftigte ihre Jobs behalten. Zum anderen wurden viele neue Beschäftigungsverhältnisse geschaffen. Die Zahl der Ausbildungsplätze stieg zwischen 2019 und 2021 von 478.000 auf rund 900.000.
Drei Krisen in Folge
Jenseits der nüchternen Zahlen lässt sich vor allem bilanzieren, dass die bisherige Amtszeit Macrons bis zum Beginn des Krieges in der Ukraine und dessen wirtschaftlichen Folgen von drei Krisen geprägt war: Erst machte Ende 2018 und Anfang 2019 die Bewegung der „Gelbwesten“ deutlich, dass viele Französinnen und Franzosen Probleme haben, mit ihrem verfügbaren Haushaltseinkommen über die Runden zu kommen.
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Anschließend beeinträchtigte ein Streik gegen die von Macron geplante Rentenreform zur Jahreswende 2019/2020 unter anderem den Pariser Metro-Verkehr erheblich. Und dann kam die Pandemie. Sie zwang den Präsidenten, ein milliardenschweres Konjunkturpaket zu schnüren und sein Versprechen eines verringerten Staatsdefizits zu kassieren.
Vor allem die „Gelbwesten“ machten Macron zu schaffen
Vor allem die „Gelbwesten“ setzten Macron schwer zu. Die französische Dauer-Diskussion um die mangelnde Kaufkraft, aus der Le Pen auch zentrale Wahlkampfforderungen wie die Senkung der Mehrwertsteuer auf Energie abgeleitet hat, wurde seinerzeit durch die „gilets jaunes“ noch einmal zusätzlich befeuert. Dabei sind die Franzosen im Durchschnitt in den letzten fünf Jahren keineswegs ärmer geworden. Nach Zahlen des Pariser Konjunkturforschungsinstituts OFCE wuchs das verfügbare Einkommen während Macrons Amtszeit für eine vierköpfige Mittelschichts-Familie pro Jahr um 900 bis 1600 Euro.
Kaufkraft wuchs unter Macron mehr als bei seinen Vorgängern
Nach Angaben des OFCE tat Macron auch mehr für die Haushaltskasse der Franzosen als seine beiden Amtsvorgänger. Demnach ist die Kaufkraft pro Jahr während seines Mandats im Schnitt um 0,9 Prozent gewachsen, während dieser Wert beim sozialistischen Vorgänger François Hollande nur bei 0,1 und beim Konservativen Nicolas Sarkozy bei 0,2 Prozent lag. In der Rückschau zeigt sich aber, dass sich die Franzosen vor der Finanzkrise von 2008 größere finanzielle Sprünge erlauben konnten als unter Macron.
Macrons Erfolg im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ändert aber nichts daran, dass arme Franzosen in den vergangenen fünf Jahren weniger profitierten als ihre reicheren Landsleute. Allerdings sind die entsprechenden Angaben des gegenwärtigen Chefs von Le Pens Partei „Rassemblement National“, Jordan Bardella, zu dem Thema schwer mit Zahlen zu belegen. Bardella hat erklärt, dass unter Macron die Kaufkraft bei den reichsten Franzosen (ein Prozent der Bevölkerung) um drei Prozent gestiegen sei, während sie am entgegengesetzten Ende der Einkommensskala um drei Prozent gesunken sei.
Schere zwischen Arm und Reich öffnete sich weiter
Die linksgerichtete Zeitung „Libération“ verwies hingegen auf Angaben der nationalen Statistikbehörde Insee, aus denen sich lediglich ein weiteres Öffnen der Schere zwischen Arm und Reich ablesen lässt. Demnach stieg zwischen 2017 und 2019 der Lebensstandard beim reichsten Zehntel der Franzosen um 2,2 Prozent. Das ärmste Zehntel musste sich hingegen mit einer Steigerung von nur 0,7 Prozent begnügen.
Sollte Macron am Sonntag wiedergewählt werden, so muss er sich bereits auf eine schwierige zweite Amtszeit einstellen. Der Staatschef müsste dann einen Großteil der Bevölkerung hinter sich bringen, weil er weiter an seiner Rentenreform festhält, die wegen der Pandemie zunächst einmal auf Eis gelegt wurde. Bei der Vorstellung seines Wahlprogramms im vergangenen Monat kündigte Macron schon einmal vorsorglich an, weniger als in der Vergangenheit einsame Entscheidungen treffen zu wollen. Mit seinem Wahlslogan „Mit euch“ verbinde sich für ihn auch eine „neue demokratische Methode“, kündigte er an. Bislang ist es nicht mehr als ein Versprechen.