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Seit die Wehrpflicht ausgesetzt worden ist, hat die Truppe Probleme, genug Personal zu finden. (Archiv)
© dpa

Kommando zurück: Was gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht spricht

Die SPD-Führung beendet den Vorstoß der neuen Wehrbeauftragten Eva Högl schnell. Die meisten wollen die Wehrpflicht nicht wieder einführen. Doch es kommen andere Ideen auf.

Eva Högl hätte gerne eine große Debatte. Aber ihre eigene Parteiführung hat diese nach wenigen Stunden für beendet erklärt. Seit Ende Mai ist die Berliner SPD-Politikerin Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, eine Kompromisslösung nach parteiinternen Querelen.

Nach der Einarbeitung in das neue Amt sagte sie nun den Zeitungen der „Funke“-Gruppe: „Ich halte es für einen Riesenfehler, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde.“ Es tue der Bundeswehr sehr gut, wenn ein großer Teil der Gesellschaft eine Zeit lang seinen Dienst leiste. „Das erschwert es auch, dass sich Rechtsextremismus in der Truppe breit macht.“

Doch die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind strikt dagegen. „Die Wehrpflicht (…) steht nicht im Zusammenhang mit der gefährdeten Demokratiefestigkeit einzelner Bereiche der Bundeswehr, die nie mit Wehrpflichtigen besetzt worden sind“, betonen beide.

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Sie beziehen sich da auf die Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK), die nach mehreren Vorfällen von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) neu aufgestellt wird. So wirkt Högls Vorstoß wie ein Strohfeuer, wenngleich sie ein Problem thematisiert, das evidenter wird.

Kramp-Karrenbauer ist ebenfalls gegen eine Rückkehr zur Wehrpflicht – und hat stattdessen kurzerhand einen neuen Freiwilligendienst in der Bundeswehr angekündigt.

Was gegen die Wehrpflicht spricht

Die Verteidigungsministerin sieht ihren Vorstoß „Dein Jahr für Deutschland“ als Ergänzung zum freiwilligen Wehrdienst, für junge Leute denen so ein Dienst zu viel ist oder zu lange dauert. Hierbei sollen junge Menschen eine sechsmonatige militärische Grundausbildung erhalten und anschließend einen sechsmonatigen Reservedienst in der Nähe ihrer Heimat absolvieren.

2021 soll es losgehen, in Kürze soll das Konzept vorgestellt werden. Es gehe ihr um die Idee eines Dienstes für die Gesellschaft angesichts von Populismus und Spaltungen. Dabei könnten auch Menschen mit Migrationshintergrund Verantwortung übernehmen.

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Was noch gegen die Wehrpflicht spricht: 2011 war die allgemeine Wehrpflicht und damit auch der Zivildienst ausgesetzt worden. Die Bundeswehr wurde zu einer Freiwilligenarmee, mit einem freiwilligen Wehrdienst von sieben bis 23 Monaten. Die 52 Kreiswehrersatzämter und sieben Musterungszentren wurden abgeschafft, ebenso Kasernen reduziert.

Die Wehrbeauftragte des Bundestages Eva Högl (SPD).
Die Wehrbeauftragte des Bundestages Eva Högl (SPD).
© dpa/Kay Nietfeld

Eine Wiedereinführung wäre mit erheblichen Kosten verbunden, hinzu kommen fehlende Ausbilder und verfassungsrechtliche Probleme. Es ist davon auszugehen, dass die Wehrpflicht heute für Männer und Frauen gelten müsste.

Der General a.D. und frühere Regierungsberater, Erich Vad (63), sagte der „Bild“-Zeitung zudem: „Wenn Sie eine Wehrpflicht wieder einführen wollen, brauchen Sie dafür eine stichhaltige sicherheitspolitische Begründung, sonst geht das juristisch nicht. Diese Begründung sehe ich nicht.“ Und: Die Bundeswehr wandelt sich ohnehin zu einer Armee der Spezialisten mit neuen Herausforderungen, Stichwort Cyberangriffe.

Vor zwanzig Jahren gab es noch 107.200 Grundwehrdienstleistende im Jahr, aktuell gibt es rund 9100 freiwillige Wehrdienstleistende (bei insgesamt 184.200 Soldatinnen und Soldaten).

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Das zeigt: Die Bundeswehr steuert in erhebliche Nachwuchsprobleme hinein, zudem fehlt die Verankerung in der Bevölkerung, weshalb die Ministerin schon mit den Gratisbahnfahrten für Soldaten in Uniform ein Zeichen für mehr Sichtbarkeit der Truppe setzen wollte.

Und klar ist auch, dass die Bundeswehr mit Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht auch Leute anzieht, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, die Skandale um rechtsextreme Netzwerke sind Beweis dafür.

Die Coronakrise hat zugleich gezeigt, wie wichtig die Bundeswehr auch bei anderen Krisen sein soll – so unterstützte sie auch die Organisation von Massentests nach dem Corona-Ausbruch in der Fleischfabrik von Marktführer Tönnies.

Wie es gehen kann, zeigt Schweden. Das Land hat die 2010 ausgesetzte Wehrpflicht 2017 wieder eingeführt, als einen Mix zwischen Pflicht- und Freiwilligendienst – auch, weil nicht genügend Freiwillige für die Streitkräfte gewonnen werden konnten. Zudem gab es nach der russischen Besetzung und Einverleibung der ukrainischen Krim auch neue sicherheitspolitische Erwägungen.

Gebot der Gleichheit

Doch das Modell führte dazu, dass es nun viel mehr potentielle Wehrdienstleistende gibt als verfügbar Stellen. So wollte man aus dem Geburtsjahrgang 1999 rund 4000 Personen rekrutieren. Es gab aber 94.000 Personen, die in Frage kamen. Am Ende wurden „ungefähr vier Prozent der relevanten Altersgruppe rekrutiert“, heißt es in einer Analyse des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags.

Bei diesem Punkt setzt auch der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, an. „Die Aussetzung der Wehrpflicht war und bleibt richtig, weil sie zuletzt das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz zutiefst verletzt hat“, sagte er dem agesspiegel. „Die geschrumpfte Bundeswehr konnte nur noch Teile eines Jahrgangs verwenden.

So war es reiner Zufall, wer eingezogen wurde und wer nicht.“ Die sogenannte Wehrgerechtigkeit sei nicht mehr gegeben gewesen. „Auch heute würde nur ein Bruchteil eines Jahrgangs eingezogen werden.“ Die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist für Buschmann daher eine „Sommerlochdebatte“.

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