Streit in der AfD: Was Gedeon über Amerika, Nazis und Juden schreibt
Die AfD in Baden-Württemberg zerlegt sich im Streit über den Umgang mit Wolfgang Gedeon. Das Recherchekollektiv "Correctiv" hat sich das Werk des umstrittenen Abgeordneten genauer angesehen.
Das Werk des baden-württembergischen AfD-Abgeordneten Wolfgang Gedeon vom November vergangenen Jahres ist nur 56 Seiten dick, enthält aber jede Menge kruder Theorien, revanchistische Ansichten und antisemitischer Vorurteile. Es ist bisher nur Insidern bekannt und trägt den sperrigen Titel: „Grundlagen einer neuen Politik über Nationalismus, Geopolitik, Identität und die Gefahr einer Notstandsdiktatur“. Correctiv hat das Werk ausgewertet und mit dem Antisemitismusforscher Marcus Funk von der TU Berlin analysiert.
„Der Amerikanismus“, schreibt Gedeon dort, sei ein „politischer Glaube, (...) nicht mehr der christliche Glaube vom jenseitigen Gottesreich, es ist der alte jüdische Glaube vom neuen irdischen Jerusalem“.
Die USA hätten klare Ziele, so Gedeon weiter: „Seit 1989 weitet sich im Westen die Amerikanisierung zu einem alle Lebensbereiche umfassenden System aus. Westen bedeutet dabei die de facto Annexion durch die USA.“
Was Gedeon schreibt, ist schlimm. Dass er gewählt wurde, ist schlimmer.
schreibt NutzerIn giseun
Die „Annexion“ sei in elf Schritten vonstatten gegangen. Darunter: „Bevölkerungsaustausch“, Ersetzung der Realwirtschaft durch „Spekulanten“ sowie die „tendenzielle Auflösung des Christentums, die durch systematische Islamisierung christlicher Staaten zusätzlich vorangetrieben wird“.
Nach Einschätzung von Marcus Funk vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin hat auch diese Schrift Gedeons, über die Grundlagen einer neuen Politik, eindeutig einen „antisemitischen Grundton”.
Deutschland als Gegner der USA
Weiter schreibt Gedeon: Der potenzielle Gegner der USA wäre ein Deutschland, das zusammen mit Russland ein Gegengewicht gegen den „Amerikanismus“ bilden könnte, der, siehe oben, dem „alten jüdischen Glauben“ entspringe.
Hier sieht Gedeon auch den Grund für den Kriegseintritt der Amerikaner. So müssen wir uns seiner Meinung nach „von der Mär verabschieden, die US-Amerikaner hätten den Krieg gegen Deutschland geführt, um die Deutschen und Europa vom Faschismus zu befreien”, so Gedeon.
Nicht der Angriff der Wehrmacht auf Polen, Frankreich oder die Sowjetunion habe das Eingreifen der USA ausgelöst, noch sei es der Genozid an den europäischen Juden gewesen. Die Amerikaner hätten den Krieg gewollt, so oder so. „Hätte sich damals ein demokratisches Deutschland in gleicher Weise zu einer politischen und wirtschaftlichen Großmacht entwickelt wie das nationalsozialistische: Man hätte außenpolitisch und militärisch nicht anders gehandelt, als man es im Fall Hitler-Deutschlands getan hat”, schreibt Gedeon in der nun aufgetauchten Schrift.
Nazideutschland - ein Opfer des US-amerikanischen Machtstrebens? Die Kriegsschuldfrage wird damit von Gedeon auf den Kopf gestellt.
Gedeon hat stets bestritten, eine antisemitische Grundhaltung zu haben. Eine Anfrage des Recherchekollektivs Correctiv, wie entsprechende Stellen in seiner Broschüre zu verstehen seien, hat er bis Redaktionsschluss nicht beantwortet.
Höcke lobt Gedeons Schrift
Der thüringische AfD-Sprecher Björn Höcke hat Gedeons Schrift im Dezember 2015 auf Facebook ausdrücklich gelobt und zur Lektüre empfohlen. Höcke würdigte Gedeons Arbeit in einem ausführlichen Beitrag. So verstehe es Gedeon, laut Geschichtslehrer Höcke, „die Lage Deutschlands und Europas – auch im historischen und philosophischen Rekurs – für jeden nachvollziehbar zu entwickeln“.
Weiterhin verweise Gedeon auf die „existentielle Bedrohung der europäischen Völker und ihrer Kulturen. In der notwendigen Klarheit benennt er den Feind unserer Freiheit in Vielfalt”. Eine Anfrage von Correctiv, ob sich an seiner Einschätzung des Werkes von Gedeon inzwischen etwas geändert habe, ließ Höcke bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
AfD in Baden-Württemberg zerlegt sich wegen Gedeon
Wegen der antisemitischen Äußerungen Gedeons hat sich die baden-württembergische AfD-Fraktion am Dienstag zerlegt. Jörg Meuthen, Sprecher der Bundespartei und Vorsitzender der baden-württembergischen AfD-Faktion verließ zusammen mit zwölf weiteren Abgeordneten die Fraktion. „Wir bedauern ausdrücklich, die Trennung vollziehen zu müssen“, sagte Meuthen, aber Antisemitismus dürfe es in der Partei nicht geben.
In einer Telefonschalte des AfD-Bundesvorstands am Dienstag wurde ein Beschluss gefasst, in dem diejenigen Mitglieder der AfD-Fraktion „aufs Schärfste“ kritisiert wurden, die den Ausschluss von Wolfgang Gedeon aus der Landtagsfraktion verhindert hätten, berichtet „Spiegel Online“. „Diese Mitglieder akzeptieren den Verbleib eines Abgeordneten in der Fraktion, dessen Schriften eindeutig antisemitische Aussagen enthalten“, wie es in der Stellungnahme heißt. Antisemitismus haben keinen Platz in der AfD, heißt es weiter. Meuthen hatte in den vergangenen Wochen einen Ausschluss des umstrittenen Abgeordneten Gedeon aus der Fraktion erreichen wollen, aber die dafür nötige Zwei-Drittel-Mehrheit der Abgeordneten nicht erreicht.
Am Dienstag verkündete Gedeon überraschend seinen Rücktritt aus der Fraktion. Er wird künftig fraktionsloser Abgeordneter sein. Er wolle so eine Spaltung der Partei verhindern. Petry, die als parteiinterne Gegenspielerin Meuthens gilt, sagte, sie hoffe, dass sie den Prozess weiterhin begleiten könne. Ihr Pressebüro vermeldete kurz darauf, die Spaltung in Stuttgart sei nun abgewendet.
In seinen bisher bekannten Veröffentlichungen hatte Gedeon unter anderem geschrieben, dass die Protokolle der Weisen von Zion echt seien, außerdem verglich er Holocaust-Leugner wie Horst Mahler mit Dissidenten in China oder schrieb, dass „die talmudischen Ghetto-Juden der innere Feind des christlichen Abendlandes” seien.
Der Autor ist Redakteur des Recherchezentrums Correctiv. Die Redaktion finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Ihr Anspruch: In monatelanger Recherche Missstände aufdecken und unvoreingenommen darüber berichten. Wenn Sie Correctiv unterstützen möchten, werden Sie Fördermitglied. Informationen finden Sie unter correctiv.org
Marcus Bensmann
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