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Theresa May (l), Premierministerin von Großbritannien, sitzt neben ihrem Ehemann Philip (r) beim Parteitag der Konservativen.
© Stefan Rousseau/PA/dpa

Tory-Parteitag in Birmingham: Was für Theresa May auf dem Spiel steht

May, Johnson - Brexit: Auf dem Tory-Parteitag in Birmingham kommt es in den nächsten Tagen zum Machtkampf. Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Bis zum kommenden Mittwoch versammeln sich die britischen Konservativen in Birmingham. Vor allem die Diskussion über den Brexit könnte für Regierungschefin Theresa May gefährlich werden. Ihre Partei ist zum Thema EU-Austritt gespalten: Die Brexit-Hardliner werfen May vor, in den Verhandlungen der EU zu weit entgegengekommen zu sein und auf einen „weichen Brexit“ zuzusteuern. Die EU-Befürworter unter den Tories kritisieren, dass sie nicht in der Lage sei, einen tragfähigen Plan bei den Brexit-Verhandlungen vorzulegen.

Wo stehen die Brexit-Verhandlungen?

May hat sich vor einer Woche darüber beklagt, dass die Verhandlungen in eine „Sackgasse“ geraten seien. Tatsächlich geht derzeit nichts voran; vor allem die Frage der künftigen Grenzziehung zwischen der EU und Großbritannien ist ungelöst. Mit Fortschritten wird in London und Brüssel erst nach dem Ende des Tory-Parteitags gerechnet. Die EU erwartet von Großbritannien ein Einlenken in den Gesprächen vor dem EU-Gipfel am 18. Oktober.

Welchen Plan hat May?

Der sogenannte Chequers-Plan sieht vor, dass Großbritannien beim Austausch von Waren und Agrargütern Teil des EU-Binnenmarkt bleibt, nicht aber im Bereich von Dienstleistungen und bei der Personenfreizügigkeit. Seit May ihren Plan Anfang Juli vorgelegt hat, hagelt es Kritik von allen Seiten. Die Brexit-Hardliner machen ihr den Vorwurf, das Ergebnis des EU-Referendums von 2016 zu missachten und Großbritannien auch künftig in einem „Vasallenverhältnis“ an die EU zu binden.

Die EU wiederum kritisiert den Plan als „Rosinenpickerei“. Der Vorwurf lautet, dass sich May einzelne Elemente aus dem europäischen Binnenmarkt heraussuche, wie es ihr gerade passe. Doch damit nicht genug: Selbst im Kabinett findet der Chequers-Plan inzwischen nur noch halbherzige Unterstützung.

Obwohl May in London und in Brüssel auf Widerstand stößt, könnte ihr die Stimmung in der britischen Bevölkerung Hoffnung machen. Nach einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Meinungsumfrage vertreten 58 Prozent der Befragten die Auffassung, dass die Konservativen ihr in Birmingham den Rücken stärken sollten, um die britische Verhandlungsposition bei den Brexit-Gesprächen zu verbessern.

Wie wichtig ist der Tory-Parteitag für May?

In erster Linie geht es für die Premierministerin darum zu verhindern, dass innerparteiliche Rivalen wie Ex-Außenminister Boris Johnson oder der Hinterbänkler Jacob Rees-Mogg in Birmingham eine Revolte anzetteln. Ansonsten wird der Parteitag zeigen, wie viel Spielraum die Regierungschefin in den nächsten Wochen bei den Verhandlungen in Brüssel haben wird. Falls der Parteitag zur reinen Jubelveranstaltung für Johnson werden sollte, könnte May davor die Augen in ihrer Rede zum Abschluss des Parteitages am Mittwoch nicht verschließen.

Am Dienstagabend will Johnson unmittelbar vor Mays Auftritt eine Rede halten und testen, wie viel Rückhalt er innerhalb der Partei hat. Eine derartige Boris-Johnson-Show hat es bei den Tory-Treffen in den vergangenen Jahren schon häufiger gegeben. In seiner Rede dürfte er am Dienstag ein flammendes Plädoyer für einen harten Bruch mit der EU abliefern.

Johnson hat seinen Auftritt in Birmingham in den vergangenen Tagen bereits medial vorbereitet. In einem Gastbeitrag für den „Daily Telegraph“ forderte er, man solle den Plan von Chequers „wegschmeißen“. Der frühere Außenminister schlug vor, dass die Europäische Union und Großbritannien stattdessen künftig ein „Super-Kanada-Handelsabkommen“ abschließen sollten. Bei einer solchen Vereinbarung nach dem Vorbild des EU-Freihandelsvertrages mit Kanada würde es einen ungehinderten Warenaustausch zwischen beiden Seiten geben. Johnson schlug vor, dass auch künftig Zölle oder Mengenbeschränkungen bei den Im- und Exporten zwischen Großbritannien und der EU wegfallen müssten.

Allerdings möchte der Ex-Außenminister Großbritannien künftig nicht so eng an die EU anbinden, wie es der Chequers-Plan der Premierministerin vorsieht. So setzt sich Johnson dafür ein, dass britische Firmen künftig nicht mehr an das EU-Beihilferecht gebunden sein sollen.
Johnson hält seinen Plan unter anderem auch deshalb für genial, weil er nach seiner Auffassung eine „harte Grenze“ im Norden der irischen Insel verhindern würde. Die Europäische Union sieht das allerdings anders.

Worum geht es bei dem Irland-Problem?

May hat ihren komplizierten Chequers-Plan nicht zuletzt deshalb entworfen, um zu vermeiden, dass in der einstigen nordirischen Bürgerkriegsregion neue Barrieren zwischen dem Norden und dem Süden der irischen Insel entstehen. Daran ist allen Verhandlungspartnern gelegen, auch der EU. Unter den verbleibenden 27 EU-Staaten hat vor allem Irland die Forderung aufgestellt, dass zwischen Dublin und Belfast der Verkehr auch in Zukunft ungehindert fließen soll.

Aus diesem Grund beharrt die EU darauf, dass notfalls – je nach Ausgang der Brexit-Verhandlungen – eine Lösung greifen soll, der zufolge Nordirland faktisch im EU-Binnenmarkt bliebe. Die Zollgrenze zwischen der Europäischen Union und Großbritannien würde denn in der Irischen See verlaufen. May befürchtet allerdings, dass damit einer Zersplitterung des Vereinigten Königreichs Vorschub geleistet würde. Nach ihren Worten werde niemals ein Amtsinhaber in der Downing Street dem Notfall-Mechanismus der EU zustimmen.

Auch Johnsons „Super-Kanada“-Plan trägt nicht zur Lösung des Irland-Problems bei. Der Tory-Rebell ist zwar der Auffassung, dass sich Zollkontrollen mit modernen technischen Methoden abseits der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland überflüssig machen lassen. Die EU will sich hingegen Kontrollen in jedem Fall vorbehalten, falls es zu einem Freihandelsabkommen käme. Damit will die Gemeinschaft beispielsweise sicherstellen, dass über Großbritannien künftig nicht illegal Chlorhühnchen aus den USA in die Europäische Union eingeführt werden.

Was will die Labour-Partei?

Die von Jeremy Corbyn geführte Oppositionspartei hat in der vergangenen Woche ihr jährliches Treffen in Liverpool abgehalten. Dabei forderte Corbyn, dass das künftige Wirtschaftsverhältnis zwischen den verbleibenden 27 EU-Staaten und Großbritannien dieselbe Qualität besitzen müsse wie die derzeitige Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt.

Da die Forderung als kaum erfüllbar gilt, sehen Beobachter darin einen Trick, damit Labour bei der Abstimmung im Unterhaus am Ende des Jahres einem Austrittsabkommen die Zustimmung verweigern kann. Corbyns Strategie zielt vor allem darauf ab, May zu Neuwahlen zwingen.

In Brüssel kommen seine politischen Winkelzüge allerdings schlecht an. In der vergangenen Woche traf sich Corbyn mit EU-Chefverhandler Michel Barnier und dem einflussreichen Generalsekretär der EU-Kommission, Martin Selmayr. Barnier machte dem Labour-Chef klar, dass er mit seiner Haltung das Risiko eines „No-Deal-Brexit“ vergrößere, also einem ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union.

Wie wahrscheinlich ist ein zweites Referendum?

Derzeit ist dies eher unwahrscheinlich. Etliche Labour-Aktivisten machen sich zwar für eine Wiederholung der EU-Abstimmung vom Juni 2016 stark. Allerdings steht Parteichef Corbyn dem skeptisch gegenüber. Ganz ausschließen lässt es sich aber nicht, dass die Briten noch den Rückwärtsgang einlegen. Je näher der Brexit rückt und je größer die wirtschaftliche Ungewissheit wird, umso lauter werden auch die Forderungen nach einer Wiederholung der EU-Abstimmung. So erklärte in der vergangenen Woche die konservative Ex-Innenministerin Amber Rudd, dass ein zweites Referendum abgehalten werden müsse, falls sich am Ende des Jahres ein ungeordneter Austritt aus der EU anbahne.

Wie positioniert sich die EU?

Im Großen und Ganzen tritt die EU in den Verhandlungen weiter geschlossen auf. Ganz reibungslos verläuft allerdings auch die Abstimmung unter den EU-Partnern nicht: Beim EU-Gipfel von Salzburg vor über einer Woche hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch dafür eingesetzt, May nicht allzu sehr zu brüskieren.

EU-Ratschef Donald Tusk und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollten hingegen eine Sprachregelung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen lässt. Der Chequers-Plan „wird nicht funktionieren“, sagte EU-Ratschef Tusk denn auch am Ende des Gipfels.

Auch wenn Macron für einen härteren Verhandlungsstil als Merkel plädiert, war im Grundsatz bereits vor dem EU-Gipfel sowohl in Berlin als auch in Paris klar gewesen, dass in Salzburg kein Durchbruch zu erwarten war. Dabei ist auch Verhandlungstaktik im Spiel: Um den Druck zu erhöhen, dürften in den kommenden Wochen sowohl die EU als auch die britische Seite beteuern, dass man auf einen „No-Deal-Brexit“ sehr wohl vorbereitet sei.

Wie lange wird das Tauziehen zwischen der EU und London noch dauern?

Das politische Gezerre um den EU-Ausstieg könnte maximal noch bis Jahresende weitergehen. Zwar will die EU von den britischen Verhandlern bis zum nächsten Gipfel am 18. Oktober Fortschritte sehen. Dennoch wird schon darüber spekuliert, dass erst ein Spitzentreffen im November den Durchbruch bringt. Selbst eine späte Einigung beim EU-Gipfel am 13. und 14. Dezember wird nicht völlig ausgeschlossen.

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