Gründer der Ukip-Partei: Alan Sked, der Erfinder des Brexit
Keiner in der Geschichte der britischen Politik hat mit so wenig angefangen und so viel bewirkt wie er. Sagt Alan Sked über sich selbst. Der Historiker hat den Brexit erfunden.
Die Papierstapel auf dem Teppich müsse man ihm verzeihen, sagt Alan Sked. Er sei gerade dabei, ein Buch aus dem Ungarischen zu übersetzen, und das mache er am liebsten auf dem Fußboden liegend.
Sked ist 70 Jahre alt, Historiker und emeritierter Professor der London School of Economics, einer auf Sozial- und Wirtschaftswissenschaften spezialisierten Universität, die zu den weltweit angesehensten zählt. Er hat weiße Haare und ein rotes Gesicht, er bewegt sich langsam und atmet schwer. Sein Verstand ist messerscharf, das ungarische Buch übersetzt er, um sein Gehirn zu trainieren. Das Gehirn, das für Großbritanniens Ausstieg aus der Europäischen Union verantwortlich ist. Alan Sked hat den Brexit erfunden.
„Ein Freund von mir formuliert es so“, sagt er. „Ohne Alan Sked gäbe es keine Ukip. Ohne die Ukip gäbe es kein Referendum. Ohne das Referendum gäbe es keinen Brexit.“ Er sei die einzige Person in der Geschichte der britischen Politik, die mit so wenig angefangen und so viel bewirkt habe. „Ich habe die tektonischen Platten ein Stück weit verschoben“, sagt er und grinst.
Sked gründete die Ukip, die EU-skeptische UK Independence Party, die bei der Europawahl 2014 die stärkste politische Kraft Großbritanniens wurde und spätestens damit maßgeblich dazu beitrug, dass die Regierung zwei Jahre später eine Volksabstimmung über den Verbleib des Landes in der EU abhalten ließ.
Und während Premierministerin Theresa May in diesen Wochen die Zeit davonzulaufen beginnt und sie ihre Parteikollegen am vorvergangenen Mittwoch in einem Brief darüber informierte, dass „unsere Verhandlungen über eine zukünftige Beziehung“ zur Europäischen Union „in eine Sackgasse geraten“ sind, genießt Sked im Nordlondoner Stadtteil Islington seine Rente in einer etwas verstaubten Zwei-Zimmer-Wohnung voller Bücherberge und Papierhaufen. Schon im Flur stapelt sich auf einem Tisch historische und politische Fachliteratur, vor allem über die Habsburger, Skeds Spezialgebiet.
Lieber kein Deal als ein schlechter Deal
Mays zerstrittenes Kabinett hat sich erst vor einem Monat darauf einigen können, welche Art von Brexitvorstellungen es an die EU herantragen wolle. Sie klingen unerwartet „weich“, die Regierung will Europas Strukturen – mal mehr, mal aber auch gar nicht – verbunden bleiben. Unter anderem solle Großbritannien auch weiterhin in einer Art europäischem Binnenmarkt Handel treiben dürfen. Sollte es allerdings zu keiner Einigung mit der EU bis Ende November kommen, wird es wohl auf einen Austritt ohne Abkommen hinauslaufen.
Das wäre ganz im Sinne Alan Skeds. Sein neuestes Projekt ist die „Clean Brexit Party“. Ihr Motto: „No Deal is better than a Bad Deal“. Die zentrale These: „Wir müssen einen No-Deal-Plan auflegen, der glaubhaft und zerstörerisch genug für die EU ist, so dass sie erkennt, mit uns zusammenarbeiten zu müssen.“ Was klingt wie ein Widerspruch, ist Erpressung. Einen harten Brexit vortäuschen, um den weichestmöglichen zu bekommen.
Es ist auch kein Widerspruch, dass Sked stolz ist auf sein folgenreichstes Werk, die Ukip, und gleichzeitig Abscheu gegenüber der Partei empfindet, die er einst gründete.
Stolz, weil er immer noch überzeugter Brexit-Befürworter ist. Abscheu, weil er sich als Liberaler versteht, „im wirtschaftlichen sowie im sozialen Sinne“. Und die Ukip unter ihrem späteren Parteivorsitzenden Nigel Farage immer weiter nach rechts rückte. Sked hat immer wieder vor der Ukip gewarnt, die Partei in Zeitungsartikeln und bei Fernsehauftritten als gefährlich nationalistisch charakterisiert. Stoppen konnte er ihren Erfolg nicht. Den Ausgang des Brexit-Referendums bejubelte Sked schließlich am 23. Juni 2016 nicht als gefeierter Gründer der Bewegung, sondern als einsamer, weitgehend unbekannter Akademiker.
Als Sked 1993 die Ukip gründete, hatte er mehr als ein Jahrzehnt lang das Europastudienprogramm der London School of Economics geleitet. Regelmäßig gab es Besuche von Politikern und Bürokraten aus Brüssel. Sked erzählte früher einmal die Geschichte von einem Vertreter der EU-Kommission, der in einem Vortrag erklärte, warum die Verantwortlichen in Brüssel besser wüssten als die in Dublin, wo in Irland Straßen gebaut werden müssten und wo nicht. „Alle Straßen führen nach Brüssel“, habe der Mann gesagt. Spätestens da, sagt Sked, sei er zum EU-Skeptiker geworden.
1997 tritt er nach einem Streit mit Nigel Farage als Parteichef zurück und aus der Partei aus. Unter dem „dummen Rassisten“ Farage, sagt Sked, sei seine liberal-europaskeptische Ukip zu einer „eindeutig rechtsradikalen“ Partei geworden.
Der Rechtstrend von Ukip entspricht der Entwicklung in anderen freiheitlichen Parteien in Europa. Überraschend ist es also nicht.
schreibt NutzerIn morgensum5
Die Erzählung dürfte in Deutschland vielen bekannt vorkommen. Ein Akademiker, der sich als Wirtschaftsliberaler versteht und sich gegen die immer engere europäische Integration positioniert, gründet eine Partei, die später – und sehr schnell – von Rechtspopulisten übernommen wird. Sked beschrieb Ukip einst als „Frankensteins Monster“, fast wortgleich hat sich Hans-Olaf Henkel über die AfD geäußert, die er einst mitbegründete. Als die AfD noch jung war, erzählt Sked, wurde er von der Partei sogar einmal eingeladen, um über die Gefahr der Unterwanderung durch Rechtsradikale zu sprechen. Der Termin sei aber nie zustande gekommen.
Beim ersten Treffen fand er Farage "nett und sympathisch" - ein Fehler
In seinem Arbeitszimmer kramt er in einem Papierstapel, „Irgendwo hier muss noch eines liegen“, sagt er. Später wird er innerhalb von Sekunden ein gerade erschienenes Buch über die deutsche Geschichte aus dem Regal fischen – aber das, wonach er jetzt sucht, bleibt im Chaos verschwunden, irgendwo zwischen all den von Kaffeeflecken übersäten Blättern. Was er sucht, ist das ursprüngliche Antragsformular zur Ukip-Mitgliedschaft.
„Darauf gab es eine Einverständniserklärung, dass die Partei nichts gegen Ausländer oder Minderheiten hatte“, sagt Sked.
Anfang der 90er Jahre lernt Alan Sked Nigel Farage kennen. „Nett und sympathisch“ habe dieser auf ihn gewirkt, als er ihn nach einer Veranstaltung der „Anti Federalist League“ ansprach, einer von Sked gegründeten Vorgänger-Organisation der Ukip.
Sked forderte Farage auf, der Bewegung beizutreten – erst später merkte er, wen er da zu sich geholt hatte. Farage war laut Sked „fast immer betrunken“. Einmal habe Farage Sked und andere Parteikollegen in einen Klub eingeladen. „Der sogenannte Klub erwies sich eher als eine Art Bordell“, sagt Sked. Am Ende des Abends, so erzählt er es, habe Farage nahezu bewusstlos auf einer nur mit einem Tanga bekleideten 40-jährigen Frau gelegen. Belegen kann Sked diese Episode nicht. Er erinnert sich auch nicht, welche Ukip-Kollegen damals dabei waren, „außerdem habe ich zu denen ja sowieso keinen Kontakt mehr“.
Sked gibt sich keine Mühe, seine Verachtung für Farage zu verbergen. Der Professor, der neben Englisch auch Ungarisch, Deutsch und Französisch spricht, findet es schrecklich, dass Farage und andere Europa-Abgeordnete der Ukip nur Englisch können, und das nicht einmal fehlerfrei.
Der letztlich entscheidende Streit zwischen den beiden entzündete sich an Farages Vorstoß, ehemalige Mitglieder der neofaschistischen National Front als Ukip-Kandidaten aufstellen zu wollen. Einmal, so erzählt es Sked, habe Farage ihm geraten, sich nicht so sehr um die „Neger“ zu kümmern, die würden sowieso nicht Ukip wählen. Farage bestreitet diese Anekdote. „Wahrscheinlich nur, weil er damals zu betrunken war, um sich später daran zu erinnern“, sagt Sked.
Wenn er von den Anfängen der Ukip erzählt, beschreibt sich Alan Sked als trotzigen Außenseiter. Er habe keinerlei Finanzierung oder Hilfe aus dem Establishment gehabt. In der Politik sei er auf Ablehnung, in der Wissenschaft auf Ausgrenzung gestoßen. Seine überwiegend pro-europäischen Universitätskollegen hätten ihn „wie einen Krebskranken“ behandelt, sagt er, „sie dachten alle, dass ich ein politischer Verrückter war“. Noch Jahre später, als er kurz nach dem Brexit-Votum auf eine Party in seiner alten Universität ging, sei er von einem Professorenkollegen angeschrien worden. „Verpiss dich“, habe der gerufen, „du hast das doch alles angefangen!“
Sked kichert fröhlich, als er das erzählt. Kaum etwas scheint ihm mehr zu gefallen, als das schwarze Schaf zu sein.
Heute interessieren sich in Großbritannien nur noch wenige Menschen dafür, was Alan Sked zu glauben scheint und sagt. Wenn er im Fernsehen auftritt, dann tut er das nicht bei der BBC, sondern oft beim russischen Propagandasender Russia Today. Wie Ende Juli, als er ins Studio zugeschaltet wird, um über die Brexit-Verhandlungen zu sprechen. „Theresa May ist entschlossen, uns in der EU zu halten“, behauptet Sked mit fester Stimme. Am Verhandlungstisch werde May alles aufgeben, viel zu viele Zugeständnisse machen und Großbritannien weiter an die EU binden, „wir müssen sie loswerden“. Am Ende seines dreiminütigen Auftritts plädiert Sked wieder für einen harten Schnitt, notfalls müsse man sich einfach umdrehen und gehen.
Während die meisten Leute in Großbritannien das Thema Brexit nur noch leid sind, verhärten sich unter den immer noch Engagierten die Fronten. Es gibt welche, die sich wie Sked einen harten Brexit wünschen, und jene, die den „weichen“ Brexit mit Verbleib im Binnenmarkt und in der Zollunion verlangen.
Und dann gibt es eine offenbar wachsende Zahl von Briten, die ein zweites Referendum für sinnvoll halten. Einer Ende Juli publizierten Umfrage des Fernsehsenders Sky News zufolge sind 50 Prozent der Befragten dafür, in einem Volksentscheid darüber abzustimmen, ob der von der Regierung ausgehandelte EU-Ausstiegsplan oder die Option „No Deal“ umgesetzt werden solle – oder ob Großbritannien in der EU bleibt.
Kommt ein zweites Referendum?
Am Wochenende wurde bekannt, dass die von Parlamentariern gegründete Kampagnengruppe People’s Vote, die einem solchen, zweiten Referendum den Boden zu bereiten sucht, eine Million Pfund vom Multimillionär Julian Dunkerton bekommt. Der Mitgründer der Modefirma Superdry begründet das auf dem People’s-Vote-Twitterkanal. „Wir leben in einer sehr, sehr aufregenden Zeit für unser Land“, sagt Dunkerton. „Wir könnten eines der großartigsten Länder der Welt sein – oder auch nicht. Es geht um diese Wahl. Und es ist noch nicht zu spät.“
Um die Großartigkeit seines Landes geht es auch Alan Sked. Um die Einzigartigkeit. Der Erfolg rechtspopulistischer, EU-kritischer Parteien auf dem Kontinent zeige doch, wie illiberal Europa ist. „Großbritannien ist das einzige europäische Land, in dem keine Extremisten im Parlament sitzen“, sagt er. In Deutschland dagegen hätten 40 Prozent der Wähler für Extremisten gestimmt, schätzt Sked großzügig. Er meint die AfD, die Linke und die Grünen. Ob er sich selbst auch für einen Extremisten halte? „Ich will einfach in einer normalen parlamentarischen Demokratie leben“, sagt Sked, „und nicht von ausländischen Bürokraten regiert werden. Was soll daran extrem sein?“
In den Jahren vor dem Brexit-Votum hatte Sked sich aus der Politik und überhaupt aus der Arbeit zurückgezogen. Dabei hatte er gerade erst eine Partei namens „New Deal“ gegründet, mit der er sich für liberale Werte und direkte Demokratie einsetzen wollte. Dann wurde er schwer krank, auch seiner Mutter ging es gesundheitlich immer schlechter. Er kümmerte sich um sie, jahrelang wohnte er auf einer abgelegenen schottischen Insel. Zu dieser Zeit starb Skeds Zwillingsbruder an einem Schlaganfall. Auch seine Mutter lebt mittlerweile nicht mehr. „Ich war sechs Monate lang traumatisiert“, sagt Sked, die New-Deal-Partei stellte nie auch nur einen einzigen Kandidaten bei einer Wahl auf.
Im Juni 2016 kam Sked für kurze Zeit zurück nach London, um beim Brexit-Referendum seine Stimme abzugeben. An dem Abend selbst ging er zur Wahlparty seiner Hochschule. Irgendwann musste er weg, um Interviews zu geben. Eines im BBC-Radio, eines für Russia Today. Als er zurückkam, war klar, dass die Brexit-Befürworter gewinnen würden. Die Party war beendet, die Ersten weinten.
Vier Kilometer entfernt ließ sich Nigel Farage vor laufenden Fernsehkameras feiern. Auf Alan Sked, der mehr als zwei Jahrzehnte zuvor das Ganze ins Rollen gebracht hat, schaute nun kein Mensch. Der Mann, der den Brexit erfunden hat, stieg in ein Taxi und fuhr allein nach Hause.