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Friedensnobelpreisträgerinnen: Was Frauen bewegen

"Alle Preise gehören den Menschen, auf deren Schultern jemand sitzt", sagt Ellen Johnson-Sirleaf, Liberias Präsidentin und eine der drei neuen Friedensnobelpreisträgerinnen.

Alles ist vorbereitet. Ein Zelt schützt die hohen Gäste vor der brennenden Sonne. Auf dem staubigen Platz in Liberias zweitgrößter Stadt Buchanan stehen goldfarben eingefasste Sessel für die Honoratioren bereit. Weniger kommod haben es die zukünftigen Schüler des an diesem Tag einzuweihenden College, die zu hunderten mit Familien und Freunden um das Zelt bei 40 Grad im Schatten herumstehen und auf den Star der Eröffnungszeremonie warten.

Der Star ist eine Frau. Afrikas erste Frau in einem Präsidentenamt. Ellen Johnson-Sirleaf trägt einen dunkelblauen Jeansanzug und ein rotes Sweatshirt. Für die 72-Jährige ist die Einweihung eines Colleges, wie an diesem Herbsttag 2010, kein ungewöhnlicher Termin. In Liberia wird oft und überall eingeweiht, eröffnet, oder es werden Grundsteine gelegt. Denn von den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen war nach 14 Jahren Bürgerkrieg nicht mehr viel übrig. 250 000 Tote, eine Million auf der Flucht, mehr als die Hälfte aller Frauen und Mädchen vergewaltigt, die Infrastruktur zerstört. Liberia hat die Hölle erlebt. Und seine 3,5 Millionen Einwohner auch. Seit 2003 herrscht Frieden, Johnson-Sirleaf regiert seit 2005.

„Unsere Priorität ist es, Arbeitsplätze zu schaffen, um den zwei Millionen Arbeitslosen eine Chance zu geben“, erklärt sie der jubelnden Masse in Buchanan. „Und wir werden so lange arbeiten, bis alle Kinder Zugang zu Bildung haben.“ Es ist ein Heimspiel für Johnson-Sirleaf, die weiß, dass Liberia ohne die Zuwendungen aus dem Ausland, allen voran die USA, kaum eine Chance hätte. Aber sie braucht auch die eigene Bevölkerung. „Baut euer Land auf“, ruft sie den Menschen zu. Und es scheint, als wollten die auf ihre Präsidentin hören.

Inzwischen hilft fast die ganze Welt dem kleinen Land an der afrikanischen Atlantikküste – und an diesem Freitag schaut die ganze, als zwei Friedensnobelpreise dorthin vergeben werden. Einer davon an Johnson-Sirleaf, die mal liebevoll „Ma Ellen“ oder auch kritischer „Eiserne Lady“ genannt wird. Sie hat ein funktionierendes Liberia zum eigenen Lebensziel gemacht. Die Vereinten Nationen haben noch 8000 Blauhelme im Land, ungezählte staatliche und nichtstaatliche Organisationen helfen den Menschen, ihr Land wieder aufzubauen, ihre Würde wiederzufinden. US-amerikanische Unternehmen haben die Potenziale des Landes ebenso erkannt wie chinesische. Denn Liberia ist reich an Bodenschätzen, Holz und Kautschuk. Geld verdienen und Entwicklungshilfe widersprechen sich nicht. Die Staaten der Welt haben dem Land fünf Milliarden US-Dollar Auslandsschulden erlassen, Deutschland allein verzichtet auf 400 Millionen. Dafür hat die Eiserne Lady lange gekämpft.

In ihrer Heimat ist die Politikerin Johnson-Sirleaf in Liberia keineswegs unumstritten. Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

Johnson-Sirleaf wurde in Liberias Hauptstadt Monrovia geboren, studierte an der US-Eliteuniversität Harvard Ökonomie, war Afrika-Direktorin des UN- Entwicklungsprogramms, Vize-Präsidentin einer Bank und hatte verschiedene Ämter in mehreren liberianischen Regierungen inne. Aber ihr Lebenslauf ist alles andere als frei von Brüchen und Widersprüchen. Als sie sich in den 70er Jahren mit Militärherrscher Samuel K. Doe zerstritt, für ein halbes Jahr ins Gefängnis und dann ins Exil musste, entwickelte sie Sympathien für den Despoten und Kriegsherren Charles Taylor, der gegen Does Diktatur kämpfte und demnächst vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag sein Urteil gesprochen bekommt. „Das war die größte Verwirrung meines Lebens“, sagte Johnson-Sirleaf gerade der „Zeit“. Die von ihr selbst eingesetzte Versöhnungskommission, die die Gräuel des 14 Jahre dauernden Bürgerkriegs aufarbeiten sollte, empfahl, sie für 30 Jahre von allen Staatsämtern auszuschließen. Aber der neue Präsident wird am kommenden Dienstag gewählt. Als Favoritin gilt Ellen Johnson-Sirleaf.

Allerdings hat sie die Wahl noch nicht gewonnen, was sie gleich in einer Rede an Liberia kundtat, nachdem sie erfahren hatte, dass sie den Friedensnobelpreis bekommt. Zwar sagte sie: „Alle Preise gehören den Menschen, auf deren Schultern jemand sitzt.“ Doch dann folgte eine lupenreine Wahlkampfrede, die davon handelte, dass dank ihrer Präsidentschaft eine „neue Basis für Liberia“ gefunden sei und dass „die Welt Liberia wiederentdeckt hat“. Und genau deshalb hat ihr Hauptkonkurrent, der 70-jährige Winston Tubman, der gemeinsam mit dem beliebten Ex-Profi-Fußballer George Weah gegen sie antritt, den Preis gleich mit den Worten „inakzeptabel“ und „unverdient“ kommentiert. Die liberianischen Zeitungen haben den Preis bis zum späten Nachmittag noch nicht einmal gemeldet. Das Land ist so im Wahlkampffieber, dass für Friedensnobelpreise, selbst wenn es zwei für Liberia sind, kein übergroßes Interesse zu bestehen scheint.

Tatsächlich ist Johnson-Sirleaf in Liberia keineswegs unumstritten. Ihr wird nicht nur angekreidet, dass sie die Empfehlungen ihrer Wahrheitskommission, die den Bürgerkrieg aufarbeitet, ignoriert hat. Sie hatte auch versprochen, lediglich eine Amtszeit regieren zu wollen. In der liberianischen Tageszeitung „The Analyst“ wird ihr Wiederantreten als „klarer Bruch des Vertrags“ bewertet. Außerdem wird ihr vorgeworfen, die Korruption allenfalls verbal zu bekämpfen. Sie habe „Teilhabe“ in der Weise interpretiert, dass sie Familienmitglieder und gute Freunde auf Schlüsselpositionen gebracht habe, schreibt die Zeitung. Und das passt nicht zu dem Bild, das der Westen und vor allem die USA von Johnson-Sirleaf haben. Dort gilt sie als „Wunderwaffe gegen die Probleme Liberias“.

Vielen der 1,7 Millionen registrierten Wähler erscheint die Präsidentin lediglich als „kleineres Übel“. Denn Tubman, ein Neffe eines früheren Präsidenten, hat in den vergangenen sechs Jahren immerhin drei verschiedene Parteien geführt. Sein Bündnis mit Weah gilt als brüchig. Und Charles Brumskine, der 2005 als Dritter ins Ziel kam, verspricht allen Alten in Liberia eine Rente. Dabei hat der Staat noch immer kaum Einnahmen.

Auch aus Deutschland kam Kritik an der Preisvergabe. Barbara Unmüßig, Geschäftsführerin der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, nennt „sehr problematisch“, einer Kandidatin vier Tage vor einer Präsidentenwahl diesen Preis zu verleihen. „Die Botschaft für mutige Frauen wäre viel besser gewesen, wenn der Preis nur an Leymah Roberta Gbowee und die Jemenitin Tawakkol Karman gegangen wäre“, sagt sie.

Lesen Sie mehr über die beiden anderen Preisträgerinnen. Weiter auf Seite 3.

Leymah Gbowee, 39, die zweite Preisträgerin aus Liberia. Mit ihr freuen sich viele Liberianer, obwohl sie nicht mehr in ihrer Heimat lebt, sondern in Ghana eine Frauenfriedensorganisation führt. Gbowee erreichte die Nachricht aus Oslo auf einer Lesereise in den USA, wo sie gerade ihre Autobiografie mit dem Titel „Machtvoll sei unsere Kraft“ vorstellt. Seit 2008 ist sie in der englischsprachigen Welt sehr bekannt, weil der Dokumentarfilm „Bete den Teufel zurück in die Hölle“ über ihr Leben auf vielen Filmfestivals und seither auch im Fernsehen gezeigt wurde. Leymah Gbowee hat in Monrovia als sehr junge Frau versucht, traumatisierten Kindern und Jugendlichen zu helfen. 2002 gründete sie die Bewegung „Frauen Liberias – Massenaktion für den Frieden“. Die Frauen protestierten in weißer Kleidung, häufig mit Sitzstreiks und auch mit einem Sex-Streik gegen den Bürgerkrieg. Damit hat Leymah Gbowee entscheidend zum Ende des Bürgerkriegs beigetragen. Die Protestbewegung war so angewachsen, dass Charles Taylor sich mit ihr traf und Gbowee Friedensverhandlungen zusagte. Dass Ellen Johnson-Sirleaf 2005 im zweiten Wahlgang Präsidentin wurde, dürfte sie teilweise auch Leymah Gbowee verdanken, die sich im damaligen Wahlkampf für sie eingesetzt hatte.

Und die beiden Frauen aus Liberia waren, als pünktlich um elf Uhr vormittags das Nobelpreiskomitee in Oslo die Preisträger 2011 verkündete, nicht die einzigen, die sich freuten. Es gab noch eine dritte Ausgezeichnete: Tawakkol Karman, 32, aus Jemen. Sie ist die erste arabische Frau, die überhaupt je diese Auszeichnung erhielt.

Tawakkol Karman ist studierte Politikwissenschaftlerin, Mitglied der Islah-Partei, des jemenitischen Zweigs der Muslimbruderschaft, Gründerin der Organisation „Journalistinnen ohne Ketten“ – und Opfer von Obrigkeitswillkür. Doch als sie am 23. Januar verhaftet wurde, kam es im ganzen Land zu Demonstrationen, und das Saleh-Regime ließ sie nach 36 Stunden wieder laufen. Diese Verhaftung aber war für den Jugendaufstand gegen das Regime die Initialzündung.

Und so kämpft Tawakkol Karman seit acht Monaten mit Tausenden Landsleuten für den Sturz von Präsident Ali Abdullah Saleh, der das Land seit 33 Jahren beherrscht. Sie wurde dabei zur wichtigsten Stimme der Bewegung, die eine Zeltstadt inmitten der Hauptstadt Sanaa errichtet hat. Und dort erklärte sich Tawakkol Karman am Freitag auch. „Ich widme den Preis dem arabischen Frühling“, sagte sie. Denn der Nobelpreis sei ein Sieg für die jemenitische Revolution und deren friedlichen Charakter. Aber die sei noch nicht zu Ende. „Wir werden nicht weichen, bis alle Ziele der Revolution erreicht sind“, bekräftigt Tawakkol Karman immer wieder. Das heißt: Der Sturz des gesamten Regimes, die Bildung eines repräsentativen nationalen Übergangsrates aus unbelasteten Persönlichkeiten sowie ein Strafprozess gegen Präsident Saleh.

Das sind die Ziele. Nah liegen sie nicht.

Auch Tawakkol Karman übrigens wird wegen ihres Durchhaltevermögens „die Eiserne“ genannt.

Mitarbeit Martin Gehlen, Kairo

Dagmar Dehmer, Lutz Haverkamp

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