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Ellen Johnson-Sirleaf ist Präsidentin von Liberia und wurde mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
© dpa

Friedensnobelpreisträgerin: Ellen Johnson-Sirleaf: Ehrlich, hart, mütterlich

Ellen Johnson-Sirleaf ist das erste weibliche Staatsoberhaupt Afrikas. Nach 14 Jahren Bürgerkrieg trat sie in Liberia einen der schwersten Jobs des Kontinents an. Am Dienstag stellt sie sich wieder zur Wahl.

Um die berühmteste Frau Afrikas zu treffen, muss man vier Sicherheitsbarrieren überwinden. Soldatinnen bewachen mit einem Schützenpanzer den Amtssitz, dahinter zwei elektronische Schleusen, schließlich tippt ein Muskelprotz den Geheimcode ein, der das Spezialschloss zu ihrem Dienstzimmer in der sechsten Etage öffnet. Da sitzt sie an einem wuchtigen Schreibtisch aus Tropenholz und begrüßt den Besucher mit einem umwerfenden Lächeln: Ellen Johnson-Sirleaf, die Präsidentin Liberias.

Der Ruhm der Präsidentin reicht weit über ihre kleine Republik hinaus. Sie ist die erste Frau, die in einem afrikanischen Land zum Staatsoberhaupt gewählt wurde, und seit sie die 158-jährige Männerherrschaft in Liberia gebrochen hat, wird sie auf dem ganzen Kontinent als Hoffnungsträgerin gefeiert. Ihre glühendsten Verehrer vergleichen sie mit Nelson Mandela, aber auch nüchterne Beobachter räumen ein, dass Johnson-Sirleaf etwas Unmögliches gelungen ist: Sie hat ein zerstörtes Land wiederaufgerichtet und den Liberianern Zuversicht und Selbstachtung geschenkt.

Eine Leistung, die ihr nicht viele zugetraut hatten, als sie im Januar 2006 einen der schwierigsten Jobs antrat, den Afrika zu vergeben hat. 14 Jahre Bürgerkrieg, 200.000 Tote, ein Drittel der 3,5 Millionen Einwohner entwurzelt, Zehntausende von ehemaligen Rebellen und Soldaten. Die Wirtschaft ruiniert, 90 Prozent Arbeitslosigkeit. Keine funktionierende Verwaltung, kein Rechtswesen, eine zerstörte Infrastruktur. Liberia könne nicht wiederaufgebaut, sondern müsse neu erfunden werden, befand der britische Historiker Stephen Ellis.

Ellen Johnson-Sirleaf übernahm ein Staatswrack – als einsame Kämpferin, die nicht einmal eine Mehrheit im Parlament hatte, umgeben von korrupten, inkompetenten Politmachos. Heute wird sie selbst von ihren Widersachern respektiert, das Volk nennt sie liebevoll »Ma Ellen«, und niemand zweifelt daran, dass die Mutter der Nation am Dienstag kommender Woche wieder zur Präsidentin gewählt wird. Ihre 15 Konkurrenten um das höchste Staatsamt wirken schwach, sind ewige Verlierer oder haben wie der einstige Kriegsfürst Prince Johnson einen üblen Ruf.

Seit sie einer Vergewaltigung entging, weiß sie, was Angst bedeutet

Ein anderer Spitzname von Johnson-Sirleaf ist »Eiserne Lady«. Dabei wirkt sie, wenn man ihr gegenübersitzt, ganz anders: mollige Gesichtszüge, weiche Stimme mit amerikanischem Akzent, eine zierliche Gestalt, der nur das weite, knallbunte Batikgewand Fülle verleiht. Fast 73 Jahre ist sie jetzt alt, aber sie sieht viel jünger aus. Johnson-Sirleaf stammt nicht aus der kreolischen Führungsschicht des Landes, die sich aus den Nachfahren freigelassener amerikanischer Sklaven zusammensetzt, die Liberia 1847 gründeten. Sie musste sich hocharbeiten, studierte in Harvard und legte danach eine kometenhafte Karriere hin: Bankdirektorin, Führungsposten bei der Weltbank, Leiterin der UN-Entwicklungsorganisation für Afrika.

1979 kehrt sie in ihre Heimat zurück, als stellvertretende Finanzministerin. Nach dem Staatsstreich im Jahr darauf leitet sie auf Wunsch des Putschisten Samuel Doe die liberianische Entwicklungsbank – und schweigt, als er sechs ihrer früheren Kabinettskollegen hinrichten lässt. Später prangert sie Korruption und Habgier des Regimes an, wird ins Gefängnis geworfen, entkommt nur mit viel Glück einer Vergewaltigung. »Seither weiß ich, was Angst bedeutet«, sagt sie. Im Exil in den USA verkündet sie ihr Lebensziel: »Ich will gute Regierungsführung nach Liberia bringen, ehe ich sterbe.«

Ist ein Land, das eine derartige Schreckensgeschichte hinter sich hat, überhaupt regierbar? »Natürlich ist es das, ich habe es doch bewiesen«, sagt Johnson-Sirleaf. »Die Demokratie ist gefestigt, die staatlichen Institutionen funktionieren wieder, die Wirtschaft wächst, die Sicherheitslage hat sich verbessert.« Die Demokratie steht zwar noch auf ziemlich wackligen Beinen, und in vielen Ämtern und Behörden herrscht heilloses Chaos, aber gemessen an afrikanischen Verhältnissen, kann sich Johnson-Sirleafs Zwischenbilanz sehen lassen.

Sie erwirkte den Erlass von fast fünf Milliarden Dollar Auslandsschulden, richtete eine nationale Versöhnungskommission ein, um die Wunden der Vergangenheit zu heilen, und schob ein Gesetz zum kostenlosen Pflichtschulbesuch an. Mithilfe der Friedenstruppe der Vereinten Nationen ließ sie über 100000 Exkämpfer entwaffnen und reintegrieren.

"Liberia war ein gescheiterter Staat. Jetzt sind wir ein erfolgreiches Land." Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf ist eine der Gewinnerinnen des diesjährigen Friedensnobelpreises.
Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf ist eine der Gewinnerinnen des diesjährigen Friedensnobelpreises.
© AFP

In einem Nebensatz räumt die Staatschefin ein, dass ihre Erfolge ohne den massiven Beistand der Weltgemeinschaft nicht möglich gewesen wären. Westliche Staaten, allen voran die USA, unterstützen ihre Regierung mit großzügiger finanzieller und technischer Hilfe, 8000 Blauhelme der Vereinten Nationen sichern den fragilen Frieden. Liberia sei ein wichtiger Test für den Wiederaufbau eines afrikanischen Nachkriegslandes, verkünden die Geber. Scheitert die Mission, wäre das ein Rückschlag für den ganzen Kontinent.

Befragt nach den schwersten Versäumnissen in ihrer ersten Amtszeit, lässt sich Johnson-Sirleaf mit der Antwort Zeit. Von Versäumnissen, sagt sie, wolle sie nicht reden, sondern von Unzulänglichkeiten. »Meine größte Sorge sind die arbeitslosen jungen Männer, ehemalige Kindersoldaten und Rebellen, die für sich keine Zukunft sehen.« Die Exkrieger bilden ein gefährliches Gewaltpotenzial, viele bewundern nach wie vor den gestürzten Präsidenten und Warlord Charles Taylor, der vom Weltstrafgericht in Den Haag wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen angeklagt wurde. Dem Tag, an dem das Urteil verkündet wird, sieht Johnson-Sirleaf mit großem Unbehagen entgegen: »Sollte Taylor nach Liberia zurückkehren, könnte er viel Schaden anrichten.«

Während ihrer Zeit im Exil in den USA hatte Johnson-Sirleaf für Taylors Feldzug gegen den Diktator Doe Spenden gesammelt, »das war die größte Verirrung meines Lebens«. Die Versöhnungskommission empfahl, die Präsidentin für 30 Jahre von allen Staatsämtern auszuschließen. In ihren Augen kam das einer Majestätsbeleidigung gleich. Hart war das Urteil allemal, denn der anfangs noch unbescholtene Befreiungskämpfer Taylor wurde seinerzeit von allen Demokraten hofiert.

Fest steht, dass Johnson-Sirleaf nicht die unfehlbare, volksnahe Heilige ist, für die sie ihre Fans halten. Aber gerade ihr starkes Ego und der Glaube an ihre Vision von einem aufblühenden Liberia verleihen ihr eine unerschütterliche Gelassenheit. Nur einmal während unseres Gesprächs reagiert sie unwirsch und weist das Urteil skeptischer Beobachter, die Liberia nach wie vor für einen gescheiterten Staat halten, zurück. »Ich widerspreche ganz entschieden«, ruft sie, es klingt wie eine Beschwörung: »Liberia war ein gescheiterter Staat.

Jetzt sind wir ein erfolgreiches Entwicklungsland, das mit Ressourcen wie Eisenerz, Gold, Öl, Tropenholz und Kautschuk gesegnet ist!« Sie ist stolz darauf, eine Reihe von kapitalkräftigen Anlegern ins Land gelockt zu haben, zum Beispiel ArcelorMittal aus Indien, den größten Stahlkonzern der Welt. »Die Neuinvestitionen belaufen sich auf insgesamt 16 Milliarden Dollar«, rechnet sie vor. Eine gewaltige Summe, die Wachstum und Arbeitsplätze bringen soll. Entscheidend wird sein, ob die Gewinne im Korruptionssumpf versickern oder dem Gemeinwohl zugutekommen. Letzteres will Johnson-Sirleaf durch eine streng kontrollierte und transparente Rohstoffbewirtschaftung sicherstellen: Liberia hat als erstes Land Afrikas eine entsprechende Selbstverpflichtung unterzeichnet.

Frauen, davon ist Johnson-Sirleaf überzeugt, seien die besseren Politiker: »Sie sind ehrlicher, engagierter, und sie haben mütterliches Gespür«, erklärt sie, selbst Mutter von vier Kindern. Seltsam nur, dass an den wichtigen Schaltstellen ihrer Regierung nach wie vor Männer sitzen. Die Frauen tragen die Hauptlast des Wiederaufbaus; sie werden trotzdem wieder für sie stimmen, Johnson-Sirleaf hat ihr Selbstwertgefühl gestärkt. Die Erwartungen sind hoch, überall in Liberia sieht man die Verwüstungen des Krieges, es fehlt an Straßen und Brücken, Strom und Wasser, Schulen, Kliniken und menschenwürdigen Wohnhäusern.

Johnson-Sirleaf arbeitet hart, sie ist kompetent, eigensinnig und autoritär. Es gibt keine Alternative zu ihr, und wen immer man in den Straßen der Hauptstadt Monrovia fragt, die Antwort ist stets die Gleiche: »Wir wählen Ma Ellen! Wen sonst?« »Wir können ohne Angst einschlafen, und unsere Kinder gehen wieder in die Schule«, sagt eine Besenverkäuferin. Sicherheit und neue Hoffnung – das sind vermutlich die größten Errungenschaften in einer tief verwundeten Gesellschaft.

Dieser Text ist zuerst erschienen auf zeit.de.

Bartholomäus Grill

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