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Tawakkol Karman, Friedensnobelpreisträgerin.
© Katharina Eglau

Friedensnobelpreisträgerin: Tawakkol Karman: "Die Eiserne" widmet den Preis dem arabischen Frühling

Sie ist eine Galionsfigur des Arabischen Frühlings: Im Jemen kämpft die Aktivistin Tawakkol Karman seit acht Monaten für den Sturz des Langzeit-Präsidenten Ali Abdullah Saleh.

Viel war im Vorfeld spekuliert worden. Wer von den Aktivisten des Arabischen Frühlings, der seit Januar die Welt bewegt, würde den diesjährigen Friedensnobelpreis wohl bekommen – der smarte ägyptische Google-Manager Wael Ghonim, die couragierte tunesische Bloggerin Lina Ben Mhenni oder die Mitbegründerin der „Bewegung 6. April“, Israa Abdel Fattah, deren beharrliche Arbeit den Boden für die Demokratiebewegung am Nil bereitete. Die Wahl des Nobelkomitees jedoch fiel auf eine junge Frau, die in Jemens Hauptstadt Sanaa in einem Zelt lebt, Mutter dreier Kinder, stets in landesüblicher schwarzer Abaya gekleidet, kombiniert mit einem bunten Kopftuch. Zusammen mit zehntausenden Mitstreitern kämpft Tawakkol Karman seit acht Monaten für den Sturz von Präsident Ali Abdullah Saleh, der das Land an der Südspitze der Arabischen Halbinsel seit 33 Jahren beherrscht.

Die 32-Jährige ist die wichtigste Stimme der jemenitischen Jugendbewegung und die erste arabische Frau, die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird. Seit Jahren hat sie sich als mutige Menschenrechtlerin einen Namen gemacht, war 2005 die Mitbegründerin der Organisation „Journalistinnen ohne Ketten“. „Ich widme den Preis dem arabischen Frühling“, erklärte die Geehrte auf dem so genannten „Platz der Veränderung“ inmitten der Zeltstadt der Protestierer. Der Nobelpreis sei ein Sieg für die jemenitische Revolution und ihren friedlichen Charakter. „Wir sind hier, um unsere Freiheit und Würde zurückzuholen. Wir wollen einen modernen und demokratischen Jemen“, rief die eloquente Gegenspielerin des Regimes aus, die der Islah-Partei angehört, dem jemenitischen Zweig der Muslimbruderschaft.

Ihre Vorbilder sind Mahatma Gandhi, Nelson Mandela und Martin Luther King. Neben Laptop und Handy gehört im Zelt auch eine DVD zu ihren wenigen Habseligkeiten - „Mahatmas Leben“, produziert von der Gandhi Films Foundation aus Mumbai. „Die Männer respektieren mich“, schmunzelt sie, die in Taiz geboren und aufgewachsen ist, der drittgrößten Stadt Jemens. Als Tawakkol Karman am 23. Januar verhaftet wurde, musste das Saleh-Regime sie nach 36 Stunden wieder laufen lassen. Im ganzen Land kam es zu Demonstrationen, für den Jugendaufstand gegen das Regime war das die Initialzündung.

„Ich will für meine Kinder ein neues Jemen erkämpfen“, sagt die studierte Politikwissenschaftlerin, die stets Optimismus verströmt und von ihren Mitstreitern manchmal auch „Die Eiserne“ genannt wird. Sie verkörpert das Durchhaltevermögen der jungen Revolutionäre, von denen mehr als die Hälfte arbeitslos ist. „Wir werden nicht weichen, bis alle Ziele der Revolution erreicht sind“, bekräftigt sie immer wieder. Und das heißt: Der Sturz des gesamten Regimes, die Bildung eines repräsentativen nationalen Übergangsrates aus unbelasteten Persönlichkeiten sowie ein Strafprozess gegen Präsident Saleh.

Doch die Machthaber lassen nicht locker, auch wenn die Jugendopposition im Jemen durch den Friedensnobelpreis jetzt erstmals breite internationale Anerkennung erfahren hat. Noch letzte Woche ließen sie von den Dächern auf die jungen Leute schießen. Seit der Rückkehr von Präsident Saleh aus dem saudischen Krankenhaus kommen fast täglich neue Gesichter von Getöteten auf der riesigen Fotowand im Zentrum der Zeltstraße hinzu. Tawakkol Karman erhält Drohungen per SMS. In ihre Wohnung wurde eingebrochen, ihr Bruder von der Staatssicherheit gekidnappt. Ihre drei Kinder im Alter von sieben bis 13 Jahren kann sie nur unter konspirativen Umständen sehen. „Das gehört zu dem Preis, den wir für unseren friedlichen Kampf für Demokratie und Menschenrechte zahlen müssen“, sagt sie.

Präsidenten-Neffe Yahya Saleh jedenfalls ließ seine Spezialtruppen erst kürzlich wieder vor einer Gruppe westlicher Journalisten paradieren. Die Protestierer in ihren Zelten seinen alles „Kinder und Diebe“, polterte er und beklagte sich über den schwindenden internationalen Rückhalt. Den erfährt nun Tawakkul Karman, der am Freitag zahlreiche Regierungen und hunderte Aktivisten der arabischen Demokratiebewegungen zu ihrer Auszeichnung aus Oslo gratulierten. „Unserer wirklicher Preis aber ist, wenn unsere Nationen demokratischer werden und sie die Menschenrechte besser respektieren“, twitterte Mitfavorit Wael Ghonim.

Martin Gehlen

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