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Kaum genug, um zu überleben. Syrische Flüchtlinge wie hier im Libanon leben oft in extremer Armut.
© Wael Hamzeh/dpa

Krieg in Syrien: Was der Konflikt kostet

Seit fünf Jahren herrscht Krieg in Syrien. Eine neue Studie zeigt, dass auch der wirtschaftliche Schaden enorm ist - mit Folgen für die ganze Region.

Am Donnerstag soll es soweit sein. Dann wollen die UN einen neuen Anlauf zur Lösung des Syrienkonflikts nehmen. Noch ist wegen der brüchigen Waffenruhe nicht sicher, ob die Vertreter der Kriegsparteien tatsächlich in Genf zusammenkommen. Doch wie dringend nötig ein möglichst dauerhaftes Ende der Gewalt ist, machen aktuelle Zahlen deutlich. Laut einer Übersicht des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen haben inzwischen fast fünf Millionen Menschen Syrien verlassen und Zuflucht in den Nachbarstaaten gefunden – vor allem in der Türkei, im Libanon und in Jordanien. Dazu kommen annähernd acht Millionen Frauen, Kinder und Männer, die im Land selbst umherirren. Damit hat mehr als die Hälfte der Syrer ihre ursprüngliche Heimat wegen der seit fünf Jahren andauernden Kämpfe verlassen müssen.

Trümmerberge, Schuldenberge

Doch jenseits der Schrecken, des Leids und der menschlichen Tragödien – Beobachter gehen inzwischen von mehr als 400.000 Toten aus – besitzt der Konflikt eine weitere, immer noch unterschätzte Dimension: Der Krieg kostet Syrien Abermilliarden, die ökonomischen Folgen sind enorm. Selbst wenn die Kämpfe heute endeten, stünden die Menschen nicht nur vor einem gigantischen Trümmerberg, sondern gleichfalls vor einem riesigen Schuldenberg.

Schon jetzt hat das Land 275 Milliarden US-Dollar (knapp 250 Milliarden Euro) an Wirtschaftskraft eingebüßt. Das sind umgerechnet auf die fünf vergangenen Jahre 4,5 Milliarden Dollar (gut vier Milliarden Euro) pro Monat. Hielte der Konflikt noch bis 2020 an und man benötigte 15 Jahre für den Wiederaufbau, summierten sich die Kosten sogar auf bis zu 1,3 Billionen Dollar (gut eine Billion Euro). Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der Hilfsorganisation World Vision, die in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen Frontier Economics entstanden ist.

Lebenserwartung um 15 Jahre gesunken

Vor dem Krieg wies Syrien dem Bericht zufolge noch ein durchschnittliches jährliches Wirtschaftswachstum von etwa fünf Prozent auf. Mittlerweile liegt das reale Bruttoinlandsprodukt (also der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen) pro Kopf 45 Prozent unter dem wahrscheinlichen Wert, wenn es keinen Krieg gegeben hätte. Auch die Steuereinnahmen und der Handel sind massiv eingebrochen. Die syrische Regierung kann daher ihre Ausgaben für ein Minimum an öffentlichen Dienstleistungen und nicht zuletzt fürs Militär offenbar nur mit umfassenden Krediten aus dem Iran decken. Hinzu kommt, dass die Arbeitslosigkeit auf mehr als 52 Prozent angestiegen ist.

Die wirtschaftlichen Verluste haben erhebliche soziale Folgen. Die mangelnde staatliche Unterstützung wirkt sich zum Beispiel fatal auf das Gesundheits- und Bildungssystem aus. Medizinische Versorgung ist oft kaum existent, nicht einmal die Hälfte der Kliniken kann den Betrieb aufrechthalten. Im sogenannten Index für humane Entwicklung, einer Art Wohlstandsindikator, liegt Syrien bei der Gesundheit auf einem der hintersten Plätze (174 von 195). Die durchschnittliche Lebenserwartung ist um 15 Jahre gesunken (von 70 auf 55). Fast 90.000 Kleinkinder gelten als mangelhaft ernährt. Laut der Nichtregierungsorganisation Syrian Center for Policy Research leben fast 70 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut. Viele von ihnen können ohne Hilfe nicht überleben.

Auch Libanon und Jordanien von den Folgen des Konflikts betroffen

Auch von einer „verlorenen Generation“ ist bei den Hilfsorganisationen die Rede. World Vision geht davon aus, dass in Syrien zwei Millionen Mädchen und Jungen nicht zur Schule gehen. Überhaupt litten vor allem die Jüngsten unter dem Konflikt. Acht Millionen Heranwachsende seien in der Region unmittelbar betroffen. „Hinter jedem Dollar, jeder Statistik, jedem Prozentsatz steht ein Kind“, sagt Wynn Flaten, Leiter des Syrien-Einsatzes von World Vision. „Ein Kind, das nicht mehr zur Schule gehen kann, ein Kind, das hungrig zu Bett gehen muss, und eines, das kein ordentliches Dach über dem Kopf hat.“

Aber der Report „The Cost of Conflict for Children“ beschäftigt sich nicht allein mit den Auswirkungen des Kriegs auf Syrien selbst. Denn der kleine Libanon und Jordanien leiden ebenfalls unter den Folgen. Beide Länder haben Hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen. Und die damit einhergehenden Ausgaben für Gesundheit, Bildung, Strom- und Wasserversorgung belasten die Staatshaushalte. Im Libanon liegt deshalb das Bruttoinlandsprodukt um 23 Prozent unter dem Wert, wenn es keinen Krieg gegeben hätte. Für die Menschen in Syrien und der Region bedeutet dies nach Einschätzung von World Vision: ein Leben mit immer weniger Ressourcen, immer höheren Schulden und mehr Gründen zur Flucht.

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