Hintergrund der Tankerkrise am Golf: Was der Iran will - und wie der Westen reagiert
Mit der Festsetzung eines britischen Tankers will der Iran Stärke demonstrieren – der Westen gibt sich alarmiert und besonnen.
Mindestens fünf vermummte Soldaten der iranischen Revolutionsgarden seilen sich aus einem Hubschrauber auf das Deck des britischen Öltankers „Stena Impero“ ab, während Schnellboote mit flatternden Fahnen das Schiff umkreisen: Ein vom Iran veröffentlichtes Video feierte die Beschlagnahmung des Tankers in der Straße von Hormus am Wochenende als Husarenstück und Beweis iranischer Macht in der wichtigsten Wasserstraße des internationalen Ölhandels.
Europa und die USA werfen den Iranern vor, die ohnehin bereits spannungsgeladene Situation am Golf weiter eskalieren zu lassen. Das ist tatsächlich ein Teil der iranischen Taktik. Teheran will mit Blick auf mögliche Verhandlungen mit dem Westen die eigene Stärke demonstrieren. Es ist ein Spiel mit hohem Risiko.
Seit die USA im Mai die Ölsanktionen gegen Teheran verschärften, um die iranischen Ausfuhren möglichst auf null zu bringen, wird die Lage im Persischen Golf und in der Straße von Hormus immer ungemütlicher. US-Präsident Donald Trump will mit den Sanktionen erreichen, dass der Iran strikteren Auflagen für sein Atomprogramm zustimmt. Teheran reagiert mit Angriffen auf die Schifffahrt im Golf und mit der Verletzung von Bestimmungen des Atomvertrages aus dem Jahr 2015. Mit dem Abkommen soll der Iran am Bau einer Atombombe gehindert werden. Die Beschlagnahmung der „Stena Impero“ ist nur das jüngste Beispiel für Teherans Reaktion auf die verschärfte Gangart Trumps.
Was der Iran will
Mit der Aktion rächte sich der Iran für die Festsetzung eines iranischen Tankers durch die Behörden im britischen Gibraltar. Gleichzeitig warnte Teheran die Briten vor Reaktionen, die zur weiteren Eskalation beitragen könnten. Dazu könnten britische Sanktionen gehören. Zudem wollen die USA eine internationale Marine-Allianz zur Überwachung des Schiffsverkehrs im Golf mit der Möglichkeit der Intervention schaffen.
Die iranischen Provokationen sind kein Selbstzweck. Sie sollen demonstrieren, dass der Iran dort zuschlagen kann, wo es dem Westen wehtut: bei der Ölversorgung. Außenminister Dschawad Sarif bezeichnete den Iran als Wächter über den Golf und die Straße von Hormus.
Sarif gibt aber nicht nur den Scharfmacher. Der 59-Jährige kennt den Westen und spielt perfekt auf der Klaviatur von Drohung und Gesprächsbereitschaft. Kurz vor seiner Äußerung über die Wächterrolle des Iran im Golf hatte er den Amerikanern ein Entgegenkommen angeboten.
Wie Irans Außenminister Sarif agiert
Die USA kennt Sarif seit seiner Teenagerzeit. Er ging in Amerika zur Schule und zur Universität und begann seine Karriere als Mitarbeiter der iranischen Botschaft bei der UNO in New York, wo er zum Botschafter aufstieg. Im Laufe der Jahre war er an vielen diskreten Gesprächen zwischen den Erzfeinden Iran und USA beteiligt. Als Außenminister ist Sarif einer der Väter des Atomabkommens von 2015. Dass der versprochene Wirtschaftsaufschwung nach dem Abschluss des Vertrages ausgeblieben ist, hat seine Stellung im Iran stark erschüttert. Im Februar erklärte er wegen der Angriffe der Hardliner gegen ihn vorübergehend seinen Rücktritt. In den vergangenen Tagen nutzte Sarif einen Besuch an seinem früheren Arbeitsplatz am UN-Hauptquartier in New York für Kontakte, die bei den Bemühungen um ein Ende der derzeitigen Spannungen noch wichtig werden könnten.
Was Washington unternimmt
Vor allem ein Name lässt aufhorchen: der des republikanischen US-Senators Rand Paul. Präsident Trump teilte mit, dass Paul mit seinem Segen versuchen will, mit den Iranern ins Geschäft zu kommen. „Rand hat mich gefragt, ob er sich einschalten kann“, sagte Trump. „Die Antwort ist: ja.“
Laut bisher unbestätigten Berichten sollen sich Paul und Sarif in New York zusammengesetzt haben. Im Sender „Fox News“ sagte Paul, es gebe die Chance für eine neue Vereinbarung über einen endgültigen Verzicht Teherans auf Atomwaffen. Fast gleichzeitig sagte Sarif, der Iran könne ein Protokoll ratifizieren, das strengere Kontrollen der internationalen Atombehörde IAEA mit Sitz in Wien ermöglichen würde. Voraussetzung sei die Aufhebung der US-Sanktionen. Zur Deeskalation könnte auch eine Entscheidung Saudi-Arabiens beitragen, einen festgesetzten iranischen Tanker freizugeben.
Selbst erfahrenen Diplomaten wie Sarif gelingt allerdings nicht alles. Ein Scheitern des iranischen Balanceaktes könnte geradewegs zum Krieg führen. Beide Seiten bereiten sich seit Wochen auf diesen Fall vor.
Auch die geplante amerikanische Truppenverlegung nach Saudi-Arabien gehört dazu, wie der Verteidigungsexperte Andreas Krieg vom Londoner King’s College dem französischen Sender France 24 sagte. Demnach sollen die 500 für den Einsatz vorgesehenen US-Soldaten einen Luftwaffenstützpunkt in der Nähe der saudischen Hauptstadt Riad für die Aufnahme eines zusätzlichen US-Geschwaders herrichten.
Die Haltung Großbritanniens
Der britische Außenminister Jeremy Hunt muss derzeit nicht nur die Krise am Golf entschärfen, sondern auch noch seine Rest-Chance im innerparteilichen Wettbewerb um die Nachfolge der Premierministerin Theresa May wahren. Bis zu diesem Montag haben die 160 000 Mitglieder der Konservativen noch die Möglichkeit, eine Wahl zwischen Hunt und dem Favoriten Boris Johnson zu treffen. Die Aufmerksamkeit der Briten richtet sich daher derzeit eher auf das Rennen zwischen Johnson und Hunt als auf die Frage, welchen Ausweg es aus der Tankerkrise geben könnte. Hunt hat jedenfalls schon einmal angekündigt, dass es eine „wohlbedachte, aber robuste“ Reaktion geben werde, falls die „Stena Impero“ nicht freigegeben werde. Allerdings erwäge die Regierung in London keine Militäraktion, fügte er hinzu.
An diesem Montag will der britische Außenminister bekannt geben, mit welchen diplomatischen oder wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen London auf die Entführung des Schiffes reagieren will. Nach einem Bericht der Zeitung „Telegraph“ will Hunt eine Erklärung vor dem Unterhaus dazu nutzen, um Gegenmaßnahmen zu verkünden. Dazu könne auch ein Einfrieren von iranischem Vermögen in Großbritannien gehören. Zudem könnte Großbritannien dem Bericht zufolge darauf dringen, dass die EU und die Vereinten Nationen jene Sanktionen gegen Teheran wieder in Kraft setzen, die 2016 im Zuge des Iran-Abkommens ausgesetzt worden waren. Eine Bestätigung aus dem Außenministerium gab es dafür zunächst nicht.
Wie EU und Deutschland reagieren
Deutschland und Frankreich zeigen in der Eskalation am Golf Solidarität mit Großbritannien. „Die Festsetzung von Handelsschiffen kann nicht akzeptiert werden“, sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Nach ihren Worten „sollte jetzt alles getan werden, die Situation in der Straße von Hormus zu beruhigen“. Ähnlich äußerte sich auch Außenminister Heiko Maas. Die Lage am Golf sei „noch ernster und gefährlicher geworden“ als ohnehin schon, sagte der SPD-Politiker der „Bild am Sonntag“. „Es geht darum, Krieg zu verhindern“, sagte er weiter. Sein französischer Amtskollege Jean-Yves Le Drian brachte ebenfalls seine „große Sorge“ zum Ausdruck. Die Festsetzung des Ölfrachters unter britischer Flagge durch die iranischen Revolutionsgarden „schadet der dringend nötigen Entspannung in der Golfregion“, erklärte Le Drian weiter.
Auf den Ernst der Lage hinweisen, ohne weiteres Öl ins Feuer zu gießen – das war am Wochenende auch die Linie der EU-Kommission. Die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini twitterte: „In einer ohnehin schon angespannten Situation birgt diese Entwicklung das Risiko einer weiteren Eskalation und untergräbt die Arbeit an einem Abbau der gegenwärtigen Spannungen.“ Deutschland, Frankreich und Großbritannien gehörten zu den Mitunterzeichnern des 2015 geschlossenen und inzwischen wieder von den USA und dem Iran aufgekündigten Atomabkommens mit Teheran. Die drei Staaten bemühen sich, die diplomatischen Kanäle zur Rettung des Abkommens aufrechtzuerhalten, das seinerzeit vor allem als diplomatischer Erfolg der Europäer galt. Für Ende Juli ist auf der Ebene der Außenminister ein Treffen der sogenannten „4+1“-Gruppe mit dem Iran entweder in Brüssel oder in Wien geplant. Die Gruppe besteht aus Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland.
Trotz aller Bemühungen haben die Europäer im Ringen zwischen den USA und dem Iran um das Atomabkommen lediglich eher eine Zaungast-Rolle. Angesichts der von Trump verhängten Sanktionen hatten die Europäer dem Iran angeboten, den Handel in US-Dollar mithilfe des Tauschhandelsmechanismus Instex zu umgehen. Allerdings entfaltete der Mechanismus kaum eine Wirkung. Die Verantwortlichen in Teheran machten der EU den Vorwurf, dass mit Instex keinesfalls das entgangene US-Geschäft aufgefangen werden könne. Das geistige Oberhaupt des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, bezeichnete den Tauschhandelsmechanismus sogar als einen „bitteren Witz“.