Windenergie und die 10-H-Regel: Was das Windkraft-Urteil aus Bayern bedeutet
Der Ausbau der Windenergie ist wichtig für die Energiewende. Doch zwischen Wohnhäusern und Tierpopulationen wird der Platz knapp.
Die Windenergie an Land ist neben der Solarenergie der wesentliche Treiber der Energiewende. Ende 2015 drehten sich in Deutschland 25.980 Windräder mit einer Leistung von knapp 41.700 Megawatt. Bis 2025, so sieht es der Ausbauplan der Bundesregierung vor, soll die Leistung auf 63.000 Megawatt wachsen. Doch die Flächen dafür werden knapp.
In Bayern beschränkt eine am Montag vom Verfassungsgerichtshof in München bestätigte Abstandsregelung zur Wohnbebauung den Windkraftausbau. Und überall im Land kämpfen Windkraftgegner oft mit Naturschutzargumenten gegen den weiteren Ausbau. Am Donnerstag treffen sich die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), um über die aktuelle Novelle des Fördergesetzes für erneuerbare Energien (EEG) zu diskutieren.
Was wurde in Bayern entschieden?
Seit dem 17. November 2014 gilt in Bayern die sogenannte 10-H-Regel. Demnach muss der Abstand eines Windrads von Wohnungen mindestens zehn Mal so weit sein wie die Anlage hoch ist. Bei einem 200 Meter hohen Windrad – das ist heutzutage Standard – wären das 2.000 Meter. Alle Windräder, die nicht bis dahin geplant und genehmigt waren, müssen diese neue Abstandsregelung berücksichtigen. Bundesweit lässt sich aus dem Immissionsschutzgesetz, ein Mindestabstand von 600 Metern zur Wohnbebauung ableiten, weil das die Entfernung ist, von der an kein Schall von den Windrädern mehr gemessen werden kann. Bayern hat über die sogenannte Opt-out-Regel in der Bundesgesetzgebung eine eigene Regelung beschlossen. Dagegen zogen der ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell und der Würzburger Grünen-Stadtrat Patrick Friedl vor das Landesverfassungsgericht. Am Montag scheiterten sie mit ihrer Klage.
Fell und Friedl hatten argumentiert, dass sich die mögliche Ausbaufläche für die Windkraft in Bayern durch diese Regelung faktisch auf 0,05 Prozent der Landesfläche beschränke. Der Bayreuther Professor Manfred Miosga, der Kommunen beim Klimaschutz berät, brachte das auf die Formel: „Das war’s dann wohl.“ Fell und Friedl hatten kritisiert, Bayern verbiete damit den Windkraftausbau – und breche somit Bundesrecht.
Dieser Argumentation folgte der Staatsgerichtshof nicht. Obwohl die Richter selbst argumentierten, dass „die bundesrechtliche Grundentscheidung für eine Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich durch eine landesrechtliche Abstandsregelung weder rechtlich noch faktisch ausgehebelt werden darf“. Damit werde die Fläche zwar „erheblich eingeschänkt, nicht aber beseitigt“. Deshalb würden Grundrechte nicht verletzt.
Wie wurde das Urteil aufgenommen und was bedeutet es bundesweit?
Hans-Josef Fell sprach von einem „schwarzen Tag für den Klimaschutz in Bayern“. Sein Anwalt Helmut Loibl sagte: „Die CSU darf mit dem 10-H-Gesetz faktisch den Windenergieausbau in Bayern beenden.“ Fell sagte weiter, damit verabschiede sich Bayern von der Energiewende. Die Bundestagsabgeordnete Eva Bulling-Schröter (Linke) warnte ebenfalls davor, dass Bayern „damit den Anschluss an die Energiewende zu verpassen drohe“. Raimund Kamm vom Bundesverband Wind-Energie in Bayern warf der CSU vor, das Gesetz 2014 in „fast schon diktatorischer Weise durchgedrückt“ zu haben. Mit dem Urteil „bleibt Bayern von der Energiewende abgeschnitten“, sagte Kamm enttäuscht.
Dagegen zeigte sich die Landesregierung in München zufrieden mit dem Ausgang des Verfahrens. Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) sieht mit dem Urteil die Interessen der Energiewende und die lokalen Interessen im Ausgleich.
Es ist gut möglich, dass Windenergie-Gegner in anderen Bundesländern das Urteil nutzen, um eigene Klagen für die Einführung einer 10-H-Regel anzustrengen. Jedenfalls dürfte sich die Bürgerinitiative „Rettet Brandenburg“, die bis Juli Unterschriften für eine der bayerischen entsprechende Abstandsregelung sammelt, durch das Urteil bestätigt fühlen. Der Landtag in Brandenburg hatte sich schon im Herbst dagegen entschieden.
Erhöht der Abstand die Akzeptanz?
Genau diese Frage hat die Professorin Gundula Hübner gemeinsam mit Johannes Pohl im Auftrag der Fachagentur „Windenergie an Land“ im vergangenen Jahr untersucht. Dazu wertete die Psychologieprofessorin von der Universität Halle-Wittenberg vier Studien aus, die auf 20 Standorte bezogen die Einstellungen von 1.300 Menschen abgefragt hatten. Das Ergebnis lautet eindeutig: Nein. „Ein bedeutsamer Zusammenhang mit dem Abstand lässt sich weder für die Akzeptanz noch für die Stresswirkung von Windenergieanlagen nachweisen“, heißt es im Fazit der Studie.
Tatsächlich stellen die Forscher fest, dass diejenigen, die Windräder direkt in der Nachbarschaft hatten, die Windenergie insgesamt positiver sehen als Menschen, die weiter weg wohnen. Das ist auch das Ergebnis einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im vergangenen Oktober für die Wind-Agentur erhoben hat. Im Oktober 2015 sind dafür 1007 Personen befragt worden. 81 Prozent der Befragten halten einen weiteren Ausbau der Windenergie für „wichtig“ oder „sehr wichtig“. Die Hälfte der Befragten hat Windräder in der Nachbarschaft. Von diesen Anrainern bewerteten 80 Prozent die Windenergie positiv. Von den Nicht-Anwohnern sind „nur“ 74 Prozent der Windenergie gegenüber positiv eingestellt.
Wie machen das andere Bundesländer?
In den meisten Bundesländern gelten die bundeseinheitlichen Regelungen aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz. Allerdings hat die neue Regierungskoalition in Rheinland-Pfalz aus SPD, FDP und Grünen in ihrem Koalitionsvertrag gerade beschlossen, dort Mindestabstände einzuführen und einen weiteren Windenergieausbau im Wald zu beschränken. In Rheinland-Pfalz dürfte demnach auch kein rasanter Windkraftausbau mehr stattfinden.
In Baden-Württemberg dagegen hat die grün-schwarze Koalition die ausbaufreundliche Politik der vorherigen grün- roten Landesregierung im Koalitionsvertrag bestätigt. Allerdings findet sich im Koalitionsvertrag der Rat an die Planer, einen Mindestabstand von 1000 Metern zur Wohnbebauung einzuplanen.
In Mecklenburg-Vorpommern gibt es seit April eine andere Besonderheit: Dort ist es den Projektentwicklern nun gesetzlich vorgeschrieben, dass sie die Anwohner in einem Abstand von fünf Kilometern zu einem Windpark an den Anlagen finanziell beteiligen müssen. Ein Anteilsschein darf nicht mehr als 500 Euro kosten. Freikaufen können sich die Entwickler davon nur, wenn sie Ausgleichszahlungen an die betroffenen Gemeinden vereinbaren. In der bereits zitierten Umfrage befürworteten 61 Prozent eine solche gesetzliche Vorgabe – obwohl sich nur 28 Prozent vorstellen konnten, auch selbst in einen Windpark zu investieren.
Welche Tierarten leiden tatsächlich unter der Windkraft?
Vor allem Fledermäuse und Greifvögel tun sich mit Windrädern schwer. Besonders häufig kollidieren Mäusebussarde und Rotmilane mit den Anlagen. Bei den Mäusebussarden führen diese Kollisionsverluste aber nicht zu großen Problemen für die Population – es ist der häufigste Greifvogel in Deutschland. Beim Roten Milan – dessen Verbreitungszentrum in Deutschland liegt, vor allem in Sachsen-Anhalt – ist das anders. Da hat Deutschland eine besondere Verantwortung für das Überleben der Art. In einer groß angelegten Studie über die Auswirkungen der Windenergie auf den Roten Milan haben Bielefelder Forscher herausgefunden, dass die Population durch die Windkraftverluste tatsächlich gefährdet sein kann.
Seit 1991 geht der Bestand der Rotmilane zurück, am stärksten zwischen 1991 und 1997. Was den Vögeln allerdings viel mehr zusetzt als die Windräder, ist die intensive Landwirtschaft: Sie finden kaum noch Nahrung auf den abgeräumten Feldern. Die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelwarten hat in ihrem Empfehlungspapier für die Planung von Windenergieanlagen vorgeschlagen, einen Mindestabstand von 1250 Metern zu den Horsten der Rotmilane einzuhalten.
Außerdem haben die Bielefelder Forscher festgestellt, dass sich die Tiere durch frisch gemähte Luzerne-Felder durchaus von den Windparks weg locken lassen. Und wenn nach Mitte Juli geerntet wird, lässt sich das Risiko für die Vögel begrenzen. Um Fledermäuse besser zu schützen, werden viele Windräder inzwischen nachts in der Hauptflugzeit der Säugetiere abgeschaltet. Das kann die Zahl der Verluste deutlich begrenzen, hat ein Feldversuch mit 16 Windrädern ergeben.
Wie geht es mit der Windkraft im Erneuerbare-Energien-Gesetz weiter?
Der Windenergieausbau an Land soll sich nach dem Willen des Wirtschaftsministeriums in Zukunft daraus errechnen, wie viel Solarenergie und Biogas in einem Jahr zugebaut wird. Davon abhängig sollen dann Flächen für den Windausbau ausgeschrieben werden. Wer die niedrigsten Gebote für die Vergütung des Windstroms abgibt, soll dann den Zuschlag bekommen. Damit sind viele Bundesländer und Bürgerenergie-Initiativen unzufrieden. Darum wird es am Donnerstag beim Energiegipfel im Kanzleramt gehen.
Wie wichtig und wie erfolgreich ist Windenergie in Deutschland an Land und auf See?
Ende 2015 haben sich in Deutschland 25.980 Windräder mit einer Leistung von 41.651 Megawatt gedreht. Mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) 2014 hat der Bundestag beschlossen, dass der jährliche Windenergieausbau an Land bei rund 2.500 Megawatt liegen soll. 2015 sind 3.730 Megawatt Windenergie neu dazugekommen. Viele dieser Anlagen sind schon vor Inkrafttreten der EEG-Novelle geplant und genehmigt gewesen.
Auf hoher See sind 2015 insgesamt 546 Offshore-Windenergieanlagen mit einer Leistung von 2.282 Megawatt gebaut worden. 41 Anlagen konnten den Strom aber zunächst noch nicht ins Netz einspeisen. Insgesamt gibt es inzwischen 792 Offshore-Windräder mit einer Leistung von 3.294 Megawatt.
2013 waren direkt in der Windbranche 137.800 Menschen beschäftigt. 35 Prozent der Beschäftigten sind nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung dem Windenergieausbau in Deutschland zuzurechnen. 27 Prozent der Beschäftigten arbeiten für den Export. 19 Prozent der Beschäftigten haben mit der Wartung und Reparatur von Windrädern ihr Auskommen gefunden.
Der größte mittelständische Windenergiehersteller in Deutschland ist Enercon. Das Unternehmen hat sich auf die Produktion von Windrädern an Land konzentriert. Dagegen ist Siemens weltweit ins Geschäft mit Offshore-Windrädern eingestiegen. Die größten Wachstumsraten verzeichnet Siemens bei Windrädern an Land in den USA.
Anmerkung der Redaktion: In der ersten Fassung des Textes gab es einen Fehler bei der Beschreibung der Position der neuen rot-gelb-grünen Landesregierung in Rheinland-Pfalz. Danke für die Hinweise der Agentur für erneuerbare Energien und den Leser Rainer Schneewolf, auf dessen Anregung auch noch die Passagen zu den Mindestabständen bundesweit und in Baden-Württemberg präzisiert worden sind. Außerdem enthält der Text nun noch eine Stellungnahme der bayerischen Wirtschaftsministerin, die in der ersten Fassung noch nicht vorlag.