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Abgase aus dem Auspuff eines Autos mit Dieselmotor
© dpa/Jan Woitas

Automobil und Umwelt: Was bringt die Zukunft für den Diesel?

Erst waren da die gefälschten Abgaswerte. Nun verunsichern mögliche Fahrverbote für Dieselfahrzeuge zum 125. Geburtstag des Dieselmotors Nutzer und Hersteller. Fragen und Antworten.

Ginge es nach Umweltschützern, wäre der Diesel wohl ein „Unwort des Jahres“. Der Motor, den Rudolf Diesel vor 125 Jahren erfand und in Berlin zum Patent anmeldete, ist vom Welterfolg und Paradebeispiel deutscher Ingenieurskunst zum Fortschrittsbremser und Schmuddelkind geworden – vor allem durch den millionenfachen Abgasbetrug bei Volkswagen.

Dabei könnte die früher oft als „Traktor“ mit nagelndem Lärm verspottete Antriebsart übergangsweise durchaus eine Zukunft haben: Moderne „rationelle Wärmekraftmaschinen“ sind ökologisch im Vorteil. Der Präsident des Autoverbands VDA, Matthias Wissmann, glaubt an „einen neuen Frühling“ der klassischen Motoren – mit synthetischem Ökosprit.

Die Senkung des Verbrauchs – und damit auch des Klimagases CO2 – gelang dem Diesel besser als Benzinern, weil der Motor durch die Selbstentzündung des Kraftstoffs unter Druck im Zylinder effizienter arbeitet. Dafür stoßen Diesel im Schnitt aber größere Mengen Stickoxide (NOx) aus, die bei hoher Konzentration als Atemgifte wirken können. Die Behörden der USA sind besonders sensibel bei NOx und Feinstaub, die der EU hingegen beim CO2- Ausstoß. Für deutsche Autobauer sind Dieselfahrzeuge bedeutender als für ihre Konkurrenz in Übersee. Erst der Ausbau der Elektromobilität und weiterer Alternativen wie Brennstoffzelle oder Erdgasmotor dürfte die Marktanteile grundsätzlich verschieben.

In der Wirtschaft ist der Dieselantrieb heute kaum wegzudenken: Auf den Weltmeeren fahren Containerriesen mit teils haushohen Dieselaggregaten. Auch Kreuzfahrtschiffe und vor allem der Lkw-Verkehr sowie viele Maschinenantriebe dürften noch länger auf ihn angewiesen sein.

Zu gefälschten Abgaswerten kommt jetzt eine Verbots-Diskussion

Als wären die gefälschten Werte zum Ausstoß von Stickoxiden bei aktuellen Diesel-Pkw-Modellen nicht schon genug, wird jetzt diskutiert, ob der selbstzündende Antrieb aus städtischen Umweltzonen verbannt werden kann und sollte. Mitte Februar hatte Deutschland den letzten blauen Brief aus Brüssel bekommen. Nachdem die EU-Kommission schon vor Jahren ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der Nicht-Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoff-Dioxid (NO2) angestrengt hatte, steht nun eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof unmittelbar bevor. Und die grün-schwarze Landesregierung von Baden-Württemberg hat am Dienstag die Möglichkeit eines Fahrverbotes für ältere Dieselautos bei besonders hoher Feinstaubbelastung geschaffen. Die DUH hat 16 Städte wegen der Überschreitung der Stickoxid- und teilweise auch der Feinstaub-Grenzwerte verklagt.

Wie ist der Stand der Dinge?

Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte schon im Sommer einen Gesetzentwurf erarbeiten lassen, der die Einführung einer „Blauen Plakette“ und gezielte Fahrverbote für besonders schmutzige Fahrzeuge ermöglichen würde. Dieses Gesetz, bedauerte sie am Mittwoch, liege seit Wochen im Verkehrsministerium – Alexander Dobrindt (CSU), nehme aber keine Stellung dazu.

Das Verkehrsministerium teilte – wie auch der Verband der Automobilindustrie – mit, „Fahrverbote sind und bleiben ein falscher politischer Ansatz“. „Autos mit Verboten“ zu belegen, die „ein- oder zweimal im Monat in die Stadt fahren“, sei nicht sinnvoll. Das Verkehrsministerium setze darauf, „Fahrzeuge mit alternativen Antrieben auszurüsten, die sich ständig im Stadtverkehr befinden, etwa Taxis, Busse im ÖPNV, Behördenfahrzeuge“. Dazu gebe es viele Förderprogramme. Allerdings haben die bisher nicht messbar zu einer Senkung der Stickoxid-Emissionen beitragen. Laut Umweltbundesamt wird an 57 Prozent der verkehrsnahen Messstellen der Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxiden pro Kubikmeter Luft überschritten.

Was will die Deutsche Umwelthilfe?

Seit 2010 müssten die Grenzwerte eigentlich eingehalten werden. In Düsseldorf gibt es ein „rechtsgültiges Urteil“ zur Klage der DUH, sagt Geschäftsführer Jürgen Resch. In München wird in wenigen Tagen ein Urteil erwartet. Unter den Umweltverbänden gibt es eine Arbeitsteilung: Die DUH klagt, der Nabu kümmert sich um Schiffsemissionen, die etwa in Düsseldorf einen hohen Anteil an den Luftschadstoffen haben, und der VCD kümmert sich um Verbesserungen für den Fahrradverkehr. Die DUH arbeitet mit Partnern aus Tschechien an dem europäischen Projekt „Recht auf saubere Luft“.

Auch in Stuttgart hat die DUH geklagt. Der zuständige Richter hatte Stadt und Land gefragt, mit welchen Maßnahmen ab 2018 eine Einhaltung der Grenzwerte im gesamten Stadtgebiet von Stuttgart erreicht werden soll. Daraufhin gab es Gespräche zwischen Landesregierung und DUH – ein Ergebnis ist die Entscheidung, von 2018 an alte Dieselfahrzeuge, die nicht der Luftschadstoffklasse Euro 6 angehören, an Tagen mit einer hohen Luftverschmutzung nicht mehr in die Stadt zu lassen. Weil es keine „Blaue Plakette“ gibt, müssten dazu allerdings an allen Einfahrstraßen Polizei oder Ordnungsämter die Fahrzeuge einzeln kontrollieren.

Wie sehen das die Kommunen?

Der Deutsche Städtetag warnt seit Monaten, dass Fahrverbote unumgänglich seien, wenn die Politik nicht reagiere. Schon vor einem halben Jahr schlug der Hauptgeschäftsführer des Städtetags, Helmut Dedy, Gespräche mit der EU vor, um „eine lebensnahe, realistische Verlängerung der Fristen zur Einhaltung dieser Luftreinhaltungswerte“ zu erreichen. Wegen der immer höheren Zahl von Dieselfahrzeugen und der Nichteinhaltung der Abgaswerte durch Teile der Automobilindustrie sei es nicht zu schaffen, die von der EU vorgegebenen Grenzwerte beim Stickoxid einzuhalten. Das Maßnahmenpaket in Baden-Württemberg nannte Dedy am Mittwoch „sinnvoll, um die Luft in Stuttgart zu verbessern und die Gesundheit der Menschen zu schützen“. In ganz Deutschland hätten aber 80 Städte Probleme mit zu hohen Stickoxidwerten. Seine Forderung an den Bund ist eine zügige Regelung, wie emissionsarme Dieselfahrzeuge gekennzeichnet werden können. Also die „Blaue Plakette“.

Sind auch in Berlin Fahrverbote absehbar?

Die Luft in der Hauptstadt ist besser als im Talkessel von Stuttgart– aber doch schlechter als von der EU erlaubt. Während die Feinstaubbelastung dank der Umweltzone um jährlich etwa zehn Überschreitungstage (erlaubt sind 35 mit mehr als 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft) zurückging, wird der Grenzwert für Stickstoffdioxid an allen Straßenmessstellen überschritten.

Rigorose Fahrverbote träfen vor allem den Wirtschaftsverkehr: Während Diesel nur rund ein Viertel der knapp 1,2 Millionen hier zugelassenen Pkw-Flotte ausmachen, fahren Liefer- und Lastwagen sowie Busse fast ausschließlich mit Dieselmotoren. Die seit September 2015 verbindliche Abgasnorm Euro 6 ist bisher noch die Ausnahme. Kriterium für die Umweltzone ist die seit 2006 gültige Norm Euro 4.

Umweltsenatorin Regine Günther will die bundesweite Einführung einer blauen Umweltplakette forcieren. „Kurzfristig sind wir dabei, die Straßenabschnitte zu identifizieren, bei denen Tempo 30 helfen könnte, die Stickstoffdioxid-Belastung zu reduzieren“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Denn wir dürfen die Anwohner an den hoch belasteten Straßen nicht mit dem Problem alleine lassen. Wir werden mit Interesse beobachten, welche anderen Maßnahmen in anderen Städten möglicherweise zum Erfolg führen und schauen, ob wir daraus lernen können.“ Berlins Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner (Grüne) hat im Tagesspiegel-Interview noch für 2017 zwei Pilotprojekte mit elektrischen Lastenfahrrädern in Aussicht gestellt, um den Lieferwagenverkehr zu reduzieren.

Wie reagiert der Automarkt?

Die schlechten Abgaswerte der Dieselfahrzeuge machen sich nach Angaben des Online-Portals Mobile.de bereits bemerkbar: „Wir sehen, dass sich die Nachfrage verschiebt“, sagt Sprecher Christian Maas. Seit den ersten Nachrichten über den Abgasbetrug bei VW hätten die monatlich rund 13,5 Millionen Nutzer des Portals zehn Prozent weniger nach Dieseln und neun Prozent mehr nach Benzinern gesucht als zuvor. Auch seien die Preise für gebrauchte VW-Diesel 2016 um zwei Prozent gesunken, während das Preisniveau insgesamt leicht stieg. Während das Angebot an gebrauchten VW- Dieseln um 20 Prozent wuchs, waren es bei Benzinern der Marke nur 5,6 Prozent.

Der Fahrzeugbewerter Schwacke sieht durch das Stuttgarter Fahrverbot eine neue Lage: Jetzt gehe es zum ersten Mal um Nutzungseinschränkungen – allerdings lokal und zeitlich so begrenzt, dass kein nennenswerter Effekt auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu erwarten sei. Allerdings dürften die Stuttgarter Pläne perspektivisch die Preise drücken, falls weitere Kommunen ähnliche Regeln erlassen.

Der ADAC sieht ein kurzfristig kaum lösbares Dilemma: „Letztlich stehen die Städte unter Zwang, etwas zu machen“, sagt ein Sprecher. „Aber wir wenden uns entschieden dagegen, dass Autofahrer für die Versäumnisse von Industrie und Kommunen bestraft werden.“ Zumal Fahrverbote auch Fahrzeuge beträfen, die jetzt noch keine zwei Jahre alt sind; „das ist nicht gerecht“. Der ADAC sieht „die Hersteller in der Pflicht, ihre Fahrzeuge mit der modernsten Technik zur Stickoxid-Reduzierung auszustatten. Die Technik hierfür ist vorhanden.“

Wie argumentiert die Industrie?

Eigentlich hatte sich der Verband der Autoindustrie (VDA) für 2016 vorgenommen, mit einer breiten Kampagne für den Diesel zu werben, wenn die VW-Dieselaffäre überstanden wäre. Die Volkswagen-Affäre ist längst nicht vorbei und der Diesel inzwischen so in Misskredit geraten, dass eine Werbeaktion keinen Sinn macht.

Der VDA betont dennoch seine Vorteile: Er ist für das Klima weniger schädlich als der Benziner, weil er eben effizienter ist und weniger CO2 in die Luft bläst. „Bei vielen Schadstoffemissionen ist der Diesel bereits gleich gut oder besser als der Ottomotor“, lautet die positive Botschaft. „Das gilt für Feinstaub, Kohlenwasserstoff und Kohlenmonoxid.“ Im Ergebnis seien „drei von vier Schadstofffragen des Diesels bereits gelöst und haben keinerlei Einfluss mehr auf die Luftqualität“, meint der VDA. Die Stuttgarter Pläne seien ein „Schnellschuss“. Zudem sei der Anteil des Pkw-Verkehrs an den Feinstaubemissionen „vernachlässigbar gering“, in Stuttgart trügen die „motorischen Feinstaubemissionen“ des Verkehrs sogar nur zu vier Prozent zur Gesamtbelastung bei, argumentiert der VDA mit Verweis auf das Umweltbundesamt.

Was die Stickoxide betrifft, hat der Verband einen schlichten Vorschlag: Weniger Staus. „Grüne Welle und ein gleichmäßiger Verkehrsfluss bringen eine Reduktion der Stickoxidemissionen um fast ein Drittel.“ Und schließlich würden mit den neuen Dieselfahrzeugen nach Euro 6 die Emissionen „auch ohne politische Eingriffe zurückgehen“.

Wie machen das andere Länder?

In Oslo durften Dieselfahrzeuge im Januar zwei Tage lang gar nicht mehr auf die Straße, als die Luft besonders dick war. Madrid, Paris, Barcelona und Athen haben sich entschieden, von 2025 an gar keine Dieselfahrzeuge mehr in ihre Innenstädte einfahren zu lassen.

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