Diesel-Skandal: VW-Konzern stößt an Grenzen der Aufklärung
20 Milliarden Euro Strafe in den USA und die Affäre ist beendet? Im VW-Konzern wird um die weitere Aufarbeitung von Dieselgate gerungen.
Darf man nicht aufklären, oder will man nicht aufklären? Wer wusste wann Bescheid und hat womöglich gegen Pflichten verstoßen? Welche alten Männer haben noch Rechnungen offen?
„Einer muss hängen“, heißt es in Wolfsburg mit Blick auf Martin Winterkorn, den langjährigen Konzernchef, in dessen Zeit die Dieselmanipulation fiel und der wegen des Skandals im September 2015 zurückgetreten war. Der Rücktritt wird nicht reichen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und ihm Konzern wird geprüft, ob gegen Winterkorn vorgegangen wird, weil er als Vorstandsvorsitzender seiner Pflicht nicht nachgekommen ist. Aber wer soll in Sachen Organhaftung aktiv werden und Regress fordern von Winterkorn – etwa der Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch? Der war als Finanzvorstand über mehr als zehn Jahre einer der engsten Vertrauten Winterkorns.
Eine Klage gegen Winterkorn wird geprüft
„Die Prüfung läuft an“, heißt es aus dem Aufsichtsrat zur möglichen Organklage. Manche Aufseher haben das Gefühl, dass die Öffentlichkeit langsam ungeduldig wird. Die Kunden sowieso. Weltweit verkaufen sich die Konzernfahrzeuge gut, doch im Inland sinken Absatz und Marktanteile von VW. Im Emdener Werk wird kurz gearbeitet, in Zwickau und Wolfsburg haben Tausende Leiharbeiter ihren Job verloren. „Wir müssen besser erklären, was wir machen“, heißt es im Aufsichtsrat. Aber geht das mit Pötsch, den die VW-Großaktionäre, die Familien Porsche und Piech, im Oktober 2015 zum Aufsichtsratsvorsitzenden gemacht hatten?
Mit dem Vergleich in den USA vor gut drei Wochen, der VW rund 20 Milliarden Euro kostet, ist die Aufklärungsbereitschaft deutlich gesunken. „Um Vorverurteilung zu vermeiden und die noch laufenden Untersuchungen nicht zu behindern, wird das Unternehmen (...) zu den Erkenntnissen aus der Arbeit von Jones Day nicht weiter Stellung nehmen.“ Das hörte sich bis dahin immer anders an. Die US-Kanzlei Jones Day sollte den Betrug aufklären und der Konzern wollte über die Ergebnisse berichten. Wegen der Vergleichsverhandlungen in den USA wurde das immer wieder verschoben – und jetzt ganz abgesagt. Offizielle Begründung in Wolfsburg: Die Erkenntnisse von Jones Day seien in das mit den US-Behörden vereinbarte, öffentlich zugängliche Statement of Facts eingeflossen. Zum anderen würde eine Veröffentlichung hierzulande die Position der vielen Kunden- und Anlegerklagen stärken.
Auch Piech könnte angeklagt werden
„Die Aufklärung geht weiter“, erklärte Stephan Weil, SPD-Ministerpräsident in Niedersachsen, in der vergangenen Woche in einer Aktuellen Stunde des Landtags zur Diesel-Affäre. Niedersachsen hält 20 Prozent der VW-Aktien, Weil und sein Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) sitzen im Aufsichtsrat. Dieser hat die Rechtsanwaltskanzlei Gleiss Lutz beauftragt, alle Akten, Dokumente, Vernehmungsprotokolle von Jones Day noch einmal zu prüfen. ,Es gebe „keine Denkverbote“, sagt ein mit den Ermittlungen Vertrauter. Geprüft würden die Unterlagen ohne Ansehen der Person. „Vielleicht stößt man auch auf Herrn Piech.“
Piech, seit Anfang der 1990er Jahre über mehr als zwei Jahrzehnte erst als Vorstands- und dann als Aufsichtsratsvorsitzender die prägende Figur in Wolfsburg, hatte, wie berichtet, Winterkorn vor der Staatsanwaltschaft Braunschweig belastet: Winterkorn habe bereits im Frühjahr vom Dieselbetrug gewusst und nicht erst im September 2015. Und Piech selbst? „Wäre die Aussage zutreffend, was Gegenstand der Prüfung ist, stellt sich die Frage, ob Professor Piech seine Pflichten als damaliger Aufsichtsratsvorsitzender erfüllt hat“, reagierte IG Metall-Chef und VW-Aufsichtsrat Jörg Hofmann in der „FAS“ auf die Piech-Äußerungen.
Anderthalb Jahre wurden die US-Behörden belogen
Nach Lektüre des Statement of Facts ist jedenfalls kaum vorstellbar, dass die Spitzenmanager Piech und Winterkorn, die den Weltkonzern mit harter Hand führten, erst im September 2015 von dem Betrug erfahren haben. In dem Text werden diverse Führungskräfte anonymisiert, darunter der Manager A, der für die Aggregateentwicklung zuständig war und eine Gruppe von circa 10 000 VW-Mitarbeitern leitete. A wusste frühzeitig vom Betrug und „bewürwortete 2012 die weitere Verdeckung der Software“, heißt es.
Im März 2014 erhielten bestimmte VW-Mitarbeiter erste Kenntnis von den Abgasuntersuchungsergebnissen der US- Behörden: Zwei von drei der getesteten Autos überschritten die Stickoxid-Emissionen um das bis zu 40-Fache der erlaubten Werte. Selbst zu diesem Zeitpunkt „entschieden Führungskräfte von VW“, den Betrug weiter zu vertuschen. Die Leugnungsstrategie setzte sich das ganze Jahr 2014 bis in den Sommer 2015 fort. Am 27. Juli 2015 gab es dann eine Präsentation „vor Führungskräften der VW AG“. Spätestens hier, so die Aussage eines Beschuldigten, sei auch Winterkorn eingeweiht gewesen. Drei Wochen später, am 19. August, ließ ein VW-Mitarbeiter erstmals gegenüber den US-Behörden durchblicken, dass man manipuliert habe. Am 3. September „gab die Führungskraft D zu, dass VW ein Defeat Device installiert hatte“. Erst an dem Tag, so sagt Winterkorn, habe er von der Abschalteinrichtung erfahren.
Wegen der Lügen wurde der Vergleich so teuer
„Das glaubt kein Mensch“, heißt es dazu in Aufsichtsratskreisen. Das ganze verdruckste Verhalten über all die Monate bis heute habe vielmehr dazu beigetragen, dass die Strafzahlungen so hoch ausgefallen sein. Manfred Döss, seit Anfang 2016 Leiter des VW-Rechtswesens, soll intern auf die Frage, warum VW in den USA so viele Milliarden zahlen muss, geantwortet haben, weil man so lange gelogen habe.
Döss führte die Verhandlungen in den USA – und nicht die frühere Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt, die VW Anfang 2016 als Vorstandsmitglied für das Ressort „Integrität und Recht“ berufen hatte. Ein gutes Jahre später scheidet sie „im gegenseitigen Einvernehmen aus“, wie der Konzern vor zehn Tage mitteilte. Das ließ sogleich wieder Spekulationen ins Kraut schießen, wonach Vorstandschef Matthias Müller und der Aufsichtsratsvorsitzende Pötsch die Aufklärungsarbeit der Juristen leid seien. Doch so ist es offenbar nicht. Sowohl VW-Juristen als auch ihre amerikanischen Kollegen hätten die 66-Jährige als „fachlich wenig kompetent“ und im persönlichen Umgang als „unerträglich“ beschrieben. „Sie hatte zuletzt einen katastrophalen Ruf im VW-Konzern.“ Dass man Hohmann-Dennhardt überhaupt nach Wolfsburg geholt hat, wird heute in Wolfsburg als „großer Fehler“ eingestuft.