Schon 20 Prozent der US-Bürger geimpft: Was Biden anders macht als Deutschland
Biden poliert den Ruf der USA im Kampf gegen Corona auf. Die Menschen sollen nicht eingeschränkt, sondern rasch geimpft und getestet werden. Eine Analyse.
Joe Biden versprüht Ehrgeiz und Erfolgshunger. Die Zeiten, in denen die USA für einen schlechten Umgang mit Corona standen, gehören der Vergangenheit an.
Der neue US-Präsident nutzte seine erste große Fernsehansprache in der Nacht zu Freitag nicht nur für die erwartete rhetorische Siegesrunde, um den Gesetzgebungserfolg im Kongress zu feiern: die Verabschiedung des Coronahilfspakets im Wert von 1,9 Billionen Dollar nach wochenlangem Ringen mit der eigenen Partei und den Republikanern.
Biden hielt eine typisch amerikanische „Let’s do it!“-Rede mit der Botschaft: Wir können das, wir schaffen das.
Die USA haben bereits rund 20 Prozent ihrer 331 Millionen Einwohner mindestens einmal geimpft, ein drei Mal so großer Anteil wie in Deutschland. Bis Mai sollen alle die Möglichkeit erhalten.
Am Unabhängigkeitstag, dem 4. Juli, soll die Nation so weit durchgeimpft sein, dass Familien und Freunde wie gewohnt zusammen feiern können, typischerweise mit einem Barbecue im Garten. „Das ist der Beginn der Unabhängigkeit von diesem Virus“, wirbt Biden. Laut Umfragen wollen sich 69 Prozent impfen lassen; nur 15 Prozent lehnen das strikt ab.
Wieder rekrutiert Uncle Sam die ganze Nation: I need you
Der Präsident mischte direkte Ansprache mit vertrauten Sprachbildern der politisch-religiösen Rhetorik in den USA. Wie der Uncle Sam auf dem berühmten Rekrutierungsplakat für die US Army beugte er sich seinem Publikum entgegen: „I need you!“
In einem nationalen Kraftakt möchte er die ganze Nation für das Vorhaben mobilisieren: neben den impfwilligen Bürgerinnen und Bürgern und dem regulären Impfpersonal auch Zahnärzte, Augenärzte, Hebammen und sogar Tierärzte. Wer helfen möchte, soll sich an die Arbeit machen: nicht nur in Kliniken und anderen medizinischen Zentren, sondern auch in Drogerieketten, Gemeindezentren, Stadien, provisorischen Drive-in-Stationen. Ein "alle zusammen" statt Trumps "ich allein".
Biden tritt auf wie seine Vorgänger Franklin D. Roosevelt, der den „Fellow Americans“ per Radioansprachen in der Wirtschaftskrise Mut machte, und John F. Kennedy, der die nationalen Ressourcen und menschlichen Energien auf das Ziel Mondlandung ausrichtete. Gleich zweimal flocht er die biblische Metapher von Hell und Dunkel in seine halbstündige Rede ein: „Licht in der Dunkelheit zu finden, ist vielleicht das Amerikanischste, was wir gerade tun können.“
[Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter „Washington Weekly“ unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung]
Was für einen Unterschied das politische Führungspersonal, die Kommunikation mit der Gesellschaft und die konsequente Nutzung ihrer Organisationsreserven machen können. Vor einem Jahr galten die USA unter Donald Trump – aber auch Großbritannien unter Boris Johnson – als Beispiele unter den westlichen Demokratien, die im Kampf gegen die Pandemie unter ihren Möglichkeiten blieben. Chinas rigorose, aber effektive Strategie warf die Frage auf, ob autoritäre Regime besser mit der Herausforderung fertig werden als offene Gesellschaften.
Beim Impfen überholen die USA China und Russland
Inzwischen geht es nicht mehr in erster Linie um die Einschränkungen der Bewegungs- und Wirtschaftsfreiheit, sondern um die Fähigkeit, rasch viele Menschen zu testen und zu impfen, also um Forschung und die Fähigkeit, ihre Ergebnisse rasch im Alltag anzuwenden, um Produktion und Organisation. Aus den damals abschreckenden Beispielen sind Vorbilder geworden. Auf Platz drei und vier der internationalen Impfstatistik stehen Großbritannien (30 Prozent) und die USA (20 Prozent), ganz vorn Israel (über 80 Prozent) und die Vereinigten Emirate (über 50 Prozent).
China und Russland liegen weit zurück, obwohl sie eigene Impfstoffe und Produktionsstätten haben und nicht von Importen abhängig sind. Doch Russland nutzt „Sputnik“ mehr, um seinen Einfluss im Ausland zu vergrößern, als für den Schutz der eigenen Bevölkerung.
Die USA beweisen ihre Spitzenstellung in der Pharmabranche. Sie verfügen über drei zugelassene Impfstoffe, die im Land produziert werden: Pfizer, Moderna, Johnson & Johnson. Sie haben eine Führung, die pragmatischen Optimismus über Risikoscheu stellt und die Bevölkerung mobilisiert, statt Einwände vorzutragen und Bedenken, wie verlässlich das Impfen im Drive-in-Provisorien wohl ist.