Harald Martenstein: Ich, die Klimasau
Wir betrügen uns ständig selbst. Appelle an die Moral helfen da nicht weiter. Eine Selbstbezichtigung.
Im letzten November bin ich, just for fun, in die USA geflogen. Ich esse Fleisch und Ananas, letztere kommt vermutlich von weit her. Ich fahre sogar einen SUV, weil die Wege in der Uckermark oft schlecht sind … ach was, weg mit den Ausreden, es macht mir Spaß. Ich bin schon irgendwie ein Klimaschwein. Deutschland, dachte ich im vergangenen Sommer, gehört beim Klimawandel zu den Gewinnern. Das darf ruhig jeden Sommer so sein. Die Landwirtschaft kann sich umstellen, auf neue Produkte. Die Automobilindustrie muss sich ja auch umstellen. Oliven aus Werder, warum denn nicht?
Das ist selbstverständlich zu kurz gedacht. Die Krisen, die vom Klimawandel in anderen Weltgegenden ausgelöst werden, durch Dürre, Überschwemmungen oder Stürme, werden auch unser Land nicht unberührt lassen. Der Migrationsdruck zum Beispiel wird weiter steigen. Es kann schon sein, dass Grönland in 30 Jahren Riesling exportiert, aber ein Ersatz für die Verödung weiter Teile Afrikas kann Grönland nicht sein. Und die großen Moralfragen – unsere Verantwortung für die Mitmenschen – habe ich dabei noch gar nicht angeschnitten.
Dass der Klimawandel eine Realität ist, bestreiten nur noch Sektierer. Zum Teil ist er sicher eine Folge der Industrialisierung, die natürlich auch viel Gutes mit sich gebracht hat, vor allem den höchsten Lebensstandard, den es auf der Welt jemals gab. Dort, wo Menschen auch heute noch hungern, ist der Hunger die Folge von politischen Fehlern und kriminellen Regierungen. So schreibt es der Historiker Noah Yuval Harari in seinem Weltbestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“. Es gibt immer mehr Menschen, weil wir dank Wissenschaft und Medizin älter werden und nur noch wenige Kinder früh sterben.
Die Begegnung mit anderen Kulturen fördert die Weltoffenheit
Ob der Klimawandel auch andere Ursachen hat, an denen wir nichts ändern können, weiß ich nicht. Einige Wissenschaftler vertreten diese These. Und, das stimmt ja, Klimawandel hat es immer gegeben. Ist das ein Grund dafür, nichts zu tun? Ich finde, nein.
Allerdings ist das, was wir in Deutschland tun oder lassen, für den weiteren Verlauf des Klimawandels nahezu unerheblich. Der CO-2-Ausstoß in unserem kleinen Land spielt global kaum eine Rolle, verglichen mit China oder den USA. Wäre das ein Grund, das Richtige nicht zu tun? Würden Sie einen Ertrinkenden absaufen lassen, weil sein Tod an der Gesamtzahl der Ertrunkenen ja nicht viel ändert? Hoffentlich nicht.
Wie wir uns im Alltag verhalten, spielt für unsere CO-2-Bilanz leider eine verschwindend geringe Rolle. Vielleicht leben Sie vegan und fahren mit dem Rad zur Arbeit. Das ist gesund, aber ihre persönliche Klimabilanz, auf die Sie stolz sind, haben Sie sich leider mit Ihrem Ökourlaub in Costa Rica komplett ruiniert. Wegen der Flüge. Die hauen richtig rein. Wenn Sie statt dessen mit dem Zug nach Sylt gefahren wären, einen Rolls Royce gemietet und täglich Champagner getrunken hätten, wären sie ein weniger schlimmes Umweltschwein gewesen.
Aus mehreren Gründen wäre es trotzdem keine gute Idee, Fernflüge zu verbieten oder unbezahlbar zu machen. Erstens würden wir einige Länder, die auf Tourismus angewiesen sind, in den Ruin treiben. Zweitens wären exotische Reisen wieder ein Privileg für ein paar Reiche. Drittens fördert die Begegnung mit anderen Kulturen die Weltoffenheit, und die wollen wir doch, oder? Und unsere Wirtschaft würde, ohne das Flugzeug, in ernste Schwierigkeiten kommen, übrigens auch ohne das Auto. Die Grundlagen unseres relativen Wohlstands zu zerstören, ist generell kein besonders kluges Konzept. Muss ich das wirklich begründen?
Ich misstraue auch der Wirkung von moralischen Appellen und internationalen Konferenzen. Menschen ändern ihr Verhalten, wenn überhaupt, dann nur langsam und unter Druck. Wer aber zu viel Druck ausübt, wird nicht mehr gewählt. Dass alle Staaten sich auf energische Schritte zum Klimaschutz verständigen und ausführen, kann ich mir schwer vorstellen. Die Interessen sind zu unterschiedlich. Ein Land, in dem erst allmählich der Wohlstand einkehrt, hat zum Wohlstand ein innigeres Verhältnis als eines, das ihn für selbstverständlich hält.
Das emissionsarme Auto wird kommen
Wer kann, wenn überhaupt, die Klimakrise lösen? Das werden Wissenschaft, Forschung und Marktwirtschaft eher schaffen als Moralappelle. Warum? Weil fast jeder Fortschritt der letzten Jahrhunderte ein Kind der Wissenschaft und der Marktwirtschaft war. Natürlich ist der Sozialstaat nicht denkbar ohne die Sozialdemokratie und die Idee der Menschenrechte nicht ohne die Aufklärung. Der Sozialstaat aber wurde nur möglich, weil der Kapitalismus ungeheuren Reichtum geschaffen hat. Unser Leben ist lang, weil die Medizin es möglich macht. Wir müssen nicht hungern, weil die Produktionskraft der Landwirtschaft gewachsen ist. Die Luft ist wieder besser, weil Filter entwickelt wurden. Der Beitrag von Wissenschaft und Forschung zum besseren Leben ist deutlich größer als der Beitrag von Ideologien aller Art.
Die Erfindung eines fast oder völlig emissionsfreien Flugzeugs würde zum Klimaschutz mehr beitragen als Jahrtausende der Mülltrennung. Das emissionsarme Auto wird kommen, es wird billiger werden, so, wie Fernseher und Computer billiger geworden sind. Unsere Geräte verbrauchen immer weniger Strom, auch in China, und bei der umweltfreundlichen Stromerzeugung sind die hässlichen Windräder sicher nicht das letzte Wort. Wir Deutschen sollten uns nicht jedes Jahr um die Weltmeisterschaft in der Emission von Moralappellen bewerben, wir sollten wieder mehr für Wissenschaft und Forschung tun. Da waren wir mal Spitze.
Damit will ich nichts gegen diejenigen sagen, die täglich ihren CO-2-Fußabdruck messen. Das ist okay, aber eine Lösung ist es nicht. Den Menschen das Reisen zu verbieten oder zu erschweren, ist auch keine Lösung. Wir haben es geschafft, zum Mond zu fliegen und die Pest zu besiegen, wir schaffen auch den Sieg über das Kohlendioxid, auf die gleiche Weise.