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Olaf Scholz (SPD), Bundesminister der Finanzen, spricht auf einer Pressekonferenz in seinem Ministerium zu den Medienvertretern.
© Kay Nietfeld/dpa

Weniger Wachstum, korrigierte Steuerschätzung: Warum Scholz cool bleibt

Die Steuereinnahmen fallen wegen der Wachstumsdelle deutlich geringer aus, aber der Finanzminister bleibt gelassen. Wie passt das zusammen?

Zweimal im Jahr wird der Bundesfinanzminister zum Orakel: Immer Anfang Mai und im November verkündet er die Ergebnisse der Steuerschätzung. Dann weiß die Republik, wie es aussieht mit den Staatsfinanzen – im laufenden Jahr und in der Planungsperiode, die immer vier Haushaltsjahre umfasst. Ob Mehrausgaben möglich sind, oder auch Steuererleichterungen, oder ob die Regierung sparen muss.

Die Schätzung wird von einem Arbeitskreis von Experten aus Ministerien, Verbänden und Wirtschaftsinstituten erstellt, der sich in einer dreitägigen Klausur über einen Wust von Zahlen beugt.

Wobei eine Zahl alle anderen bestimmt: Die Schätzung basiert stets auf der aktuellen Wachstumsprognose der Bundesregierung für das laufende Jahr. Und die aktuelle Prognose für 2019 lautet: 0,5 Prozent.

Wie sieht die aktuelle Steuerschätzung aus?

Ein halbes Prozent Wachstum ist nicht viel – erst recht, wenn man es vergleicht mit der Herbstprognose der Bundesregierung, die noch bei 1,8 Prozent lag. Und der damals noch recht optimistischen Prognose folgte die Steuerschätzung im November. Sie fiel entsprechend gut aus. Nun haben sich die Steuerschätzer massiv korrigieren müssen. Was bedeutet, dass der Gesamtstaat – also Bund, Länder und Kommunen – bis 2023 124,3 Milliarden Euro weniger einnehmen werden als im November geschätzt. Das ist freilich eine Korrektur der Schätzung – die erst dann zu Haushaltslöchern würde, wenn die Finanzminister nicht mit Anpassungen bei den Ausgaben reagieren würden.

Die Korrektur beim Bund macht 70,6 Milliarden Euro aus. Das bedeutet, dass sich das Bild für Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) ein wenig aufgehellt hat im Verlauf der dreitägigen Sitzung, denn in der Vorlage zum Auftakt war das Minus beim Bund mit mehr als 75 Milliarden Euro angegeben worden.

In diesem Jahr liegt die Mindereinnahme beim Bund bei 9,9 Milliarden Euro, wobei davon ein Teil auf Steuerbeschlüsse der Regierung zurückgehen – tatsächlich fehlen 3,7 Milliarden Euro, was Scholz am Donnerstag mit den Worten kommentierte, soviel Luft habe man sich im Etat gelassen. Er sieht also im laufenden Jahr noch keine Finanzierungsprobleme.

Was sind die Gründe für die Korrektur der Steuerschätzung?

Die Ernüchterung, die nun zur Korrektur führte, kam schon bald nach der letzten Steuerschätzung.  Reihenweise reduzierten die Auguren in den Wirtschaftsinstituten im Spätherbst ihre Voraussagen, die Bundesregierung folgte. Der amerikanisch-chinesische Handelsstreit, die Brexit-Unsicherheit, die Dürre im vorigen Jahr – es kam einiges zusammen im vergangenen halben Jahr. Die Konjunktur kühlte sich schnell ab.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) musste die offizielle Wachstumserwartung daher gleich zweimal korrigieren: Im Januar meldete er 0,8 Prozent, eine massive Reduzierung um einen vollen Prozentpunkt, und Anfang April waren es eben die jetzt zugrunde liegenden 0,5 Prozent.

Ein Teil der Korrektur geht auch auf Steuergesetze der Regierung zurück, etwa auf das Familienentlastungsgesetz, die im November noch nicht im Gesetzbuch standen und daher nicht berücksichtigt werden konnten.

Was bedeutet das nun für den Bundeshaushalt?

Als Scholz und sein Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer sich vor einigen Monaten an die Aufstellung des Etats für 2020 machten, da waren die konjunkturellen Bremsspuren schon sichtbar. Offizielle Grundlage, auch für die Planung bis 2023, war daher die Januar-Prognose von 0,8 Prozent. Das bedeutete, dass Scholz und Gatzer ihren Gegenübern in den Fachressorts schon deutlich reduzierte Ansätze vorlegten.

Als der Finanzminister dann im März mit seinen Eckwerten ins Kabinett ging, gab es daher den einen oder anderen kleinen Aufstand: Die Union mokierte sich allgemein über den geringeren Aufwuchs bei den Verteidigungsausgaben, und ganz speziell murrte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) über die geringer als erwartet ausfallenden Zahlen in seinem Haushalt. Dass die SPD frech mit ihrem Grundrentenplan kam, der erst einmal finanziert werden muss, ärgerte die Union zusätzlich.

Zumal eigene Ausgabevorhaben wider Erwarten den Spielraum verringern: Das Baukindergeld wird besser als erwartet angenommen und muss gezahlt werden. Aber an der geringeren Wachstumsprognose war nicht zu rütteln. Scholz hatte es immerhin geschafft, dank der Rücklage aus den Überschüssen der Vorjahre und auch einiger haushaltspolitischer Zaubertricks, für 2020 wieder einen ausgeglichenen Etat vorzulegen und auch in der Finanzplanung ohne neue Schulden auszukommen. Einen Gutteil der Auswirkungen der geringeren Steuerschätzung konnte der Finanzminister also vorwegnehmen. Es gibt also kein Haushaltsloch beim Bund in Höhe von 70,6 Milliarden Euro.

Wie groß ist das Loch im Etat nun?

Die nochmalige Reduzierung der Wachstumsprognose von 0,8 auf 0,5 Prozent im April hat Scholz kein Kopfzerbrechen mehr gemacht: Gegenüber den Eckwerten muss er nun von 2020 bis 2023 nochmals 10,5 Milliarden Euro gegenfinanzieren, will er die schwarze Null halten. Und zwar insgesamt, nicht pro Jahr. Entsprechend gelassen war der Auftritt des Vizekanzlers, der die Kollegen im Kabinett freundlich um "ein Miteinander, kein Gegeneinander" bat. Im Etat für 2020, den das Kabinett Ende Juni beschließen wird, müssen nochmals 1,6 Milliarden an Ausgabengestrichen oder anderweitig finanziert werden.

Das Loch in der Etatplanung wächst dann bis 2023 auf 3,4 Milliarden Euro – weniger als ein Prozent des Haushaltsvolumens. Damit wachsen für die schwarz-rote Koalition die Bäume also nicht mehr in den Himmel, wie in den Überschussjahren nach 2014. „Die fetten Jahre sind vorbei“, zitierte sich Scholz selbst (er hat das schon im Februar verkündet).

Für alle Fälle teilte er mit, er habe sich mit der Kanzlerin verständigt, dass es bei dem Prinzip des ausgeglichenen Haushalts bleiben solle, also keine Neuverschuldung geplant ist. Und er freute sich über den Appell von Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus, der eine grundlegende Ausgabenüberprüfung gefordert hatte.

Wie sieht die Schätzung für Berlin aus?

„Das Ergebnis ist ein Warnschuss, dass es nicht mehr so weitergehen wird wie bisher“, kommentierte Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) die neue Schätzung.

„Auch wenn wir damit rechnen, dass die Steuereinnahmen insgesamt noch leicht zunehmen, wird es deutlich weniger werden als bisher angenommen.“ Bei der laufenden Aufstellung des Landeshaushalts 2020/21 müsse die neue Situation berücksichtigt werden. „In den nächsten Tagen werden wir die möglichen Konsequenzen genau prüfen.“

Genaue Zahlen für Berlin werden erst am Freitag veröffentlicht, die „Regionalisierung“ der bundesweiten Steuerschätzung ist kompliziert. 2019 werden die Steuereinnahmen Berlins wohl noch weitgehend im Plan liegen. In den nächsten Jahren dürften sie aber viel geringer ausfallen als bislang erwartet.

Es geht um hohe dreistellige Millionensummen, die dann jährlich fehlen. Trotzdem werde das Land Berlin 2020/2021 noch schwarze Zahlen schreiben, verlautet aus Koalitionskreisen. Auch seien keine „strukturellen Defizite“ zu befürchten, die die Schuldenbremse ab nächstem Jahr verbietet.

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