Abstimmung über neues Brexit-Referendum: Warum Mays Plan nur auf den ersten Blick eine gute Idee ist
May macht neue Angebote, um eine Mehrheit für den Austrittsvertrag zu gewinnen. Sie wird scheitern, und die moderaten Kräfte werden geschwächt. Ein Kommentar.
Je größer die Verzweiflung, desto generöser die Angebote. Um ihren Deal zum geregelten Austritt aus der EU in einem vierten Anlauf am 4. Juni doch noch durch das britische Parlament zu bekommen, lockt Theresa May mit der Offerte, dies sei zugleich der Weg zu einem zweiten Referendum. Vor wenigen Monaten wäre das noch undenkbar gewesen. Eine erneute Volksabstimmung galt unter Tories als No-Go. Aus der "eisernen Lady" ist eine gummiweiche Lady geworden.
Der Erfolg ihrer Pläne bleibt jedoch zweifelhaft. Englische Insider glauben nicht, dass May auf diesem Weg eine Mehrheit im Unterhaus gewinnt. Erst hatte sie ihren Austrittsvertrag als alternativlos angeboten – und war gescheitert. Dann versüßte sie ihn mit allerlei Angeboten, um eine Mehrheit zu gewinnen – bis hin zum eigenen Rücktritt, wenn nur zuvor der Deal durchkomme. Ohne Erfolg. Ähnlich war es bei den Gesprächen mit der Labour-Partei, ob der Verbleib des Vereinigten Königreichs in einer Zollunion mit der EU ein gangbarer Kompromiss wäre. Auch das galt den Tories zuvor als unannehmbar. Und auch diese Option ist gescheitert.
Sind das nun gute Nachrichten für all jene, die hoffen, dass Großbritannien am Ende in der EU bleibt? Oder zumindest in einer sehr engen Anbindung an die EU? Ja, es kann so kommen. Es ist allerdings noch immer unwahrscheinlich, dass dies im Wege eines überzeugenden Votums zu Gunsten der EU geschieht – sei es durch eine Mehrheit dafür im Parlament oder eine Mehrheit dafür in einem zweiten Referendum.
Wahrscheinlicher ist nach heutigem Stand, dass Großbritannien bleibt, weil es den Institutionen nicht gelingt, eine Mehrheit für eine praktische Variante des Austritts zu gewinnen. Diesen Eindruck vermittelten die Diskussionen britischer und deutscher Experten bei der traditionsreichen Königswinter-Konferenz Mitte April.
Die Pro-Europäer gewinnen hinzu, die EU-Gegner auch
Der Austausch zeigte zugleich die Risiken auf, die das Unvermögen zu einem geregelten Austritt heraufbeschwört. In einer Demokratie möchte man meinen, dass in einer solchen Situation die Kompromissbereitschaft steigt.
Weil jede der konkurrierenden politischen Kräfte mit ihren Vorstellungen keine Mehrheit erzielt, wächst die Einsicht, dass alle noch ein bisschen nachgeben müssen – bis ein gemeinsamer Nenner für eine Mehrheit erreicht ist. Von den denkbaren Optionen gilt der ungeregelte Brexit als die am wenigsten wahrscheinlichste. Bei Abstimmungen im Parlament in London stieß "No Deal" auf die größte Ablehnung. Auch die EU hat mehrfach bekräftigt, dass sie den harten Brexit vermeiden möchte.
Ein No-Deal-Brexit wäre für alle Beteiligten – in GB und in der EU – die klarste Lösung. Dann werden wir sehen, ob die Idee eines von der EU entfesselten Landes erfolgreich sein kann.
schreibt NutzerIn W.Wang
Aber die Dynamik der Frustration über das Scheitern des geregelten Austritts führt in Kombination mit dem nun wachsenden Optimismus des "Remain"-Lagers – also derer, die Großbritannien in der EU halten möchten – zu einer Entwicklung, in der die am weitesten auseinanderliegenden Optionen übrig bleiben und der Kompromiss noch unwahrscheinlicher wird.
Einerseits verweisen "Remainer" darauf, dass sich die Mehrheiten im Volk gedreht hätten. Einzelne Umfragen weisen immer wieder eine Mehrheit für den Verbleib in der EU aus. Aber es sind knappe Vorsprünge. Aus der knappen Ablehnung der EU im ersten Referendum ist kein großer Vorsprung für "Remain" geworden. Das knappe Votum pro Brexit von 2016 hat sich zu einem knappen Votum für die EU-Mitgliedschaft gedreht - aber eben nur in Umfragen. Wie ein neues Referendum tatsächlich ausgehen würde, ist nicht sicher.
Die Briten halten die Europawahl diesen Donnerstag ab
Die Briten geben ihre Stimmen zur Europawahl bereits an diesem Donnerstag ab. Die Umfragen dazu lassen, erstens, die zunehmende Polarisierung erkennen. Sowie, zweitens, eine enorme Mobilisierung der Brexit-Unterstützer. Mit weitem Abstand vorne liegt die radikale Brexit-Partei von Nigel Farage mit 37 Prozent, gefolgt von den proeuropäischen Liberaldemokraten mit 19 Prozent.
Die beiden großen Lager, die zuvor das Gros der Wähler auf sich zogen und die einen Kompromiss hätten finden sollen, sind weit zurückgefallen: Labour kommt auf 13 Prozent, die Tories sind auf den fünften Platz mit 7 Prozent zurückgefallen, überholt auch von den Grünen (12 Prozent).
Die Lehre: Wenn die moderaten Kräfte nicht liefern, stärkt das die Flügel. Und die Nase vorn hat bei dieser Verschiebung nicht unbedingt der proeuropäische Flügel, mit dem die meisten Deutschen sympathisieren. Wenn Boris Johnson nach May der neue Premierminister wird und Nigel Farage ihn und die Tories vor sich hertreibt, wird es gefährlich für Europa.