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Hat es bisher vermieden, eine Maske zu tragen: US-Präsident Donald Trump.
© AFP/ Brendan Smialowski

US-Wahlkampf und Covid-19: Warum Linke und Rechte unterschiedlich auf die Coronakrise reagieren

Ist nur das wahr, was die eigene politische Position zementiert? Liberale und Konservative in den USA nehmen zum Coronavirus wechselnde Rollen ein. Eine Analyse

Wer hätte das gedacht? Politisch eher links verortete Menschen plädieren für Grenzschließungen, opfern Freiheitsrechte, nehmen Maßnahmen in Kauf, die Millionen Menschen arbeitslos machen, fordern Schulschließungen, die Tausende von Kindern den Anschluss verlieren lassen. Politisch eher rechts verortete Menschen halten hingegen die Freiheitsrechte hoch und plädieren für weitgehende Lockerungen, selbst wenn dadurch die Zahl der Covid-19-Infizierten rapide steigt, das Gesundheitssystem zusammenbricht, insbesondere ältere und vorerkrankte Menschen sterben.

Aber gibt es überhaupt eine linke und rechte Reaktion auf die Corona-Pandemie? Diese Frage dürfte noch Generationen von Politikwissenschaftlern, Soziologen und Psychologen beschäftigen. Denn das Virus stellt viele Theorien über politische Ideologien auf den Kopf. Der Einfachheit halber wird hier „links“ als Synonym für „progressiv“ und „liberal“ benutzt, „rechts“ hingegen als Synonym für „konservativ“ und „traditionell“.

Schutz gefährdeter Personen

Dass Linke und Rechte auf die Coronakrise unterschiedlich reagieren, ist durch Umfragen belegt. Die Linke tendiert zur Vorsicht, hält sich an Maskenpflichten und Auflagen zur sozialen Distanz, bewertet die Risiken hoch und rechnet mit einer zweiten Infektionswelle. Die Rechte tendiert zu einer kontrollierten Öffnung, will Eingriffe des Staates beschränken, appelliert an die Verantwortung von Individuen, befürwortet den gezielten Schutz gefährdeter Personen, glaubt an die rasche Entwicklung eines Impfstoffes.

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Doch was an diesen Reaktionen ist links und was rechts? Normalerweise sind es Rechte, die auf externe Bedrohungen umfassend mit einer Stärkung des Staates reagieren, die den Sicherheitsapparat ausbauen, den Verteidigungsetat erhöhen, die Befugnisse von Geheimdiensten erweitern. Und es sind Linke, die die Freiheitsrechte verteidigen, vor den psychischen Folgen von Massenarbeits- und Perspektivlosigkeit warnen, Kinderbetreuung durch staatliche Institutionen als essentiell ansehen. Hat in der Coronakrise ein Rollentausch stattgefunden?

Das zentrale Argument der Linken ist es, durch Covid-19 bedrohtes Leben retten zu wollen. Das zentrale Argument der Rechten ist es, ein durch Anti-Covid-19-Maßnahmen bedrohtes gesellschaftliches Fundament retten zu wollen. Zugute kommt beiden Lagern, dass das Virus neu und sein Verlauf relativ unbekannt ist.

Stadt-Land-Gegensatz

Auch Epidemiologen können sich irren. Im Jahr 2003 prognostizierte die WHO einen verheerenden Ausbruch des Sars-Virus, stattdessen mutierte er und verlor an Kraft. Im Jahr 2009 grassierte die Angst vor der Schweinegrippe. Die aber verlief ungefährlicher als gedacht.

Trägt der Stadt-Land-Gegensatz zur Erklärung bei? In den USA leben viele Demokraten in Großstädten, viele Republikaner auf dem Land. In Städten verbreitet sich das Virus schneller als auf dem Land. Deshalb wirken in New York einschneidende Maßnahmen als vernünftig, während sie etwa in Nebraska als zu rigide wahrgenommen würden. Neben New York werden auch andere stark betroffene Bundesstaaten von Demokraten regiert – New Jersey, Massachusetts, California, Illinois.

Nancy Pelosi, Politikerin der Demokratischen Partei, trägt Maske.
Nancy Pelosi, Politikerin der Demokratischen Partei, trägt Maske.
© AFP/Drew Angerer

Aber auch diese Erklärung bleibt unbefriedigend. Denn die Positionen scheinen, je nach Bedarf und politischem Kalkül, austauschbar. Im Oktober 2014 warnte Donald Trump in einem Tweet: „Ebola wird viel leichter übertragen, als unsere Regierungsvertreter zugeben wollen. Es verbreitet sich in ganz Afrika – und zwar schnell. Stoppt alle Flüge!“ Präsident Barack Obama dagegen warnte vor einer Ebola-Panik.

Eine gesundheitliche Notlage

Ross Douthat, ein Kolumnist der „New York Times“, hat verschiedene Phasen der amerikanischen Reaktionen auf das Coronavirus diagnostiziert. Demnach dauerte die erste Phase vom Ausbruch der Pandemie in Wuhan bis Mitte Februar. In ihr verhielten sich die politischen Lager noch einigermaßen traditionell. Die deutlichsten Warnungen kamen von rechts. Trump rief bereits Ende Januar eine „gesundheitliche Notlage“ aus und verhängte ein Einreiseverbot für Nicht-US-Bürger aus China. Die Linke hielt das für übertrieben und warnte vor Sinophobie.

Dann änderte sich die Dynamik. Trumps Äußerungen changierten zwischen Beschwichtigung und Panik, dadurch spaltete sich die Rechte in jene auf, die beschwichtigten, und jene, die härtere Maßnahmen forderten.

Die dritte Phase begann Anfang April. Sie leitete eine Rückkehr in die Polarisierung der Lager ein, die Coronakrise wurde zu einem Teil des Wahlkampfes. Nun verdächtigten die Konservativen die Demokraten und die ihnen nahestehenden Medien, die amerikanische Wirtschaft ruinieren zu wollen, um Trumps Wiederwahlchancen zu schmälern. Die Linke konterte mit dem Vorwurf, Rechte würden ihre eigene Großmutter sterben lassen wollen, um Trump zur Wiederwahl zu verhelfen.

Der Graben vertieft sich

Luke Conway, der an der „University of Montana“ Psychologie unterrichtet, hat Ende April die Ergebnisse seiner Studien über die verschiedenen Reaktionen von Konservativen und Liberalen auf die Pandemie präsentiert. Entscheidend seien nicht unterschiedliche Erfahrungen und Werte gewesen, schreibt er, sondern Annahmen über den Nutzen einer Position für das eigene politische Weltbild. Dadurch habe sich der Graben zwischen den Lagern weiter vertieft.

Wenn auch künftig nur das wahr ist, was die eigene Position zementiert, wäre das Ende der politischen  Ideologien besiegelt. Erneut hätte sich der tiefe Sinn des kleinen Gedichts „Lichtung“ von Ernst Jandl erwiesen: „manche meinen, lechts und rinks kann man nicht velwechsern, werch ein illtum“.

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