FDP in Nordrhein-Westfalen: Warum Lindner Schwarz-Gelb gar nicht so recht wäre
Die FDP hat in Nordrhein-Westfalen ein historisches Ergebnis erzielt, doch ihr Parteichef schaut schon auf die Bundestagswahl. Christian Lindner konnte Westerwelle und Möllemann studieren - und hat gelernt.
Im Oktober, am Rande des Landesparteitags der FDP in Neuss, hat Christian Lindner verraten, wie unangenehm er es früher fand, wenn auf Parteitagen Beifall mit der Uhr gemessen wurde. Er selbst setzt sich meistens schnell hin, das ist einerseits strategisches Understatement, andererseits ist dem Parteichef der FDP zu viel demonstrative Emotion körperlich unangenehm.
Als er am Sonntagabend gegen 18.12 Uhr auf der Wahlparty der FDP erschien, da hatten seine Parteifreunde schon mal vorgeglüht, hatten gesungen wie im Fußball-Stadion und getanzt. Schließlich, als der gelbe Balken so hoch ging wie noch nie in der Geschichte der NRW-FDP, war kein Halten mehr. Und Lindner hatte weit und breit nichts zum Hinsetzen. Er beschwichtigte trotzdem sein Parteivolk, und seine Botschaft hatte schon die Bundestagswahl im Visier. „Ich spüre, und ihr spürt doch auch: Wenn eine kleine Partei ein solches Gewicht gewinnt, ist das keine Belohnung, sondern es wächst die Verantwortung.“
Für die Landes-CDU und Armin Laschet hatte Lindner nur einen dürren Satz übrig. Er gratuliere Laschet und wünsche ihm „eine gute Hand“ bei der Regierungsbildung. Lindner sagt es zwar nicht öffentlich, aber eine mögliche schwarz-gelbe Regierung wäre ihm gar nicht so recht. Denn aus der Opposition heraus könnte er viel besser in den Bundestagswahlkampf und gegen eine große Koalition ziehen.
Johannes Vogel, Generalsekretär der NRW-FDP, sagte dem Tagesspiegel: „Wenn es die Chance auf einen Politikwechsel gibt, sind wir offen für Gespräche mit der CDU. Es gibt aber keinen Automatismus für Schwarz-Gelb. Wir sind strategisch vollkommen unabhängig, auch im Bund.“ Lindner selbst sagte in der ARD: „Ich bin nicht der Wunschkoalitionspartner der CDU, und die CDU nicht meiner.“ Wochenlang habe Laschet gegen die FDP Wahlkampf gemacht, deshalb hätte er auch kein Problem, am Ende in die Opposition zu gehen.
Die NRW-FDP war 1950 zum letzten Mal so stark
Aber was auch immer herauskommt, für die Partei fühlte sich der Abend ohnehin so an, als könnte sie fliegen. Genau so hatte sich Lindner am Tag vorher seine FDP auch vorgestellt, als er für einen winzigen Augenblick Einblick in sein Gefühlsleben zuließ, das er sonst so perfekt zu tarnen versteht.
Eigentlich war die Abschlusskundgebung in der Düsseldorfer Innenstadt schon vorbei, rappelvoll mit mehr als 1000 Zuschauern, da machte er die Bewegung eines Vogels. Lindners Gesicht, sein schlaksiger Körper, wirkten dabei vollkommen gelöst. Zuvor hatte der 38-Jährige die Menschen aufgefordert, noch am Samstag einen Mitgliedsantrag auszufüllen, mit den Worten: „Gönnen Sie sich das Gefühl eines aufsteigenden Vogelschwarms.“
Am Sonntag war der erste Satz, den Lindner sprach: „Wer hätte das 2013 gedacht, dass wir so einen Tag erleben werden.“ Das letzte Mal, dass die Liberalen in NRW über zwölf Prozent kamen, war im Jahr 1950. Selbst den engsten Vertrauten Lindners wurde bei dieser historischen Dimension leicht schwindelig, um so wichtiger war die Botschaft nach draußen: Jetzt nicht abheben.
Lindner ist strategischer, kühler als Westerwelle
Wolfgang Kubicki, Parteivize und seit mehr als 40 Jahren politischer An- und Quertreiber seiner FDP, der selbst in Schleswig-Holstein ein zweistelliges Ergebnis holte, hat vor Jahren einen erstaunlichen Satz über Lindner gesagt, den er gerne wiederholt. Er lautet sinngemäß, wenn er, Kubicki, in so jungen Jahren ein solches politisches Talent gehabt hätte, hätte er alles werden können, außer Papst. In dem Satz steckt eine Drohung: Lindner möge sein Talent richtig einsetzen, nicht vergeuden. Kubicki hat auch wahrgenommen, dass Lindner sich immer öfter wie Guido Westerwelle verhält, der verstorbene ehemalige Parteichef. Noch eine Warnung. Westerwelle ist hoch geflogen und tief gestürzt.
Andererseits kennt Lindner diese Geschichte. Er ist selbst seit knapp 20 Jahren in der Politik. Er konnte erst NRW-Landeschef Jürgen W. Möllemann als jüngster FDP-Abgeordneter beobachten und dann Westerwelle genau studieren. Es stimmt schon: Gestik und Reden sind ähnlich. Aber Westerwelle war getrieben davon, seine FDP mit Macht und großen Schlagzeilen sichtbar zu halten. Lindner ist strategischer, kühler, und seine Reden sind gefeilter.
Vier Jahre ist Lindner durch die Landesverbände getingelt, hat einen internen Findungsprozess moderiert, seine Partei darauf eingeschworen, sich anders zu verhalten: bescheidener, fröhlicher, nicht besserwisserisch. Und er hat die liberalen Inhalte neu sortiert, neu priorisiert. Im Mittelpunkt steht der Gedanke, dass der einzelne Mensch es gut allein schaffen kann, wenn er die besten Voraussetzungen in der Bildung erhält. Am Samstag hatte Lindner den Bürgern in der Innenstadt auch zugerufen: „Wir denken groß von Ihnen.“ Noch wirken solche Sätze aus dem Mund eines so jungen Mannes irgendwie merkwürdig. Dabei entsprechen sie genau seinem Menschenbild. Vielleicht wäre es gut, er müsste bald beweisen, dass er es auch in konkrete Politik umsetzen kann.
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